Johannes Heynold auf der Helene-Schoettle-Staffel Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Stuttgarter hocken gerne auf Treppen. Ob am Schlossplatz oder am Feuersee. Wohl weil man sie erklimmen muss und so bereits was g’schafft hat, bevor man sich dem Müßiggang hingibt. In Heslach kann man auf den Stäffele nicht nur sitzen, sondern auch spielen, kochen und musizieren.

Stuttgart - Manchmal wird selbst ein Stäffelesrutscher betriebsblind. Oder sollte man besser sagen, betriebstaub? „Stauhauptstadt“! „Autostadt!“ „Feinstaubmetropole!“, so oft bekommt man diese Begriffe, um die Ohren geschlagen, dass man schließlich glaubt, dem Homo Stuttgartiensis wüchsen Gaspedale statt Füße. Dabei hat man diese Stadt einst für Fußgänger gebaut. Schwer zu glauben? Stimmt aber. Zugegeben, man kann es leicht vergessen, ob einer Verkehrspolitik, die dem Auto Vorfahrt gewährte. Doch der beste Beleg sind die mindestens 400 Stäffele in der Stadt. Gebaut, um die Hänge zu erklimmen. Per Pedes, versteht sich. Allerdings bedarf es eines Auswärtigen, um die eigenen Schätze besser zu erkennen.

Johannes Heynold kommt aus Frankfurt. Seit anderthalb Jahren studiert er in Stuttgart Architektur und Stadtplanung. Er wohnt oberhalb der Staatsgalerie und hat schnell entdeckt, dass die Treppen in der Stadt sehr praktisch sind. Man kommt zügig voran und braucht kein Fitnessstudio. So ist er denn auch rank und schlank und kein bisschen außer Atem, als er auf einem Absatz der Helene-Schoettle-Staffel in Heslach erzählt, was er vorhat. Sein Schwäbisch benötigt noch etwas Schliff, aber mittlerweile weiß er, dass die Eingeborenen zu den Treppen Stäffele sagen. So nennt er sein Projekt folgerichtig in einer Mischung aus Dialekt und Weltgewandtheit „Stäffele Gallery“. Der Stuttgarter Süden wird aushäusig. Es ist kein Modell wider die Wohnungsnot, doch 15 Studenten werden sich in den nächsten drei Wochen vier Stäffele in Heslach widmen und sie umgestalten. Als Räume eines Hauses. An der Taubenstaffel entsteht ein Wohnzimmer, an der Witthohstaffel ein Kinderzimmer, an der Elsterstaffel ein Hobbyraum, und an der Finkenstaffel die Küche. Eigentlich wollten sie auf der Helene-Schoettle-Staffel kochen, doch die erwies sich denn doch als zu schmal. Also zog man kurzfristig um.

Studenten haben eine Woche Zeit zum Ausbau

„Es sind drei Teams zu je fünf Studenten am Werk“, sagt Heynold, „sie dürfen maximal 1000 Euro ausgeben, um ihre Stäffele umzubauen.“ Und dürfen dabei nur recyceltes Material benutzen. Am Montag beginnen sie, und haben dann eine Woche Zeit. Danach werden die Staffeln zwei Wochen lang bespielt. Man lädt die Anwohner mittels Postkarten ein zum gemeinsamen Essen und Reden, quasi zur Hocketse auf den Stäffele. Es wird Musik gemacht, vorgelesen, Filme gezeigt. „Wir haben uns deshalb für Heslach entschieden, weil es hier viele Stäffele gibt und sie eng beieinander sind.“ Schließlich soll man einfach von der Küche ins Wohnzimmer gelangen können. Zu Fuß natürlich.

Doch warum das alles? Da müssen wir nochmal anderthalb Jahre zurückblenden, als Heynold nach Stuttgart kam. Auch er hatte die Bilder von der Autostadt und dem ewigen Stau im Kopf, und war überrascht, dass die Stadt grün ist, und dass man hier gut zu Fuß sein kann. „Ich habe die Treppen gesehen und mir war erst nicht klar, wo sie hinführen.“ Ins Glück? Ins Verderben? Zum Ziel? Eines Tages stiefelte er los. Und siehe da: Er war äußerst schnell an der Uni. So begann er weitere Stäffele zu erkunden. Und erschloss sich so die Stadt und ein bisschen auch ihre Seele.

Man kann dort kochen mit dem Zauberlehrling

Wer den Stäffele folgt, entdeckt Ecken und Orte, die er vom Sitz eines Autos niemals entdeckt. Und er lernt etwas über die Historie. Ist es doch die höchste Ehre für einen Stuttgarter, dass eine Staffel seinen Namen bekommt. Manfred Rommel natürlich ausgenommen, für den musste es schon ein ganzer Flughafen sein. Aber Willy Reichert und Oscar Heiler, Max Ackermann, Heinrich Schickhardt und Ernst Wulle bekamen eine Staffel. Blöd nur, dass man dafür tot sein muss. Die Ehre gibt’s nur posthum. Allerdings bekommt man so nicht mehr mit, wer alles auf einem herumtrampelt.

Heynold war begeistert. Doch wohin mit der Liebe? Er wurde aufmerksam auf das „Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur“. Man merkt, der Name wurde von Bürokraten und Wissenschaftlern erdacht. Die Uni Stuttgart erkundet, wie nachhaltige Mobilität aussehen könne. Also eine Mobilität, die nicht nur nach den Bedürfnissen des Autofahrers ausgerichtet ist. Wie lassen sich Lärm und Dreck verringern, Gesundheit, Bewegung und Teilhabe fördern? Ganz einfach, dachte sich, Heynold, zu Fuß gehen. Ganz im Sinne des Mundartdichters Friedrich Vogt: „Wenn Stuagert koine Stäffele hätt, no wärs koi Stuagert meh, no wäret seine Mädla net so schlank ond net so schee!“

Er überlegte sich ein Konzept, wie man „die Staffeln wieder zu einem öffentlichen Raum machen kann, in dem sich die Menschen begegnen.“ Das Konzept gefiel, wird gefördert und nun umgesetzt. Damit er nicht allein mehrere Stufen auf einmal nehmen muss, bekommt er Hilfe. Da wären die Studenten, die Kochschule des Zauberlehrling, Mitarbeiter vom Sportamt, Bands, Discjockeys, Vorleser und andere Kulturschaffende. Das genaue Programm wird sich erst im Laufe der nächsten Woche herausschälen. Und es wäre kein wissenschaftliches Projekt, würde es nicht genau erfasst. Ein Student wird Nachbarn und Stäffeles-Bezwinger aushorchen. Und Passanten zählen. Er will prüfen, ob man so einen Stufenprozess anstoßen kann, der dazu führt, dass die Stuttgarter ihre Stäffele wieder bewusster wahrnehmen. Als Weg, als Kleinod, aber auch als besonderer Stadtraum. Auf dem man sich auch einmal zu einem Schwätzle niederlassen darf – wie auf den Treppen am Schlossplatz.