Ein Darlehen hilft weiter, wenn das Geld für Notwendiges nicht reicht Foto: dpa

Wohlfahrtspflege und Jobcenter streiten seit Jahren darüber, um welchen Betrag Hartz IV gekürzt werden darf, wenn der Empfänger Schulden beim Jobcenter hat. Bisher ohne Erfolg. Jetzt sucht die Liga die Öffentlichkeit und sieht die Kommunalpolitik in der Pflicht.

Stuttgart - Für außerordentliche Ausgaben gewähren die Jobcenter Darlehen. Hartz-IV-Empfänger können sie in Raten zurückzahlen. Die Stuttgarter Behörde behält dafür bis zu 30 Prozent des Regelsatzes ein. Zuviel, findet die Liga der Wohlfahrtspflege und appelliert an die Stadt, dieses Verfahren zu ändern.

„Jetzt ist die Lokalpolitik gefragt“, sagt Angela Riße. Sie ist die Sprecherin des Arbeitskreis Armut und nicht dafür bekannt, ständig das große Wort zu führen. Aber jetzt ist die Geduld offenbar erschöpft. Rißes Vorwurf: Das Jobcenter kürzt die Bezüge der Hartz-IV-Empfänger in ungebührlicher Höhe.

Die Liga, ein Zusammenschluss der großen sozialen Träger in Stuttgart, ist Interessensvertretung der Hilfsbedürftigen. Die Klienten, argumentiert sie, hätten bedingt durch die hohen Rückzahlungssummen nicht mal mehr das gesetzlich festgelegte Existenzminimum zum Leben haben.

Ein Alleinstehender, der Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV) hat, erhält monatlich 399 Euro. Hiervon müssen Ersatzbeschaffungen, Reparaturen, Energiekosten bezahlt werden und es muss für Essen und Bekleidung reichen. Kleinere Beträge sollen die Klienten zudem für Ersatzbeschaffungen zurücklegen, um kaputte Möbel, Waschmaschinen oder Herde ersetzen zu können. Doch oftmals kommt ein Notfall bevor die Rücklage angespart ist, ein Darlehen wird nötig. Dabei geht es nicht um die Erfüllung unmäßiger Wünsche oder um Luxus. Das Jobcenter gewährt sie beispielsweise dann, wenn eine Mietkaution übernommen werden muss und darüber hinaus Anschaffungen unabwendbar geworden sind.

Vier bis fünf Streitfälle jährlich

Wer ein Darlehen zurückzahlen muss, dem überweist das Jobcenter zehn Prozent des Regelsatzes weniger (39,90 Euro), bis die Schuld getilgt ist. Wer beim Jobcenter Stuttgart allerdings mit zwei oder drei Darlehen in der Kreide steht, bei dem werden gleichzeitig für jedes Darlehen zehn Prozent, also 20 oder gar 30 Prozent des Regelsatzes (rund 120 Euro) einbehalten, statt die Darlehen nacheinander abzahlen zu lassen. Angela Riße: „Davon können die Menschen nicht mehr leben, das ist nicht rechtens“, sagt sie.

Jedes Jahr hat Martin Steinbrenner, Sozialbarbeiter bei der Evangelischen Gesellschaft (Eva), „vier bis fünf solcher Fälle“. Er legt dann für die Klienten Widerspruch gegen den Hartz-IV-Bescheid ein und hat zumeist Erfolg damit. An einem Fall aus dem Jahr 2014 macht er deutlich, dass das Stuttgarter Jobcenter vorm Sozialgericht zuletzt doch den Vergleich gesucht habe: „Das Jobcenter wollte eine Rechtssprechung verhindern“, vermutet Steinbrenner.

Seit langer Zeit schon versuche man mit dem Jobcenter zu einer Lösung zu kommen. Der Arbeitskreis Armut ist der Auffassung, dass laut Paragraph 42a SGB II die Rückzahlungsobergrenze bei monatlich zehn Prozent des Regelbedarfs liegt, was das Jobcenter nicht hindere, trotzdem andere Bescheide zu verschicken. Das Jobcenter verwies entsprechende Anfragen am Freitag an die Pressestelle der Stadt Stuttgart. Dort betonte der Pressesprecher, das Jobcenter halte sich an eine „Weisung der Bundesagentur für Arbeit“.

„Dem Jobcenter ist bewusst, dass sich nur sehr wenige wehren“, sagt Rechtsanwalt Alexander Barauke. Er vertritt Klienten der Eva, die mit einem solchen Problem konfrontiert sind. Deren Zahl wird vermutlich weiter wachsen: Laut Bundesarbeitsagentur haben im Jahr 2014 monatlich durchschnittlich 18 700 Hartz-IV-Bezieher ein solches Darlehen in Anspruch genommen; 2010 waren es noch 15 500.

Suche nach politischer Lösung

„Die Rechtsprechung der Gerichte ist eindeutig: die Gesamtsumme der Tilgungsraten darf zehn Prozent des jeweiligen Regelbedarfs nicht übersteigen“, sagt Rechtsanwalt Alexander Barauke, „da wird auch das Bundessozialgericht nicht anders entscheiden.“ Dort sei aktuell ein entsprechendes Verfahren anhängig.

Da die Liga inzwischen alle juristischen Entscheidungen auf ihrer Seite sieht und trotzdem kein Gehör beim Jobcenter gefunden habe, regt Angela Riße nun eine politische Lösung an. „Das Jobcenter ist eine Behörde der Landeshauptstadt, deshalb ist jetzt die Lokalpolitik gefragt.“ Offen ist, ob die Stadt selbst einen Vorschlag vorlegt, oder ob die Fraktionen im Gemeinderat aktiv werden.