Landarzt Daniel Körting beantwortet die Fragen der Studenten. Foto: Techniker Krankenkasse

Langweilig, arbeitsintensiv, schlecht bezahlt – Vorurteile über den Beruf des Hausarztes gibt es viele. Die Techniker Krankenkasse will das ändern und geht mit Medizinstudenten auf Tour.

Mosbach/Waldbrunn - Oberbürgermeister Michael Jann (CDU) hat sich auf seine Besucher vorbereitet: „Ich habe Ihnen gleich mal einige Welcome-Täschle richten lassen“, sagt er – und die Medizinstudenten lachen. Es ist der letzte Tag der diesjährigen TK-Hausarzt-Tour. Die große Kreisstadt Mosbach ist eine der Stationen, in der der Kleinbus der Techniker Krankenkasse (TK) mit fünf Studentinnen und einem Studenten Halt macht.

Im Mosbacher Rathaus tauschen sich Vertreter der Kommunen mit den angehenden Medizinern aus. „Sie haben hier praktisch den Urlaub vor der Haustür“, wirbt Björn-Christian Kleih, erster Landesbeamter des Neckar-Odenwald-Kreises, für die Region. Günstiges Bauland, ein hoher Freizeitwert, das familienfreundliche Umfeld – viele Faktoren sprächen für eine Tätigkeit auf dem Land. „Wir werden die Ansiedlung von Ärzten nach Kräften unterstützen“, betont Kleih. Noch sei die ambulante Versorgung in der Region relativ gut. Aber: 72 Prozent der Hausärzte im Neckar-Odenwald-Kreis sind über 50 Jahre alt, 31 Prozent bereits über 60.

In anderen ländlichen Regionen des Landes sieht es kaum anders aus. In absehbarer Zeit werden folglich zahlreiche Hausärzte Nachfolger suchen. Und das ist nicht leicht: „Das Image des Hausarztes ist schlecht“, sagt Lucy Bischofsberger, Medizinstudentin im fünften Semester an der Universität Gießen. Das liege vielleicht auch an den zahlreichen Arztserien, die alle im Krankenhaus spielen und leicht den Eindruck vermitteln, dass medizinisch spannende Dinge nur dort passieren. „Viele Studenten wollen lieber in die Chirurgie“, meint Bischofsberger.

Zwölf Studenten fahren durch Baden-Württemberg

Um den Nachwuchs für den Hausarztberuf zu begeistern, hat die Techniker Krankenkasse die TK-Hausarzt-Tour ins Leben gerufen. Insgesamt 12 Medizinstudenten aus ganz Deutschland sind dabei unterwegs in Baden-Württemberg. Sie sprechen mit erfahrenen Hausärzten, informieren sich über Gründung und Finanzierung einer Praxis und kommen mit Vertretern der Kommunen ins Gespräch.

„Wir sind froh über dieses Forum“, sagt Björn-Christian Kleih. Warum der Landkreis oder die Stadt solche Veranstaltungen nicht in Eigenregie veranstalten? Betretenes Schweigen bei Kleih und dem Oberbürgermeister. „Die Kassen sind näher am Klientel dran“, versucht der erste Landesbeamte zu erklären. Dass junge Menschen eher in die Ballungsräume tendieren, betrachtet er als allgemeines Phänomen. „Aber wenn sie erst mal hierher gekommen sind, stellen sie fest, dass es im positiven Sinne doch ganz anders ist, als sie dachten“, sagt Kleih.

Positiv klingt auch, was Daniel Körting seinen angehenden Kollegen erzählt. Der 33-Jährige hat im Januar vergangenen Jahres die Hausarztpraxis des Vaters in Waldbrunn übernommen, einem Ort mit rund 4600 Einwohnern etwa 18 Kilometer von Mosbach entfernt. „Ich bin sehr zufrieden mit meiner Entscheidung“, betont er, als er die Studenten durch die 220 Quadratmeter große Praxis führt. In den hellen, modern eingerichteten Räumen riecht es nach Desinfektionsmittel. Außer ihm praktizieren in dem neu errichteten Gebäude auch ein Zahnarzt und eine Psychotherapeutin.

Gute Verdienstmöglichkeiten und viel Arbeit

Die Studenten löchern den jungen Arzt mit Fragen: Wie viele Sprechstundenhilfen hat er? Wann kann er Feierabend machen? Wie viel Zeit geht für Abrechnung und Verwaltung drauf? Wie sieht es mit Wochenend- und Nachtdiensten aus? Wie groß ist der Patientenstamm und lohnt sich so eine Praxis überhaupt finanziell? Die 26-jährige Sufang Chen hat besonders viele Fragen. Sie hat bereits in China Medizin studiert und an der Universität Leipzig im fünften Semester begonnen. Noch ist in Deutschland vieles neu für sie. Später hätte Chen gerne eine eigene Praxis, vielleicht in der Heimat. Dort ist Allgemeinmedizin ein eigener Studiengang.

