Familie Gürcü: die Tochter Seher, die Mutter Aysel, der Vater Ibrahim und die Brüder Gürcan und Gürsel. Foto: Maira Schmidt

Die Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt (AGDW) hat gemeinsam mit der Elternstiftung Baden-Württemberg 35 Frauen zu Elternmentorinnen ausgebildet. Eine davon ist Aysel Gürcü.

Hedelfingen - Dieses Gefühl wird Aysel Gürcü vermutlich niemals vergessen. Wie hilflos sie sich gefühlt hat, als sie vor 15 Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam. Ihr Mann Ibrahim lebte bereits in der Bundesrepublik. Er musste jedoch arbeiten und konnte seine Frau nicht ständig begleiten. Die junge Türkin war auf sich allein gestellt. Doch sie verstand weder die deutsche Sprache noch den Ablauf in den Behörden. Kurze Zeit später wurde sie mit ihrem ältesten Sohn Gürsel schwanger.

Wer die selbstbewusste Mutter von inzwischen drei Kindern heute kennenlernt, kann sich kaum vorstellen, wie schwierig es damals für sie war. Doch genau deshalb möchte Aysel Gürcü, deren Mann Ibrahim als selbstständiger Fliesenleger arbeitet und ausländisches Mitglied im Bezirksbeirat Hedelfingen ist, heute anderen Migrantinnen helfen. Sie ist eine von insgesamt 35 Frauen, die in Hedelfingen in den vergangenen beiden Jahren im Rahmen des Projektes „Stärkung der Erziehungskompetenzen von Erziehenden mit Migrationshintergrund“ der Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt (AGDW) zu Elternmentoren ausgebildet wurden. Die AGDW-Mitarbeiterin Gisela Küllmer hat das Projekt, das gemeinsam mit der Elternstiftung Baden-Württemberg organisiert wurde, vor Ort betreut.

Inhaltlich ging es bei den Elternmentoren-Seminaren in türkischer, griechischer und italienischer Sprache in erster Linie darum, die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Familien mit Migrationshintergrund zu unterstützen. Die Mentorinnen – ausschließlich Frauen haben an dem Projekt teilgenommen – sollen Schulen und Eltern als Vermittler, Berater und Organisatoren zur Seite stehen.

„Viele Leute leben seit Jahren hier und kennen das Schulsystem nicht“

In den Seminaren wurden sie über das Schulsystem und die Rolle der Eltern darin informiert. „Viele Leute leben seit Jahren hier und kennen das Schulsystem nicht“, sagt Aysel Gürcü. Außerdem lernen sie wichtige Schnittstellen kennen, zum Beispiel eine Mitarbeite

rin des Jugendamtes. Konstruktive Gesprächsführung und Konfliktlösung wurden ebenfalls thematisiert. Bei dem AGDW-Projekt ging es aber nicht nur darum, den Familien mit Migrationshintergrund die Integration in die deutsche Gesellschaft zu erleichtern. Auch das Bewusstsein für die Kultur des Heimatlandes sollte gestärkt werden.

So hat sich aus dem Projekt eine türkische Folkloretanzgruppe für Jugendliche entwickelt. Aysel Gürcüs zwölfjährige Tochter Seher tanzt dort mit. Es sei sehr wichtig, dass ihre Tochter die traditionellen Tänze lernt, betont die Elternmentorin. „Wenn wir auf einer türkischen Hochzeit sind, kann sie das sonst nicht“, sagt sie. Ihre Tochter Seher räumt unterdessen frei heraus ein, dass sie sich inzwischen viel mehr für Hip Hop interessiere und deshalb gar nicht genau wisse, wie lange sie bei der Folkloretanzgruppe noch mitmache. Im Gegensatz zur Generation ihrer Eltern spielt die Türkei im Leben des zwölfjährigen Mädchen kaum eine Rolle. Sie ist genau wie ihre beiden Brüder in Deutschland geboren. Als ihre Mutter sie kürzlich gefragt hat, wo sie sich daheim fühle, antwortet Seher: „Mama, ich bin hier daheim.“ In Deutschland geht sie zur Schule, und hier leben ihre Freunde. „Ich kenne kaum jemanden in der Türkei“, sagt sie. Hinzu komme, dass sie deutsch viel besser spricht als türkisch.

Doch genau diese Aussage zeigt, in welchem Konflikt sich viele Eltern mit Migrationshintergrund in Deutschland befinden. Während sie die alte Heimat vielleicht noch zeitweise vermissen und ihnen das System der neuen Gesellschaft zum Teil fremd ist, spielt das Thema Integration für ihre Kinder möglicherweise gar keine Rolle mehr.

Gerade in solchen Fällen kann es den Eltern helfen, sich mit ihresgleichen auszutauschen. Dennoch endet am 31. August die Arbeit von Gisela Küllmer in Hedelfingen. Ein Nachfolgeprojekt, das den Schwerpunkt auf die jugendlichen Migranten selbst legen sollte, wird nicht gefördert. Eine Entscheidung, die Gisela Küllmer zwar sehr bedauerlich findet, gleichzeitig betont die AGDW-Mitarbeiterin aber auch: „Mit den Eltern hinterlassen wir etwas, was Bestand hat.“ Die Elternmentorinnen sollen sich auch weiterhin regelmäßig treffen und als Ansprechpartner für andere Familien mit Migrationshintergrund im Stadtbezirk fungieren.