Eine Oscar-Statue wird im Haus der Geschichte anlässlich der Ausstellung über Carl Laemmle aufgestellt Foto: dpa

Ein jüdischer Schwabe, der Hollywood erfand? Mit einer umfangreichen Ausstellung feiert das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart den 150. Geburtstag des Kinopioniers Carl Laemmles aus Laupheim, der 1915 die legendären Universal Studios gründete.

Stuttgart - Es ist wirklich nicht die erste wichtige, originelle, überraschende Idee, die das Haus der Geschichte Baden-Württembergs in Stuttgart zu einer wichtigen, originellen, überraschenden Ausstellung verarbeitet hätte. Das mutig zupackende, schlagkräftige Museumsteam um Thomas Schnabel und Paula Lutum-Langer bereichert die hiesige Kulturlandschaft seit Jahr und Tag mit kulturhistorischen Ausstellungen von Rang und höchster Qualität.

Was aber seit diesem Freitag im Untergeschoss des Stirling/Wilford-Baus zu sehen ist, hat zweifellos das Zeug zum Blockbuster: „Carl Laemmle presents: Ein jüdischer Schwabe erfindet Hollywood“ erzählt eine große, hierzulande noch immer erstaunlich unbekannte, schwäbisch-amerikanische Kino-Erfolsgeschichte, die im Grunde selbst der Stoff für einen Film sein könnte. Und sie tut dies mit den Mitteln des Kinos und in einer Inszenierung, als wären die Besucher bei ihrem Rundgang selbst zu Gast in einem Filmstudio. Flimmerne Leinwände, einzigartige Dokumente, überraschende Blickwinkel, Raritäten und Reliquien – es gibt hier alles, was das Herz begehrt. Und wie in einem sehr guten Hollywood-Film hat man zum Schluss alles erlebt: Spannung, Staunen, Freude, Lachen, Schock, Trauer - und ein paar Tränen des Mitgefühls dürften auch dabei gewesen sein.

Die Filmschau Baden-Württemberg hat bereits vor einer Woche an jenen Mann erinnert, der 1867 als Karl Lämmle in der großen jüdischen Gemeinde Laupheims geboren wurde, der 1884 via Bremerhaven nachNew York auswanderte, um dort ein besseres Auskommen zu finden, und der schließlich nach allerlei Umwegen und eher durch Zufall 1906 in das noch sehr junge Geschäft mit den Kinos einstieg. Der inzwischen Carl Laemmle heißende Migrant erkannte die Verdienstmöglichkeiten, die sich mit der Vorführung bewegter Bilder eröffneten. Aber er erkannte auch, dass die Menschen auf Dauer nicht mit einfallsloser Billigware zu locken sein würden. Deswegen kam er auf die Idee, eine Firma zu betreiben, die mit dem nötigen Aufwand gute Filme zu produzieren in der Lage war. Gemeinsam mit zwölf anderen Träumern gründete er 1912 die Universal Film Manufacturing. Und 1915 eröffnete er in Hollywood auf dem Gelände einer Hühnerfarm quasi einen neuen US-Bundesstaat: die Studiostadt Universal City. Carl Laemmle wurde ihr Präsident.

Für den US-Film ist der Produzent die zentrale Kraft

Wer das Kino liebt und wer den Film besser verstehen will, wird in der Stuttgarter Schau Stunden verbringen können. Warum für den US-Film eben nicht der Regisseur, sondern der Produzent die zentrale Kraft ist – hier kann man es begreifen: Laemmle hat’s erfunden. Wie es der amerikanische Film dann schafft, seine Werke nicht nur im eigenen Land, sondern letztlich für die ganze Welt zu produzieren: Laemmle hat’s entwickelt. Fieberhaft hält der kleine Mann mit den gewitzten Augen und einer Vorliebe für sehr helle Hosen Ausschau nach jungen Talenten, hoffnungsvollen Stars, hungrigen Regisseuren. Er macht sie alle zu seinen Untertanen. Bald nennen sie ihn selbst in seiner Gegenwart „Uncle Carl“. Der Kostümfilm, das Melodram, der Historienschinken, die Gangsterjagd, der Gruselfilm, der Western, der Comicstreifen, das Bergsteigerepos – alles made by Universal. Alles auch a little bit schwäbisch.