Daniel Körting beantwortet geduldig lächelnd jede Frage. „Man hat gute Verdienstmöglichkeiten, aber auch gut zu tun“, sagt er etwa, und dass die Arbeitszeiten im Krankenhaus schlechter seien. Wer auf dem Land eine Praxis habe, müsse um deren Überleben nicht bangen. Sein Vater Andreas, 73 Jahre alt und noch in der Praxis angestellt, meint: „Finanzielle Überlegungen sollten nicht im Vordergrund stehen bei der Wahl der Praxisform. Man sollte seinem Herzen folgen.“ Ina Gehweiler, Studentin an der Uni Tübingen im fünften Semester, sieht das ähnlich: „Ich bin einfach froh, dass ich Ärztin werden kann, da finde ich den finanziellen Aspekt nicht so wichtig.“ Schließlich könne jeder Arzt, egal welcher Fachrichtung, von seinem Beruf leben, ist die 21-Jährige überzeugt.

Der Hausarzt muss nicht alles wissen

Andreas Körting lässt den Blick über die fünf jungen Frauen schweifen. Die Medizin ist weiblich geworden – zwei Drittel aller Medizinstudierenden sind Frauen. „Ob eine eigene Praxis auf dem Land für eine verheiratete Frau ein dankenswerter Job ist, ist die Frage“, sagt der 73-Jährige. Seiner Meinung nach ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Stadt größer wegen geregelterer Arbeitszeiten.

„Ich glaube, wenn man in einer Praxis angestellt ist, ist es leichter, in Teilzeit zu arbeiten als im Krankenhaus“, sagt Anna Topf Aguiar de Medeiros. Die 24-Jährige studiert im zwölften Semester in Freiburg. Sie hat ein Praktikum bei einem Hausarzt in Radolfzell gemacht. „Seitdem kann ich es mir immer mehr vorstellen, Hausärztin zu werden.“ Dazu müsse es nicht unbedingt eine eigene Praxis sein – auch eine Anstellung kommt für sie und die anderen Teilnehmer der Tour in Frage. Dabei spielt das Geschlecht keine Rolle: „Ich will nicht allein eine Praxis führen“, sagt Ferdinand Fischer, der einzige Mann in der Gruppe. Es sei besser, sich die Verantwortung mit anderen zu teilen, so der 27-Jährige, der in Tübingen im elften Semester studiert.

„Junge Männer wollen eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf genauso wie die Frauen“, hat Andreas Vogt, Leiter der TK-Landesvertretung Baden-Württemberg, beobachtet. Eine Reihe von Gesetzesänderungen soll die ambulante Versorgung für junge Mediziner attraktiver machen – so wurde etwa die Anstellung von Kollegen, auch in Teilzeit, vereinfacht. Doch von vielen dieser Maßnahmen haben die Teilnehmer der Hausarzt-Tour noch nie gehört. An der Uni steht die medizinische Ausbildung im Vordergrund. „Ich hätte nicht damit gerechnet, dass man bei der Finanzierung der Praxis so viel Unterstützung erhält“, sagt Lucy Bischofsberger. So erhält ein Hausarzt bis zu 30 000 Euro Landesförderung, wenn er sich in Baden-Württemberg in einer ländlichen Gemeinde niederlässt.

Ängste nehmen

„Wir möchten den Studenten die Ängste, die oft mit dem Hausarztberuf verbunden sind, nehmen“, beschreibt Hubert Forster von der Techniker Krankenkasse eines der Ziele der Tour. Er hofft auf einen Multiplikatoreneffekt unter den Studenten. Rund 50 Bewerbungen für die Rundfahrt hat die Krankenkasse in diesem Jahr erhalten. „Wir möchten aber auch der Öffentlichkeit und unseren Versicherten zeigen, dass wir uns um die hausärztliche Versorgung kümmern. Die Entwicklung in diesem Bereich kann die Krankenkassen nicht unberührt lassen.“

Ob es etwas gebracht hat? „Für mich war Hausarzt schon vorher eine Option, die Tour hat mich darin bestärkt“, sagt Ferdinand Fischer. „Es ist ein attraktiver Beruf, das hat man an der Begeisterung und Zufriedenheit der Hausärzte gemerkt“, resümiert er. Die gängigen Vorurteile – schlechte Bezahlung, familienfeindliche Arbeitszeiten, geringe Reputation, langweilige Tätigkeit – hätten sich nicht bestätigt. Im Gegenteil: Alle Ärzte, mit denen sie im Rahmen der Tour gesprochen haben, hätten betont, wie abwechslungsreich der Beruf des Hausarztes ist, berichten die Studenten übereinstimmend.

Auch der Hausarzt muss nicht alles wissen

Das führt aber auch zu Unsicherheit: „Man muss so viel können als Hausarzt, an allen Ecken auf dem neuesten Stand sein“, sagt Ina Gehweiler. „Ich habe mich immer gefragt, ob man das überhaupt leisten kann.“ Ihre Erkenntnis nach der Tour: „Es ist möglich. Man muss nicht alles wissen, es gibt Fachportale und man kann Kollegen fragen.“

Ein anderer Aspekt, der die angehenden Mediziner reizt: Das intensive Arzt-Patienten-Verhältnis. „Der Hausarzt begleitet seine Patienten oft eine lange Zeit“, sagt die 23-jährige Lydia Sorger. Besonders auf dem Land sei der Arzt in der Bevölkerung sehr anerkannt. „Die Reputation unter Kollegen brauche ich nicht“, sagt die Studentin der Universität Gießen. Sorger möchte gerne wieder zurück aufs Land – in der Nähe von Karlsruhe ist sie aufgewachsen. Wird sie also Hausärztin? „Ich kann es mir vorstellen, aber ich lege mich noch nicht fest.“