In den verschiedensten Behörden hat noch niemand jemals von so einer gemeinsamen Aktion gehört: Vier Fraktionschefs aus Kernen im Remstal halten in der Haushaltsdebatte eine Rede. Foto: dpa

Bundesweit einmalig: Fraktionschefs verzichten auf „Parteiengezänk“ und ideologische Grabenkämpfe.

Kernen - Am Wochenende erfreuten die über die Prärie reitenden „glorreichen Sieben“ mal wieder die Westernfreunde vor der Mattscheibe. In Kernen im Remstal huldigen die Bürger derzeit allerdings nicht einem Septett, sondern einem Quartett: Es sind „die harmonischen Vier“ – jene Fraktionsvorsitzenden des Ortsparlaments, die in der jüngsten Gemeinderatssitzung zusammen ans Rednerpult marschierten, um darauf gemeinsam die Etatrede zu halten.

Kernen, so ist man in der Kommune mit ihren 15.300 Einwohnern überzeugt, schreibt Parlamentsgeschichte. Was jetzt komme, sei „bundesweit einzigartig“, flüsterte ein Lokalpolitiker den Journalisten noch schnell zu, ehe das Schauspiel im Feuerwehrgerätehaus des Teilorts Stetten begann.

Auf eine gemeinsam und erfolgreich gestaltete Kommunalpolitik zurückblicken

Die Beobachter auf den Zuschauerbänken wie auch die Berichterstatter staunten nicht schlecht, als sich gleich alle vier Sprecher der Fraktionen von ihren Stühlen erhoben und zum Rednerpult marschierten. Abwechselnd trugen der Christdemokrat Andreas Wersch, der Sozialdemokrat Hans-Peter Kirgis, der Unabhängige Freie Wähler Hans Dietzel und Walter Rall (Offene Grüne Liste) rund 30 Minuten lang die einzelnen Passagen ihres gemeinsam erstellten Papiers vor.

Bekanntlich ist die Haushaltsberatung „die Königsdisziplin“ der Politik. Meist nutzen die Redner die Gelegenheit, die eigenen Beiträge zur Fortentwicklung der Gemeinde besonders herauszustreichen und die Minderleistungen der Konkurrenz zu sezieren. Oder, wie es CDU-Mann Wersch in seinem Part formulierte, um politische Standpunkte zu manifestieren und den Bürgern „die eigene politische Wahrheit zu erklären“.

Dies sollte nun an jenem Abend in Kernen allerdings nicht der Fall sein. Man werde darauf verzichten. Warum? „Weil dieser Gemeinderat souverän und selbstbewusst genug ist, um auf eine gemeinsam und erfolgreich gestaltete Kommunalpolitik zurückzublicken. Fernab von parteipolitischem Gezänk.“ Kein Wunder, dass am Ende des Abends der 43-Millionen-Euro-Etat – der Schuldenstand liegt, nebenbei erwähnt, bei null Euro – einstimmig verabschiedet wurde.

„Wir hatten auch schon andere Zeiten“

Friede, Freude, Eierkuchen? Ganz so ist es mit der Harmoniesoße nun allerdings doch nicht. Kernens Bürgermeister Stefan Altenberger sagt: „Wir hatten auch schon andere Zeiten.“ Da wurde heftigst gestritten. Doch das behage der Bevölkerung nicht. Es reifte die Erkenntnis: „Wir kriegen gemeinsam sehr viel mehr für die Bürger hin, als wenn man ideologische Grabenkämpfe pflegt oder wechselseitig Fronten aufbaut.“

Der Schultes sagt, „so lasse ich mich gerne überraschen“, doch spiegele diese Aktion auch das Klima der vergangenen Jahre wider. Viele der in den Teilorten Rommelshausen und Stetten angestoßenen Projekte, etwa das Marketingkonzept, das neue Bürgerhaus, die renovierte Glockenkelter, würden bei Runden Tischen vorbereitet. Doch Altenberger bleibt zurückhaltend: „Wir in der Verwaltung genießen die Situation jetzt mal, es werden auch wieder andere Zeiten kommen.“

Der Kuschelkurs von Kernen – tatsächlich ein republikweit einmaliges Phänomen? Könnte sein. „Wer eine Rede zum Haushalt hält, ist nicht in der Gemeindeordnung geregelt“, erläutert Harald Knitter, Sprecher des Waiblinger Landratsamts. Ob es im Landkreis oder andernorts schon etwas Ähnliches gegeben hat, entziehe sich deshalb der Kenntnis der Kommunalaufsicht.

Fürs Stuttgarter Regierungspräsidium ist die Kernener Prozedur ebenfalls „ein Novum“, so Sprecher Clemens Homoth-Kuhs. Immerhin ist der Behörde bekannt, dass im Regionalverband Heilbronn-Franken seit Jahren abwechselnd immer ein Fraktionssprecher eine Rede für alle hält. In Kernen selbst hält etwa SPD-Mann Kirgis den Begriff „Sensation“ für „etwas übertrieben“. Grünen-Sprecher Rall ergänzt, man habe zwar „keine Forschung betrieben“, doch „wir sind der Meinung, dass wir die Ersten sind“. Nach der Sitzung legte ein Beobachter die Messlatte schon höher: „Nächstes Jahr das Ganze aber bitte im mehrstimmigen Chor.“