Justin Guest (rechts) ist der federführende Berater für die Aktionen der Hegegemeinschaft an der Murr. Foto: Gottfried Stoppel/l

Zehn Anglervereine entlang der Murr haben sich zu einer Hegegemeinschaft zusammengetan. Sie wollen für bessere Bedingungen der Wasserbewohner sorgen.

Backnang - Ein Fisch ist nicht kuschelig, deshalb hat er auch keine Lobby. Niemand interessiert sich für einen glitschigen Aal.“ Das wollen Justin Guest und rund 800 Mitstreiter jetzt ändern. Zehn Angelvereine entlang der Murr haben sich zu einer Hegegemeinschaft zusammengetan, die den Bewohnern des Flusses zu mehr Aufmerksamkeit und besseren Lebensbedingungen verhelfen wollen. Der Diplom-Biologe Justin Guest ist der federführende Berater.

Diplomarbeit über „Aquakultur“

Der Mann mit dem britisch anmutenden Akzent ist in Sidney geboren, vor 20 Jahren der Liebe wegen nach Deutschland gekommen und dort heimisch geworden. Sein größtes Interesse aber scheint der Unterwasserwelt zu gehören. Er angelt schon von klein auf („seit ich stehen kann“), seine Diplomarbeit im Biologiestudium hat er über „Aquakultur“ geschrieben, die kontrollierte Aufzucht von aquatischen, also im Wasser lebenden Organismen. Mittlerweile verdient der Australier seinen Lebensunterhalt zwar als Heilpraktiker, einen Gutteil seiner Freizeit aber verbringt er am Wasser, beim Angelsportverein (ASV) Kirchberg/Murr.

Dieser und neun weitere Vereine von der Quelle bis zur Mündung der Murr haben sich vorgenommen, die Renaturierung des Flusses voranzutreiben, dort verschollene oder ausgestorbene Fischarten neu einzusetzen und deren Bestand zu stärken. So soll beispielsweise der Aal wieder heimisch werden. Als Raubfisch könnte er eine wichtige Aufgabe übernehmen, nämlich dem invasiven amerikanischen Signalkrebs Paroli bieten, der in den vergangenen Jahren so von der Murr Besitz ergriffen hat, dass er wiederum heimische Krebsarten verdrängt und andere Fisch-Nahrungsquellen radikal eliminiert hat.

Flora und Fauna wieder in ein ökologisches Gleichgewicht bringen

Neben dem Aal sollen auch Forelle und Äsche wieder in der Murr heimisch werden. Doch dazu bedarf es nicht nur eines ausgeklügelten Fisch-Besatzplans, den Justin Guest für den gesamten Flussverlauf erstellt hat, sondern auch zahlreicher anderer begleitender Maßnahmen, um Flora und Fauna wieder in ein ökologisches Gleichgewicht bringen.

In Sachen Renaturierung der Murr sei man da in einem guten Dialog mit dem Regierungspräsidium Stuttgart, sagt der Vorsitzende der Hegegemeinschaft, Vlado Pajurin. Die Behörde habe auf dem Schirm, dass einige Sünden der Vergangenheit dringend wieder rückgängig gemacht werden sollten, die einst den Gerberbetrieben, dem allgemeinen Trend zur Flussbegradigung, aber auch dem Hochwasserschutz geschuldet waren.

Die Hegegemeinschaft will dabei unterstützen, Stand-, Laich und Futterplätze schaffen – oder dem ebenfalls eigentlich nicht heimischen Kormoran das Leben ein wenig schwerer machen, der in einigen unnatürlich seichten Abschnitten paradiesisch einfache Fangverhältnisse vorfinde. „Der bedient sich wie aus einer Badewanne“, sagt Justin Guest. Der Biologe betont aber, dass alle Maßnahmen gesamtökologisch betrachtet werden müssten. Und: „Der Hochwasserschutz hat natürlich weiter Priorität.“

Erste Aktion: Weiden für Backnang

Am Sonntagmorgen ist als erste öffentlichkeitswirksame Aktion der Hegemeinschaft nicht etwa symbolisch ein Fisch zu Wasser gelassen, sondern zum Spaten gegriffen worden. In den Backnanger Etzwiesen sind unter tatkräftiger Unterstützung des Landrats und Schirmherren Richard Sigel und des Backnanger Oberbürgermeisters Frank Nopper Weiden gepflanzt worden.

Zum Wohle der Bachforelle: Die nämlich hat nach Erkenntnis der Angelexperten in den vergangenen Hitzesommern sehr gelitten. Das kälteliebende Tier habe bisweilen mit Wassertemperaturen von bis zu 25 Grad Celsius zurecht kommen müssen, so Justin Guest. Die Weiden sollen den Flussabschnitt künftig nicht nur beschatten, sie haben langfristig noch einen Vorteil: Das Wurzelgeflecht, das die Bäume entlang der Niedrigwasserlinie ausbilden, biete verschiedenen Tierarten einen zusätzlichen Schutz- und Lebensraum – der Kormoran wird sich wieder mehr anstrengen müssen.

Von Murrhardt bis Marbach am Neckar

Verlauf
Die Murr ist gut 50 Kilometer lang und fließt überwiegend in westlicher Richtung durch den Rems-Murr-Kreis und den Landkreis Ludwigsburg, wo sie in den Neckar mündet. Der längste Zufluss ist der Buchenbach. Die Quellen sind etwa drei Kilometer südlich von Murrhardt auf den Höhen des Murrhardter Waldes, die Mündung in den Neckar etwas unterhalb von Marbach. Das Einzugsgebiet ist gut 500 Quadratkilometer groß.

Wasser
Durch die Industrialisierung und die ansässigen Lederfabriken ist die Murr in der Vergangenheit schwer verschmutzt worden. Nach einem Tief in den 1970er-Jahren hat sich die Wasserqualität durch den Bau von Kläranlagen und allgemein verbesserten Umweltschutz aber deutlich verbessert.