Fachgerechte Versorgung für Neugeborene ist wichtig – aber Hebammen sind rar. Foto: dpa/Sina Schuldt

30 Absagen, obwohl das Kind erst im März 2021 zur Welt kommt? Für viele werdende Mütter auf Hebammensuche ist das traurige Realität. Der Landkreis Ludwigsburg will helfen, die Situation zu verbessern. Aber die Kommunen müssen mitziehen. Können sie das?

Kreis Ludwigsburg - In der Corona-Shutdown-Zeit war es noch schlimmer als sonst. „Bei den systemrelevanten Berufen sind wir erst mal durchs Raster gefallen“, erzählt Christel Scheichenbauer, Hebamme aus Benningen (Kreis Ludwigsburg) und Vize-Vorsitzende des Landeshebammenverbandes. Schutzkleidung? Masken? Gab es für freiberuflich tätige Geburtshelferinnen erst mal nicht, obwohl ihr Beruf eine besonders hohe Ansteckungsgefahr birgt.

„Manche Kolleginnen haben sich ein Bein ausgerissen, um die Frauen und Kinder trotzdem zu betreuen. Wir haben schließlich einen Grundversorgungsauftrag.“ Andere konnten in der Corona-Hochphase ihr Angebot nicht aufrecht erhalten; angemietete Räume mussten geschlossen bleiben, Hebammen bekamen keinen Notbetreuungsplatz für ihre eigenen Kinder. „Für die Mütter, die sowieso schon fast keine Hebamme finden und total verunsichert waren, war das eine Katastrophe“, bilanziert Scheichenbauer. Eine mögliche zweite Corona-Welle im Blick, sagt sie: „So, wie es jetzt war, darf es nicht noch einmal werden.“

Die Einzelkämpferinnen

Die Krisenzeit legte ein strukturelles Problem offen zutage. Hebammen, die nicht als Angestellte im Kreißsaal eines Krankenhauses, sondern freiberuflich in der Vor- und Nachsorge arbeiten, sind Einzelkämpferinnen. Haben sie selbst eine Familie, ist ihre Arbeit ein Balanceakt. Miete für Räume, Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge, Hebammen-Haftpflicht, Kitakosten: All das ist gerade für junge Hebammen fast nicht zu stemmen. Manche entscheidet sich notgedrungen gegen ihren Beruf. Warum läuft das Thema aber meist unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsgrenze? Mit Hebammen ist es wie mit Bestattern: Man braucht sie in der akuten Situation dringend, aber eben nur für eine kurze Zeitspanne. Die Situation der Hebammen und der Familien, die keine finden, ist so in der Außenwahrnehmung kein Dauerbrenner.

Der Beschluss des Kreistags

Der Kreistag hat am Freitag beschlossen: Die Hebammen sollen besser unterstützt werden, flächendeckende und dezentrale Angebote sind erwünscht. Die Rahmenbedingungen für eine Niederlassung sollen deshalb verbessert, das unternehmerische Risiko der Hebammen etwas abgefedert werden. Auch will die Politik Geburtshelferinnen den Wiedereinstieg in den Beruf erleichtern – durch die Förderung von Hebammen-Gemeinschaftspraxen und Kooperationen mit Kinder- oder Frauenärzten. Dafür gibt es einmalige Einrichtungskostenzuschüsse.

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Alternativ sollen die Kommunen den Hebammen Räume zur Verfügung stellen oder die Mieten mitfinanzieren. „Wir wollen auch in finanziell schwierigen Zeiten ein Zeichen setzen“, sagt Landrat Dietmar Allgaier. „Mir ist das Thema schon lange wichtig. Der Hebammen-Mangel ist offensichtlich.“

Die Zuschüsse

Laut Beschluss müssen der Kreis und die jeweilige Kommune hälftig für die Unterstützung der Hebammen-Konzepte aufkommen. Es liegt also im Ermessen der Kommune, ob sie ihre 50 Prozent beisteuert. Das könnte zum Pferdefuß für das Projekt werden: Wegen Corona ist die Finanzlage in vielen Städten und Gemeinden mau. „Wir wollen unseren Part auf jeden Fall erfüllen“, verspricht Allgaier.

