Sowohl auf dem Land als auch in der Stadt gibt es zunehmend weniger Ärzte, die eine eigene Praxis betreiben möchten. Foto: dpa/Benjamin Ulmer

Bald schließt in Steinenbronn eine von zwei Hausarztpraxen. Die Suche nach einem Nachfolger verlief sehr schleppend. Nun ist die drohende Versorgungslücke geschlossen – aber nicht komplett. Und das Gesundheitswesen im Ort krankt noch aus anderem Grund.

Steinenbronn - Es ist ein Donnerstagnachmittag mitten im Dezember. Ulrike Drexel ist auf dem Weg in die Gemeinschaftspraxis von Margit Kraushaar-Scheifele und Wolf Scheifele – eine von zwei Hausarztpraxen in Steinenbronn. Beim Eingang trifft sie auf einen älteren Mann, der sich mühsam mit seiner Gehhilfe die Treppen hochquält. Ulrike Drexel überlegt nicht lang und hilft. In der Praxis angekommen, mahnt sie die fehlende Barrierefreiheit an. Doch die Helferin kann lediglich einen ärztlichen Hausbesuch als Lösung anbieten. Wer die Treppen nicht hinaufsteigen könne, solle einen Termin mit dem Arzt bei sich daheim vereinbaren.

In der Doppelpraxis ist dann nur noch ein Arzt

Wütend über den Vorfall im Treppenhaus wendet sich die Rentnerin eine Woche später mit einem Brief an die Gemeinderäte und an Bürgermeister Johann Singer. Eine Behandlung nur zu Hause hält Drexel auf Dauer für ungeeignet. Der Arzt habe nicht alle diagnostischen Geräte dabei, verliere zudem „zu viel kostbare Sprechzeiten für andere Patienten“, meint sie in ihrem Brief. „Unter uns lebt eine Vielzahl von Senioren, die gehbehindert oder einfach nicht mehr fit genug zu Fuß sind.“ Sie fordert, dass zeitnah „ein barrierefreies Ärztehaus für die Bevölkerung“ umgesetzt wird. Tatsächlich war gegenüber der Kirche mal ein solches Projekt anvisiert. Es scheiterte aber an den hohen Kosten. Ein weiterer geeigneter Bauplatz für ein Ärztehaus sei vorhanden, teilt Singer mit. Gemeinderat Otto Elsäßer ist froh darüber, dass „jemand aus der Bürgerschaft das leidige Thema aufgreift und der Verwaltung Druck macht“.

Ein weiteres Problem war lange ein drohender Ärztenotstand in Steinenbronn. Die Hausärzte Margit Kraushaar-Scheifele und Wolf Scheifele werden am 1. April in den Ruhestand gehen und ihre Praxis schließen – nach fast 30 Jahren. Dann bliebe nur noch eine Praxis übrig in dem Ort mit rund 6500 Einwohnern. Inzwischen ist dies abgewendet: Genc Kelmendi, ein Arzt aus Tübingen, übernimmt die Praxis. Die befürchtete Lücke ist damit zumindest entschärft, wenn auch nicht ganz geschlossen, da es sich bislang um eine Doppelpraxis handelt.

Lieber angestellt als mit eigener Praxis

Die Suche nach einem Nachfolger zog sich über viele Monate hin. Bereits im Dezember 2018 veröffentlichen Margit Kraushaar-Scheifele und Wolf Scheifele ihre Anzeige auf mehreren Kanälen. „Anfangs hatten wir mit weit mehr Resonanz auf unsere Stellenausschreibungen gerechnet“, erinnert sich Kraushaar-Scheifele. Da hatten sie sich getäuscht.

Mit dieser Situation sind die Steinenbronner nicht allein, sagt Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). „Ärzte gehen in den Ruhestand, gleichzeitig fehlt es an Nachwuchs. Nicht nur in ländlicheren Gegenden, auch in der Stadt.“ Zu den Gründen zählt laut Sonntag: „Es gibt heute mehr weibliche Absolventen. Immer häufiger wollen Frauen in eine Teilzeitbeschäftigung.“ Begonnen habe dieser Trend in den 1990ern, und er nehme zu. „Deutlich mehr arbeiten lieber in einem Angestelltenverhältnis mit weniger Stunden statt mit eigener Praxis.“ Dabei seien ländliche Gegenden nicht unattraktiv für junge Ärzte. Es fehle aber an großen Praxen, in denen sich Mediziner zusammentun und als Arbeitnehmer tätig sind.

Für Kelmendi ist es ein Quereinstieg

Von den acht Bewerbern, die sich im Laufe des vergangenen Jahres dann doch noch bei den Scheifeles vorgestellt haben, passte niemand so recht. Im August dann die ersehnte Wendung: „Über die KV-Plattform flattert die Bewerbung von Genc Kelmendi herein“, berichtet Margit Kraushaar-Scheifele. Der gelernte Facharzt für Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie war jahrelang in Stuttgarter Kliniken und Praxen tätig. Der Familienvater fuhr als Notarzt Tausende Einsätze im Großraum Stuttgart und wechselte vor drei Jahren an die Tübinger BG-Unfallklinik. 2018 wagte der 53-Jährige den Quereinstieg in die Allgemeinmedizin, machte eine Weiterbildung und bewarb sich endlich auf die Nachfolge der Gemeinschaftspraxis in Steinenbronn. Ab Mitte März soll der neue Hausarzt in die Abläufe der Gemeinschaftspraxis eingewiesen werden bevor er sich im April dort niederlässt – vorerst allein.

Der Allgemeinmediziner Holger Felsch, der die zweite Hausarztpraxis im Ort betreibt, sieht dem Wechsel im Frühjahr gelassen entgegen. „Ich bin relativ zuversichtlich, dass er auch allein das Patientenaufkommen bewältigen kann.“