Die Regierung will Medizinstudenten die Hausarztpraxis schmackhaft machen. Die Unis vernetzen sich mit den Regionen. Es gibt eine Landarztquote für Studienplätze. Reicht das?
Viele Patienten machen sich Sorgen. Sie finden keinen Hausarzt, und die Aussichten sind nicht rosig. Die Kassenärztliche Vereinigung befürchtet, dass in den kommenden Jahren mehrere Hundert Praxen in Stadt und Land wegfallen könnten. Etwa 1400 Hausärzte in Baden-Württemberg seien älter als 65 Jahre. In ländlichen Regionen könnten die Wege zum nächsten Arzt besonders weit werden. Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) rührt eifrig die Trommel für die Landarztquote. Dadurch können 75 Menschen einen Medizinstudienplatz ergattern, die den Numerus clausus nicht erfüllen, aber Erfahrungen aus einem Gesundheitsberuf vorweisen und einen Eignungstest bestehen. Aktuell ruft Lucha mit der Kampagne „The Ländarzt“ zur Bewerbungsrunde im März auf.
Wer aufgenommen wird, muss sich verpflichten, nach der Ausbildung zehn Jahre lang in einem strukturschwachen Gebiet als Allgemeinmediziner zu arbeiten. 150 Plätze hat das Land seit 2021 über die Quote vergeben. Das ist die Hälfte der neu geschaffenen Studienanfängerplätze für Medizin. Die Opposition verlangt mehr.
Doch es gibt Skeptiker. Der Hausarzt Adrian Hettwer, der gemeinsam mit seiner Frau Claudia Hettwer in Calw praktiziert, nennt die Quote diplomatisch „einen guten Ansatz“. Er ist in der Auswahlkommission und findet es „sehr schwierig“, die geeigneten Bewerber herauszufiltern.
Landarzttrack steht allen angehenden Ärzten offen
Auch Stephan Zipfel, Studiendekan der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen, gibt dem sogenannten Landarzttrack klar den Vorzug. „Wir wollen den Track so attraktiv wie möglich machen und würden ihn gerne intensivieren“, sagte er unserer Zeitung.
Das Neigungsprofil „Ländliche Hausarztmedizin“ wird seit dem Wintersemester 2020/2021 an allen fünf medizinischen Fakultäten im Land angeboten. Der Landarzttrack steht allen angehenden Ärzten offen. Zipfel sieht ihn als breiten Zugang zur Allgemeinmedizin. Damit verbunden sind „Regionen für ärztliche Ausbildung“, die die Vernetzung der medizinischen Fakultäten mit Lehrkrankenhäusern, Landarztpraxen, Versorgungszentren und Gemeinden im ländlichen Raum voranbringen sollen.
Auch Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) setzt darauf. Sie sagte unserer Zeitung: „Die Landesstrategie ‚Regionen für ärztliche Ausbildung‘ ist ein wichtiger Meilenstein, um die ärztliche Versorgung auf dem Land langfristig zu sichern und insbesondere den medizinischen Nachwuchs für die Tätigkeit in hausärztlichen Praxen in ländlichen Regionen zu begeistern.“ Sie ist „davon überzeugt, dass eine Tätigkeit im ländlichen Raum für die angehenden Ärztinnen und Ärzte umso attraktiver wird, wenn die dortigen Versorgungsstrukturen stärker mit der universitären Ausbildung verknüpft werden“.
Ziel ist die Vernetzung
Jede Uniklinik hat sich zunächst einer Partnerregion angenommen. Für die Uniklinik Tübingen ist der Landkreis Calw der erste Partner. 25 Studierende haben den ersten Durchgang bereits durchlaufen, berichtet Stephan Zipfel. „Das hat sehr gut geklappt.“ Die Kontakte sollen sich während des Studiums fortsetzen.
„Vernetzung ist alles“, sagen Stephan Zipfel und Adrian Hettwer, der mit seiner Praxis auch beteiligt ist. Die Patienten hätten mit den Studenten kein Problem. Sie werden durch einen Aushang im Wartezimmer informiert. Jedes Jahr kommen acht bis zehn Medizinstudenten in die Lehrpraxis in Calw, viele davon im Pflichtpraktikum. Adrian Hettwer schätzt, „mit Glück wird jeder zehnte Allgemeinmediziner“. Und er weiß, es ist schwer, Stadtpflanzen für das Land zu gewinnen: „Es kommen diejenigen zurück, die hier verwurzelt sind.“ Und auch die werden wohl keine Einzelpraxis übernehmen. Die jungen Landärzte achten auf Ausgleich: „Es ist in der Medizin noch nie so viel Teilzeit gearbeitet worden“, sagt Hettwer. Ein Grund für den hohen Bedarf an Medizinern.
Weitere Regionen können sich bewerben
Die Unis wollen den Landarzttrack ausbauen. „Wir wollen weitere Regionen an Bord nehmen“, sagt Studiendekan Zipfel aus Tübingen. Die Ausschreibung werde derzeit vorbereitet. Die Regionen sollen sich bis Sommer melden. Das Interesse der Studierenden an der Allgemeinmedizin ist nach Einschätzung von Stephan Zipfel gestiegen. Auch werde „die Allgemeinmedizin als Teil des Fächerkanons inzwischen deutlich ernster genommen“. Jede medizinische Fakultät im Land habe nun einen eigenen Lehrstuhl und eine eigene Professur für Allgemeinmedizin. Doch damit ist es nicht getan. „Die Kassen könnten Ärzte auf dem Land besser honorieren“, und auch die Politik könnte Niederlassungen unterstützen, führt der Hausarzt Hettwer an.
Auch Studiendekan Zipfel unterstreicht: „Die Politik muss dafür sorgen, dass medizinische Versorgungszentren und Praxisgemeinschaften in den Regionen unterstützt werden.“ Da müsse definitiv noch mehr kommen. „Man darf sich nicht darauf verlassen, dass der Landarzttrack das Problem der Niederlassungen im ländlichen Raum alleine löst. Das wird er nicht.“
Modellregionen
Den Auftakt zu den Regionen für ärztliche Ausbildung haben die medizinischen Fakultäten mit jeweils einer Region gemacht: Die Uni Freiburg kooperiert mit Tuttlingen, Heidelberg mit Heilbronn und dem Neckar-Odenwald-Kreis. Mannheim widmet sich der Region Crailsheim, Tübingen kümmert sich um Calw und Ulm um den Alb-Donau-Kreis und den Ostalb-Kreis.
Unterstützung
Die Umsetzung der Modellregionen hat nach Auskunft des Wissenschaftsministeriums 2021 begonnen. Die Regionen wurden demnach mit insgesamt 1,5 Millionen Euro unterstützt.