Das Ehepaar Martina und Dietmar Lohr und ihre Mieter Foto: Claudia Barner

Martina und Dietmar Lohr aus Waldenbuch wollten nicht nur reden, sie wollten auch etwas tun. Deshalb haben sie ein Haus gekauft und umgebaut – für ihre eigene Familie und für Flüchtlinge.

Waldenbuch - Es gibt Menschen, die reden. Und es gibt Menschen, die handeln. Zur letzten Kategorie gehören Martina und Dietmar Lohr. Das Waldenbucher Ehepaar hat die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen 2016 zu seinem ganz persönlichen Thema gemacht. Die beiden haben ein Haus gekauft und es zum Domizil für drei Parteien umgebaut. Heute wohnen die Familie ihres Sohnes und je eine Familie aus dem Irak und aus Syrien darin Tür an Tür.

Gespür für soziale Misstöne

Dietmar Lohr und seine Frau haben ein Gespür für soziale Misstöne. „Es hat uns sehr beschäftigt, als im Frühjahr 2015 die Diskussion um die Aufnahme von Flüchtlingen einen Keil in die Bevölkerung getrieben hat.“ Das Befremden über die von diffusen Ängsten geprägte Situation nahm zu, als die Verwaltung über Monate hinweg im Gemeindeblatt vergeblich nach Wohnraum für Asylbewerber und Obdachlose suchte. „Es war bekannt: Etwa 60 Wohnungen stehen leer“, sagt Dietmar Lohr. „Auf die Anzeigen hin gab es nach einem halben Jahr kaum Wohnungsangebote, obwohl die Stadt als Mieter ein verlässlicher Partner gewesen wäre. Das hat uns nachdenklich gemacht.“ Lohr ist Manager für SAP-Projekte und Waldenbucher Kirchengemeinderat.

Nach und nach wuchs das Bedürfnis, selbst aktiv zu werden. „Kurz vor Weihnachten 2015 haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, wie wir etwas zum Guten verändern können“, berichtet Martina Lohr. Ihr Mann hatte die grobe Richtung schon im Kopf: „Ich fand es überzeugend, dass der Bürgermeister und der Gemeinderat auf die dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge setzen wollten. Auch wir sind der Meinung, dass Integration dann am besten funktioniert, wenn die neuen Mitbürger so schnell wie möglich am normalen Leben teilnehmen.“

Familienleben auf der Baustelle

Die Idee von einer multikulturellen Hausgemeinschaft war geboren. Der Familienrat tagte. Die beiden Söhne hatten keine Einwände. Die Familie des Älteren bot an, mit einzuziehen. Von Mai bis Oktober 2016 fand das Familienleben der Lohrs auf der Baustelle statt. „Alle haben mit angepackt. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir das geschafft haben“, sagt Martina Lohr beim Blick zurück. Als das Ende des Umbaus absehbar war, nahm das Ehepaar Kontakt mit der Gemeinde auf. „Wir haben die Auswahl der Familien den Experten und Flüchtlingsbetreuern der Stadt überlassen“, erzählt Dietmar Lohr. Zwei Punkte waren den Vermietern jedoch wichtig. „Die neuen Mitbewohner sollten Integrationswillen zeigen und aus einem Gebiet stammen, in dem unter jetzigen Bedingungen kein Leben mehr möglich ist“, sagt Dietmar Lohr. Im Oktober zogen Ahmad und Amina aus Syrien mit ihren vier Kindern ein. Kurze Zeit später stellten sich Hussein und Nasrin aus dem Irak bei Familie Lohr vor. Die Chemie stimmte. Das war genug. „Wir hatten keine bestimmten Erwartungen, keine Schulungen absolviert und wussten nichts Genaues über den Islam. Wir haben die Sache auf uns zukommen lassen, sind offen geblieben, haben beobachtet und nachgefragt“, berichtet Martina Lohr.

Aus dem Flüchtling wird plötzlich ein Mensch

Heute weiß sie: „Das war der richtige Weg. Wenn man auf die Menschen zugeht und ihnen die Hand reicht, steht hinter dem anonymen Wort Flüchtling plötzlich ein Mensch, ein Name, eine Geschichte und ein Freund.“

Bei den letzten Umbauarbeiten haben die neuen Mitbewohner schon mit angepackt. Begriffe wie „Schrauber“ und „Stichsäge“ gehen Hussein mittlerweile leicht über die Lippen. In einer Whatsapp-Gruppe hält man den Kontakt und verständigt sich mit Emoticons, wo die Worte noch fehlen. Ein gemeinsamer Ausflug ins Rosensteinmuseum, eine Wanderung und ein Gartenfest haben die neue Hausgemeinschaft zusammengeschweißt.

„Wir haben sicherlich auch Glück gehabt“, sagt Dietmar Lohr. Im Grundsatz aber fühlt er sich bestärkt in seiner Überzeugung: „Es ist entscheidend, wie man aufeinander zugeht. Man muss die Menschen kennenlernen. Dann kann man sich ein Urteil bilden. Jeder hat eine Chance verdient.“