Frank Peter Unterreiner, 47, ImmobilienexperteIn erster Linie werden künftig die Immobilienkäufer unter der Erhöhung der Grunderwerbsteuer leiden, davon ist Frank Peter Unterreiner überzeugt. Vor allem die Schwellenhaushalte, also Haushalte mit einem Nettoeinkommen von 1500 bis 2250 Euro. „Wenn weniger Menschen eine Immobilie kaufen, zieht das einen Rattenschwanz nach sich: Dann leidet die gesamte Immobilienbranche, also etwa Makler, Bauträger und Handwerker.“ Da in Großstädten aber die Nachfrage nach Immobilien größer sei als das Angebot... Foto: Piechowski

Stadt wünscht gesetzlich verankerten Anspruch auf Mehreinnahmen - Ministerium unentschlossen.

Stuttgart - Die Grunderwerbsteuer wird vom 1. Oktober an von 3,5 auf 5 Prozent erhöht. Die Mehreinnahmen sollen in den Ausbau der Kleinkindbetreuung und die Umsetzung des Orientierungsplans fließen. Kinder sollen mehr als bisher schon in frühen Jahren Bildung und Sprachförderung erfahren, gleichzeitig will die Landesregierung die Schulsozialarbeit verstärken und das Mittagessen in Ganztagsschulen für alle Schülerinnen und Schüler gewährleisten. „Diese für unsere Kinder wichtigen Investitionen rechtfertigen die Erhöhung der Grunderwerbsteuer“, sagten Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid am vergangenen Dienstag in Stuttgart.

Nicht nur in Baden-Württemberg steht eine Erhöhung der Steuer zur Debatte

Was die politischen Gegner der rot-grünen Landesregierung jetzt als familienfeindliche Politik geißeln, ist im Rest der keineswegs grün-rot dominierten Republik längst gang und gäbe: Die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg haben den Grunderwerbsteuersatz bereits auf 4,5 Prozent erhöht, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt werden ab 2013 folgen, Brandenburg, Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein schöpfen fünf Prozent ab und das Saarland vier Prozent.
Makler, Wohnbauunternehmer und Finanzberater lassen ihr Publikum jetzt schon wissen, was von Oktober an zu tun ist: Käufer sollen darauf achten, dass der Grundstückskauf an einem anderen Ort abgewickelt wird als der Hausbauvertrag, und der Verkäufer des Grundstücks sollte nicht identisch sein mit dem Bauträger oder der Baufirma. Sonst werde die Grunderwerbsteuer nicht allein auf den Kaufpreis des Grundstücks fällig, sondern auf den kompletten Kaufpreis für Grundstück und Eigenheim.
Solche Winkelzüge sind bei bebauten Grundstücken, also beim Kauf eines bestehenden Hauses, kaum möglich. „Da muss ich passen“, sagt selbst Thomas Zügel, der Leiter des Stuttgarter Liegenschaftsamts. „Das Haus ist und bleibt der Wert, der ins Grundbuch eingetragen ist und der von den Banken als Sicherheit verlangt wird. Das lässt sich kaum voneinander trennen.“

Ein Mehrfamilienhaus in Stuttgart kostet zwischen 600 000 und 800 000 Euro

In der Landeshauptstadt kommt bei einem Immobilienkauf mitunter eine hübsche Summe zusammen. „Bauplätze kosten zwischen 500 und 1400 Euro pro Quadratmeter, ein Mehrfamilienhaus zwischen 600 000 Euro in der Neckarvorstadt und 800 000 Euro im Gerberviertel“, sagt Zügel. Weil Stuttgart als sicherer Markt gelte – hier finden sich verlässlich Mieter –, sei der Andrang der Kapitalanleger zurzeit recht groß. Dass die sich durch die Steuererhöhung abschrecken lassen, glaubt Zügel nicht: „Unsere Verhandlungspartner – zum Beispiel über die Verträge auf dem Killesberg – werden darauf drängen, dass wir die Verträge noch vorm 1. Oktober abschließen, und vielleicht gibt es bis zum Jahresende eine kleine Flaute, aber die wird sich wieder legen.“ Stuttgarts Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer kann sich also weiter darüber freuen, „dass das Land bereit ist, mehr in die Kinderbetreuung und Schulsozialarbeit zu investieren und vor allem in jene Aufgaben, zu denen wir vom Land verpflichtet wurden“.

Noch ist nicht sicher, wo das Geld hinfließen soll

Offen ist, welche Beträge in die Stadt- und Landkreise fließen. „Wir haben im Haushalt 2011 Einnahmen aus Grunderwerbsteuer in Höhe von 35 Millionen Euro eingestellt“, sagt Kämmerer Scheible. Die Summe entspricht 55,5 Prozent der Steuereinnahmen, die das Finanzamt Stuttgart an das Land abgeführt hat. „Entweder das Land beteiligt uns weiterhin nur an 3,5 Prozent und verteilt die Mehreinnahmen (geschätzte 350 Millionen Euro) nach eigenem Gutdünken aufs Land, oder das Gesetz wird geändert, und wir bekommen unsere Zuweisung aus den fünfprozentigen Steuereinnahmen“, sagt der Kämmerer. Diese Lösung wäre ihm am liebsten, „denn damit hätten wir stabile Mehreinnahmen, die uns bei unseren Aufwendungen für die Kinderbetreuung entlasten würden“. In diesem Jahr wären rund 20 Millionen Euro mehr geflossen.
Diese Summe fünf Jahre lang in Folge – und die Investitionskosten zum Ausbau der Ganztagsgrundschulen in Stuttgart wären damit beglichen. Die Verwaltung schätzt die Kosten auf rund 100 Millionen Euro. Die Landesregierung ist in dieser Frage allerdings noch unentschlossen. „Die Mehreinnahmen fließen zunächst mal ans Land und werden dann entsprechend den gesetzten Zielen verwendet. Wie, wird noch diskutiert“, sagte am Freitag ein Sprecher des Finanzministeriums.

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