Die Situation in Ludwigsburg

Die Stadt Ludwigsburg erklärt, man begrüße die Initiative, „es bedarf aber natürlich einer Beratung im Ausschuss für Bildung, Sport und Soziales“. Die Verwaltung sei aber zuversichtlich: „Eine gute, niedrigschwellige Versorgung mit Hebammen-Angeboten ist eines der lokalen gesundheitspolitische Ziele.“ Die Stadt fördert die Arbeit von Hebammen bereits: Für die Hebammensprechstunde in der Wilhelm-Nagel-Straße stellt die Stadt die Räume. Dort finden an zwei Vormittagen pro Woche Mütter aus dem Kreis mit ihren Kindern Hilfe, die ohne feste Hebamme sind.

Der Beschluss aus Sicht der Hebammen

Die Motivation, einen zentralen Knotenpunkt der Hebammenversorgung für Familien und Paare aus Stadt und Landkreis ins Leben zu rufen, sei groß, berichtet Fabienne Ziller, die in einer Ludwigsburger Hebammenpraxis arbeitet und sich auch in der Notbetreuung engagiert. Alleine könnten die Hebammen den Notstand in der Geburtshilfe und bei der Betreuung aber nicht bewältigen. Dass die Politik sich jetzt einschalte, sei deshalb ein ermutigendes Signal – auch für die nächste Hebammen-Generation, die man so vielleicht im Beruf und im Landkreis halten könne. Dass das auch unter einem anderen Gesichtspunkt relevant ist, zeigt Christel Scheichenbauer auf. „Acht Kolleginnen im Großraum Ludwigsburg, die relativ viel in der Freiberuflichkeit arbeiten, sind 60 Jahre aufwärts. Wenn da niemand rechtzeitig nachrückt, wird das Problem prekär und viel Wissen geht verloren.“

Die Vorreiter

Ein Konzept, wie es dem Kreis vorschwebt, gibt es seit kurzem in Besigheim. Dort ist die Hebamme Katja Bürger eine Kooperation mit der Kinderarztpraxis Dreikäsehoch eingegangen. Als die Praxis jüngst umzog, mietete sie sich ein. Sie betreut Schwangere, die keine Hebamme, und frisch Entbundene, die keine Wochenbettbetreuung gefunden haben. „Ich wollte für Besigheim endlich einen ersten Schritt machen“, erzählt sie. „Die kindliche Entwicklung, die psychische Gesundheit der Mutter, die Rückbildung der Gebärmutter: Wir leisten wichtige medizinische Grundversorgung für Mutter und Kind. Und es ist ein Drama, dass Frauen, die erst in der zehnten Woche sind, schon keine Hebamme mehr finden.“

Sie habe zwei Vormittage pro Woche in der Praxis angedacht, sagt die Hebamme, die auch in einer Teilzeitanstellung im Bietigheimer Kreißsaal arbeitet. Schon nach kurzer Zeit stockte sie auf vier Vormittage auf.

Die Vorteile

Das Besigheimer Modell hat einige Vorteile. „Der Austausch mit den Kinderärzten ist ganz hervorragend“, berichtet Katja Bürger. Inhaltliche Überschneidungen gibt es jede Menge, und die Pädiater können Mütter mit ihren Säuglingen unkompliziert an die Fachfrau nebenan verweisen. Bürger hofft, perspektivisch eine oder mehrere junge Kolleginnen mit ins Boot zu holen: „Dass jede Hebamme für sich arbeitet, ist nicht die Zukunft.“ Der Besigheimer Bürgermeister Steffen Bühler (CDU) freut sich über das innovative Konzept, das er als Beitrag zur Daseinsfürsorge sieht. Er hat der Hebamme einen Einmalbetrag als Investitionszuschuss zugesagt. „Wir wollten noch den Kreistagsbeschluss abwarten“, sagt er. „Uns ist aber wichtig, dass Frau Bürger über die Runden kommt.“

Auch in Oberstenfeld gibt es schon Gespräche zwischen Hebammen und Bürgermeister Markus Kleemann (CDU) über eine Verbesserung der Situation vor Ort.