Aber nicht nur der Filmfan wird von dieser Schau begeistert sein. Schließlich geht es hier auch um eine Einwanderergeschichte. 1917 feiert Laemmle seinen 50. Geburtstag noch als halber Deutscher. Die Speisekarte für die Gästeschar ist zweisprachig gedruckt. Die Festgemeinde singt ihm zu Ehren „Die Wacht am Rhein“. Wenige Wochen später erklärt die USA dem deutschen Kaiserreich den Krieg. Seitdem begreift sich Laemmle als Amerikaner. Er leidet unter den Schlachten, die auch auf das Konto deutscher Großmannssucht gehen, er streitet für die Werte der Demokratie. Und er entschließt sich 1929, den Roman „Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque als „ewiges Epos für den Frieden“ verfilmen zu lassen. Die zwei Oscars, welche die Filmakademie dem Werk 1930 verleiht, sind ihm stets die wichtigsten Auszeichnungen gewesen. Laemmle ist eben keineswegs nur ein Geldverdiener. Er hat eine Haltung.

Der Film wird in Deutshland zum Hassobjekt der Konservativen und der Nazis, weil er ihren Heldengeschichten vom unbesiegten deutschen Soldaten widerspricht. Eben gerade noch war Laemmle in seiner alten Heimat ein Star. Großzügig förderte „Uncle Carl“ bei seinen regelmäßigen Besuchen in der Geburtsstadt Laupheim Turnhallen, Freibäder und Armenstiftungen. Nun wird er in der rechten Presse zum „frechen Filmjuden“ erklärt. Schlägertrupps stürmen die Kinos, die Laemmles Filme zeigen.Auch das: ein Horrorfilm. Aber keine Hollywood-Erfindung.

Ein typisch schwäbisches Geisteserbe

Und noch eine Themenebene: Wer schon die große Schwaben-Landesausstellung des Landesmuseums genosen hat, wird sich nun im Haus der Geschichte an dieser wichtigen Ergänzung erfreuen können. Die Mischung aus Lust am Erfolg, Neugier, Entdeckerfreude, Unternehmensgeist, aber eben auch Weltoffenheit, Toleranz, Verantwortungsbewusstsein, Mitgefühl: Ohne all dies schwäbische Naturell und Geisteserbe im Gepäck wird man die Laemmle-Erfolgsgeschichte in Hollywood wohl kaum verstehen können. Und dann ist da noch eine schwäbische Eigenschaft, welche die Schau dokumentiert und über die man herzlich lachen kann: Es ist ein kleiner Film zu sehen, den Laemmle Anfang der Dreißiger von sich hat drehen lassen. Er bitte darin alle Universal-Mitarbeiter herzlich, immer schön fleißig und.... kostenbewusst zu sein. Wer sparsam sei, sagt er in einem herrlich breit deutsch akzentuierten Amerikanisch, könne alles erreichen: „It can be done“. Laemmles Lebensmotto.

Sein allerletzter Satz in der Stuttgarter Schau lautet dann aber: „I am terribly sorry". Und der bezieht sich keineswegs auf seinen unfreiwilligen Verkauf der Universal-Aktien im Jahr 1936. Nein, das letzte Laemmle-Kapitel ist das vielleicht bewegendste der ganzen Schau: Unermüdlich warnt er die Juden in Deutschland vor den Nazis. Unermüdlich stellt er bis 1939 Bürgschaften vor allem für Laupheimer Juden, damit diese noch rechtzeitig nach Amerika emigrieren können. Als die US-Behörden nach dem 300. Fall mitteilen, keine weiteren Laemme-Bürgschaften mehr anzuerkennen, so viele Leute könne er doch unmöglich persönlich kennen, schreibt er Bettelbriefe an andere wohlhabende Amerikaner, um sie zur gleichen Hilfe zu bewegen. Das Haus der Geschichte hat an einer großen Wand alle derzeit bekannten Namen der von Laemmle geretteten Juden schreiben lassen. Lauter Erfolgsgeschichten.

Aber warum ist der Menschenfreund dann „zu Tode betrübt?“ Der Satz steht in einem Brief aus dem Jahr 1938 an Fritz Winter, einen jüdischen Schauspieler. Bis 1933 stand Winter auf der Bühne des Staatstheaters in Stuttgart, dann wurde er dort vertrieben. 1938 will er in die USA auswandern und bitte Laemmle um Hilfe. Aber auch der kann nun nicht mehr helfen, ist am Ende seines schwäbischen Lateins. Er entschuldigt sich bei Winter: „I am terribly sorry“. In einem Abspann wird vom weiteren Lebensweg aller Mitwirkenden dieses großen Lebensfilms berichtet. Man geht belehrt, beeindruckt, bereichert. Man geht bewegt.