Etliche Hausärzte lehnen Hausbesuche ab Foto: dpa

„Ein Praxisbesuch ist Stress für alle“, sagt Adina Wahl. Die patente Sekretärin kümmert sich zusammen mit ihrem Vater um die pflegebedürftige Mutter. Arzttermine mit der demenzkranken Frau sind kaum zu machen, Hausbesuche hat der Hausarzt abgelehnt.

Stuttgart - Adina W.ist jetzt 52 Jahre alt. Eine versierte Sekretärin, für die Organisationsfragen eine liebsame Herausforderung sind. Lösungen liegen für sie eigentlich immer klar auf der Hand, nahezu nichts stellt für sie ein Problem dar. Seit ihre Mutter pflegebedürftig ist, macht sie andere Erfahrungen.

„Vor zehn Jahren bemerkten wir zum ersten Mal Anzeichen von Demenz bei meiner Mutter“, erzählt sie. Inzwischen ist die 87-Jährige in Pflegestufe II eingestuft und wird daheim von Adina W.s Vater betreut. Er ist 86 Jahre alt und bewältigt die Aufgabe mit Hilfe des ambulanten Pflegedienstes.

Seit über 60 Jahren besucht das Ehepaar dieselbe Hausarztpraxis. Bisher konnte sich der Ehemann auch auf den Arzt verlassen – bis zu dem Tag, an dem seine demenzkranke Frau nicht mehr in die Sprechstunde kommen konnte. „Hausbesuche, hieß es, würde der Arzt grundsätzlich nicht machen“, so Adina W.

An einer ärztlichen Untersuchung ging kein Weg vorbei, und so nahm sich die Sekretärin einen Tag frei und begleitete ihre Eltern zu dem fest vereinbarten Termin. Schon die Vorbereitung auf den Besuch war schwierig. Weil sie nüchtern zur Blutabnahme kommen sollte, war der normale Ablauf am Morgen hinfällig: Kein langes Frühstück im Bademantel, kein langsames Zurechtmachen. Demenzkranke verstört das. „Bis meine Mutter richtig wach ist, dauert es mindestens eine halbe Stunde. Wenn man meine Mutter aber zur Eile drängt, erledigt sie absichtlich alles extra langsam. Sie entscheidet sich dann immer noch mal für ein anderes Kleid oder will noch einmal gekämmt werden. Solche Termine sind Stress für alle Beteiligten.“

Besonders ärgerlich war für Mutter, Vater und Tochter ein Untersuchungstermin beim Radiologen. Unter dem üblichen Termindruck war es Adina W. schließlich gelungen, ihre Mutter in die Praxis zu bringen – um wieder weggeschickt zu werden. „Es würden schon zu viele Patienten warten“, so Adina W. Ein anderes Mal war das Ehepaar ohne Tochter beim Arzt. Im Wartezimmer nässte sich die Mutter ein. „Mein Vater wusste sich nicht zu helfen und schämte sich in Grund und Boden.“ In vielen Praxen fehle eben noch das Verständnis für alte, gebrechliche und demente Patienten, meint Adina W.

Nach der Entlassung der 87-Jährigen aus dem Krankenhaus, wo sie wegen Dehydrierung behandelt worden war, tauchten weitere Probleme auf: „Wir wussten nicht, welche Tabletten in der Dose waren, die uns mit nach Hause gegeben worden ist, wir hatten keinen Medikamentenplan, und man drückte uns lediglich einen Entlassungsbrief in die Hand, aus dem nur ein Arzt schlau wurde.“ Alles zusammen führte dazu, dass die Familie einen neuen Hausarzt suchte, der bereit war, die Mutter zu Hause aufzusuchen.

Seither überprüft der Mediziner monatlich die Medikamentierung. Der Pflegedienst, der täglich vorbeikommt, ist darüber informiert und achtet auf die Verordnung. Adina W. ist ein Stück weit entlastet und weiß ihre Eltern in guten Händen. Aber sie warnt: „Wenn sich die Ärzte nicht auf die zunehmend älter werdenden Leute einstellen, gibt das bald ein riesiges Problem.“