Letzte Dienstfahrt: Die Leiterin des Hauptzollamts Stuttgart, Angelika Kaag, geht in Ruhestand. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Als Amtschefin hat sie 40 Milliarden Euro Umsatz gemacht, mit Alkohol 300 Millionen Euro verdient und den Rauchern acht Millionen Schmuggelzigaretten vorenthalten. Alles für den Staat. Jetzt geht die Stuttgarter Zollamtschefin Angelika Kaag in Ruhestand.

Stuttgart - Wenn Angelika Kaag privat mit ihrem Ehemann über die Schweizer Grenze fahren will, dann lässt er sie vorher aus dem Auto aussteigen. Sie muss dann zu Fuß weiter, und sie versteht das: „Wir sind davor mal ohne Ende gefilzt worden“, sagt die 64-Jährige. Vielleicht hatte sie damals einfach zu interessiert geschaut und damit den Argwohn der Schweizer Zöllner geweckt. Dabei guckt man eben anders auf die Dinge an der Grenze, wenn man Chefin des Hauptzollamts Stuttgart ist.

Bis Ende Oktober jedenfalls, dann hat Angelika Kaag nichts mehr mit ihnen zu tun: mit Schmugglern, Schwarzarbeitern, Steuerhinterziehern, Produktfälschern. Dann geht sie in Ruhestand – nach 13 Jahren als Chefin einer 600-Mitarbeiter-Behörde, die dafür sorgt, dass der Staat seine Milliarden Steuergelder aus dem Südwesten bekommt. Seit Angelika Kaag 2004 als eine der ersten Frauen beim Zoll als Amtschefin einstieg, verantwortet sie Milliardenumsätze: Mehr als 40 Milliarden Euro kamen in 13 Jahren an Steuern und Zöllen zusammen. Von den Abfindungsbrennern hat sie für den Staat 306 Millionen Euro Steuern destilliert.

Die Gewaltbereitschaft bei Kontrollen steigt

Die Schwerpunkte wandeln sich. Schwarzarbeit und Mindestlohn. „Ich bin verblüfft, dass man bei Kontrollen immer wieder etwas findet“, sagt sie. Auf einer Baustelle in Böblingen seien 14 von 16 Arbeitern illegal am Werk gewesen. So ist das eben in Wirtschaftszweigen, bei denen die größte Wertschöpfung durch den Personaleinsatz erzielt wird. Mehr als 125 000 Beschäftigte wurden in ihrer Amtszeit von Zöllnern der Finanzkontrolle Schwarzarbeit überprüft. Und es wurde reichlich an den Sozialkassen vorbei geschleust: Allein im letzten Jahr deckten ihre Zöllner einen Schaden von 21,4 Millionen Euro auf. Die Baubranche mit einem Volumen von 25,6 Milliarden Euro bleibe für Steuerfahnder eine ewige Baustelle: Bei fast jedem Handwerker, sagt Kaag, stelle sich die Frage der Scheinselbstständigkeit.

Da wird auch der Ton härter, die Methode rabiater: „Der Widerstand bei unseren Kontrollen nimmt zu“, sagt die Zoll-Chefin, „es gibt mehr Gewaltbereitschaft.“ Einmal sei ein verdächtiger Bauarbeiter ins Auto gestiegen und auf einen Beamten zugerast. Ganz anders bei Stuttgart 21: Dank neuem Prüfkonzept gebe es nur bei dem Großprojekt nur ganz wenige Verstöße.

Immer mehr kommt frei Haus – hält der Zoll mit?

Auch die kunterbunte globale Warenwelt wird immer vielfältiger. „Das Konsumverhalten hat sich verändert, alles wird frei Haus geliefert“, sagt die 64-Jährige. Tausende Postsendungen mit verschleierten Adressen, Päckchen mit Medikamenten, Nahrungsergänzungsmitteln, mit immer besser ausgeklügelten Plagiaten – wie soll der Zoll da mithalten? „Das ist auch eine Herausforderung an die Personalressourcen“, sagt Angelika Kaag. Dazu kommt der Boom der Fernbuslinien – die auch von Drogenschmugglern genutzt werden. Immerhin gibt es Lichtblicke im Reiseverkehr am Flughafen: „Touristen bringen weniger lebende exotische Tiere mit“, stellt die Zoll-Chefin fest.

Bei aller Globalisierung mahnt die gebürtige Cannstatterin, die in Kornwestheim aufgewachsen ist, den lokalen Aspekt nicht zu vergessen: „Stuttgart braucht Bundesbehörden“, sagt sie. Der Bund zieht sich aus den Großstädten zurück, siehe Oberfinanzdirektion, siehe Post, siehe Bahn. Eine ähnliche Entwicklung sollte der Zoll nicht nehmen, sagt die Überzeugungstäterin, die 1981 in der Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung der Oberfinanzdirektion in Stuttgart anfing. Schon ihr Großvater war beim Zoll, der Urgroßvater Staatsbeamter in der Rotebühlkaserne.

Die Sache mit der Schweizer Grenze

All die Millionen, all die Abfindungsbrennereien, all die schönen beschlagnahmten Plagiate und Schmuggelwaren – Begehrlichkeiten hat das bei Angelika Kaag nie geweckt. Da verweist sie auf alte preußische Tugenden: „Der Beamte ist Diener des Staates, nicht sein Herr“, sagt sie. Den Schweizer Zöllnern hat sie deshalb auch nie ihre Identität preisgegeben, nie ihren Dienstausweis gezeigt, um schneller durchzukommen. Demnächst, im Ruhestand, kann Angelika Kaags Gatte solchen Grenzgängen eher entspannt entgegensehen.