Der Journalist und Autor Hasnain Kazim (im Bild bei einer Lesung im Jahr 2019) bekommt täglich Hassbriefe von Lesern. Sein Buch „Auf sie mit Gebrüll!“ ist eine Art Ratgeber, wie man damit umgehen kann. Foto: Mateja fotografie//Christian Mateja

Hassbriefe und Morddrohungen wiegen schwer. Vor allem, wenn sie einen täglich erreichen. Der Journalist Hasnain Kazim hat seinen Weg gefunden, damit umzugehen.

Stuttgart - Wer in der Öffentlichkeit steht, ist zwangsläufig der Meinung anderer ausgesetzt. Nie war es so leicht, die jemandem mitzuteilen – dem Internet sei Dank. Oder auch nicht, denn nicht jede Meinung, nicht jeder Streit ist fruchtbar oder bereichernd. Vor allem: Nicht alles, was als Meinung deklariert wird, ist auch eine. Manchmal ist es einfach nur purer Hass, menschenverachtendes Geschwafel oder eine strafrechtlich verfolgbare Drohung. Einer, der das allzu gut kennt, ist Hasnain Kazim, ehemaliger „Spiegel Online“ Journalist und Auslandskorrespondent für Istanbul und Wien. Allein der Name des gebürtigen Deutschen veranlasst so einige Menschen, ihren vielleicht vorhandenen Anstand zu vergessen.

Sehr differenziert und frei heraus erzählt Kazim über sein Leben und seinen Weg, mit dieser Last umzugehen, am Mittwochabend in der Stadtbibliothek Stuttgart. Der Anlass ist sein neuestes Buch „Auf sie mit Gebrüll!... und mit guten Argumenten“, aus dem er selbst gar nicht viel liest. Vielmehr nimmt er die Zuhörer mit zu den Anfängen des Hasses in seinem Leben.

Sieben Briefe an einen Schüler

Im Alter von 17 Jahren bekam er seine ersten beleidigenden Briefe. Als Reaktion auf die vielen Anschläge auf Asylbewerber in den neunziger Jahren verfasste Kazim als Schüler einen Kommentar für die Tageszeitung „Welt“. Der Tenor lautete: er erwarte von Politikern eine Aussage, dass „wir so nicht miteinander umgehen“, und es nicht okay sei, auf Menschenjagd zu gehen. Statt Zuspruch seitens der Leser bekam er sieben Hassbriefe, die sich nicht einmal inhaltlich mit seinem Text auseinandersetzten. Die Meinung der Verfasser: Als „Ausländer“ habe er nicht das Recht, sich so zu äußern. Von seiner damaligen Französisch-Lehrerin bekam er den Zuspruch, sich niemals von diesen Leuten einschüchtern zu lassen. „Und dreißig Jahre später denke ich noch immer daran zurück“, so Kazim.

Das Lachen bleibt im Halse stecken

In den Jahren 2016 und 2017 machte der Journalist es sich zur Aufgabe, alle Reaktionen auf seine Texte zu beantworten. Der Leser Karlheinz war einer von mehr als achthundert, die ihm schrieben. Humorvoll und bissig antwortete Kazim ihm. Den Verlauf des digitalen Gesprächs veröffentlichte er in den sozialen Netzwerken. Damit traf er einen Nerv. Das Buch mit dem Titel „Post von Karlheinz“ erschien im Mai 2018, darin: 52 Dialoge. Unverhofft wurde er damit zum Vorbild vieler Menschen. Seine amüsante Art, auf Hassbriefe zu antworten, bleibt so lange lustig, bis man wieder realisiert, welch menschenverachtende Worte der Angefeindete täglich lesen muss.

Ist Humor die Antwort?

Neben Lob hagelte es damals auch Kritik: Statt Brücken zu bauen, vertiefe er die Gräben. Kazims Antwort darauf: „Wer mir schreibt ‚Ab heute gibt es in Deutschland nur einen Platz für dich: am Galgen’, zu dem möchte ich keine Brücken bauen“. Dabei räumte er ein, dass er mit seiner bisweilen satirischen Art nicht rundum als Vorbild gelten möchte. Jedenfalls gab „Post von Karlheinz“ nun den Impuls, eine Art Ratgeber zu schreiben, wie man mit diffamierenden, menschenverachtenden Aussagen oder gar mit Morddrohungen umgehen kann.

Mittlerweile, erzählt Kazim, wählt er seine „Streitgegner“ aus, es tue ihm nicht gut, immer allen zu antworten. Auch wenn sein Name auf diversen „Todeslisten“ steht – davon einschüchtern lassen, gar zurückziehen aus der Öffentlichkeit will er sich nicht. Dann hätten ja die anderen gewonnen.