Hauptschulen sind immer weniger gefragt, die Lehrer könnten sich für Sonderschulen qualifizieren, dort sind die Pädagogen knapp. Foto: dpa

Zwei Fliegen will Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) mit einer Klappe schlagen: Sie möchte mehr Sonderpädagogen gewinnen und Hauptschullehrern eine neue Perspektive bieten. Doch der Plan geht (vorerst) nicht auf.

Stuttgart - Für hundert Hauptschullehrer haben die Pädagogischen Hochschulen Ludwigsburg und Heidelberg zum kommenden Wintersemester Studienplätze eingerichtet. Vier Semester dauert der Weiterbildungsstudiengang Sonderpädagogik, der den Hauptschullehrern eine neue Karriere als Sonderschullehrer eröffnen und die Lücken in der Sonderpädagogik schließen soll.

Doch die Nachfrage ist gering, obwohl die Hauptschule als aussterbende Schulart gilt und Sonderpädagogen knapp sind, seit die Inklusion in allen Schularten ein Thema ist. Von den 100 Studienplätzen sind gerade mal 23 belegt. „Wir sind deutlich unter dem Soll“, sagt Peter Kirchner, der Prorektor für Studium, Lehre und Weiterbildung an der PH Ludwigsburg, unserer Zeitung. Er macht ein strukturelles Manko für die geringe Nachfrage aus.

Hoher Zeitaufwand

Das Studium ist berufsbegleitend. Die Hauptschullehrer erhalten nur sechs Stunden Ermäßigung auf ihre Unterrichtsverpflichtung. Das ist nicht einmal ein Viertel ihrer Arbeitszeit. Für das Studium wären jedoch 75 Prozent der Arbeitszeit aufzuwenden, schätzt Kirchner. Doro Moritz, die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verlangt, dass die Deputate für weiterbildungswillige Hauptschullehrer weiter reduziert werden. Das hält auch der Prorektor für „die einfachste Maßnahme, um mehr Lehrerinnen und Lehrer für den Studiengang zu gewinnen.“

„Die Hemmschwelle der Berufstätigen ist angesichts des riesigen Aufwands zu hoch“, vermutet der Professor für Geographiedidaktik. „Sie sind wohl im Zwiespalt zwischen den inhaltlichen Zusatzqualifikationen und dem Aufwand, den man dafür betreiben muss.“

Aussicht auf höheres Gehalt

Dabei wäre für die Hauptschullehrer viel zu gewinnen, meint Kirchner. Die Sonderpädagogik ist ein Thema in allen Schulen und Schularten. Und das Masterstudium eröffnet die Aussicht auf einen Laufbahnwechsel mit einer höheren Gehaltsstufe. Von A12 können die Lehrer in A13 wechseln, das bedeutet rund 450 Euro mehr Grundgehalt. Vom fachlichen Gewinn ganz zu schweigen: „Eine so intensive Weiterqualifizierung ist sonst im normalen schulischen Alltag nicht möglich“, führt Kirchner ins Feld.

Die Hochschulen kommen den Studierenden entgegen, betont der Ludwigsburger Prorektor. Es gebe nur einen Präsenztag in der Woche. Die Kompaktphasen werden in die Ferien gelegt, vieles laufe über E-Learning. Die PHen hoffen, dass Werbemaßnahmen für den nächsten Durchgang greifen: „Wir brauchen die Lehrerinnen und Lehrer in den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren. Wir haben die Infrastruktur geschaffen und den Studiengang konzipiert. Wir wünschen uns natürlich, dass er nachgefragt wird“, sagt Kirchner.

GEW will Grundschullehrer ins Programm nehmen

Die Nachfrage könnte erhöht werden, wenn der Studiengang geöffnet würde. Doro Moritz fordert seit langem, dass auch für Grundschullehrer „ein attraktives Aufbaustudium“ in Richtung Sonderpädagogik aufgelegt wird. „An Grundschulen gibt es am meisten Inklusion“, betont sie im Gespräch mit unserer Zeitung. Auch Peter Kirchner würde es befürworten, wenn Grundschullehrer in den Aufbaustudiengang aufgenommen würden. „Wir würden die Zahl der potenziellen Kandidaten verdoppeln.“ Allerdings sieht Kirchner auch das Problem des Lehrermangels, gerade in den Grundschulen: „Die Lehrer sind knapp, wir würden das eine Loch stopfen, indem wir das andere noch größer werden ließen.“

Das Kultusministerium winkt ab. Die meisten Hauptschullehrer haben auch die Lehrbefähigung für die Grundschule, früher hieß der Studiengang Lehramt Grund- und Hauptschule. Wer ausschließlich an einer Grundschule unterrichte, könne sich nicht für den Studiengang bewerben, erklärt eine Sprecherin von Kultusministerin Eisenmann auf Anfrage und verweist auf den Lehrermangel in der Primarstufe.

Ministerium denkt an mehr Dezentralität

Dennoch will das Ministerium nachsteuern. Man wolle in Frage kommende Lehrer früher ansprechen und gezielte Informationsveranstaltungen anbieten. Susanne Eisenmann sagte gegenüber unserer Zeitung: „Wir sehen anhand der aktuellen Bewerberzahlen, dass es insbesondere für Lehrerinnen und Lehrer aus den südlichen Landesteilen ein hoher Aufwand ist, einmal die Woche nach Heidelberg oder Ludwigsburg zu kommen. Deshalb arbeiten wir gemeinsam mit dem Wissenschaftsministerium intensiv daran, für diese Lehrkräfte künftig auch dezentrale Lehrveranstaltungen anzubieten, um sie zu entlasten.“

Überlegungen im Ministerium gehen dahin, möglicherweise auch an den Pädagogischen Hochschulen im Süden des Landes, etwa in Weingarten oder Freiburg, die Präsenztage anzubieten. Das Angebot selbst lobt Eisenmann: „Das Aufbaustudium verbunden mit dem Laufbahnwechsel eröffnet Haupt- und Werkrealschullehrkräften eine attraktive berufliche Perspektive.“