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Thomas K. gilt als einer der schwierigsten Kunden im Göppinger Jobcenter. Sein Fall füllt einen ganzen Aktenschrank. Dabei wünscht sich der 44-Jährige nichts mehr als eine Arbeitsstelle.

Göppingen - Thomas K. gilt als einer der schwierigsten Kunden im Göppinger Jobcenter. Sein Fall füllt einen ganzen Aktenschrank. Dabei wünscht sich der 44-Jährige nichts mehr als eine Arbeitsstelle.

Rechts steht das Bett, links der Schreibtisch, dahinter das Regal. Zielsicher greift der 44-Jährige nach einem Aktenordner und zieht einen Brief hervor. Das Schreiben an das Jobcenter ist mehr als ein Jahr alt und offenbar immer noch unbeantwortet. „Da gibt es jetzt eine Untätigkeitsklage“, sagt K.

Schon mehrfach hat er sich mit dem Göppinger Jobcenter vor Gericht gestritten. Mal gewinnt er, mal das Jobcenter. Die entsprechenden Unterlagen kann K. mühelos heraussuchen. Er deutet auf Dutzende von Leitzordnern. Seit neun Jahren lebt er von Hartz IV, das sind zurzeit 399 Euro im Monat plus Miete. Da liegen die Nerven blank. Seine Unterlagen führt er dennoch penibel.

Auch die Agentur für Arbeit in Göppingen hat die komplette Konversation aufgehoben. Der Karren, den der Bote in das Büro von Herbert Juhn, dem stellvertretenden Geschäftsstellenleiter des Jobcenters Göppingen, schiebt, biegt sich unter einer Vielzahl an Ordnern mit mehr als 4000 Blatt. Für eine Einzelperson sei das Rekord, sagt die zuständige Abteilungsleiterin für den Leistungsbereich Sozialgesetzbuch II., die längst persönlich die Betreuung übernommen hat. „Komplexe Fälle sind bei uns Chefsache“, sagt Juhn. Zu Thomas K. darf er sich äußern. Der Betroffene hat ihn von der Schweigepflicht entbunden.

Tatsächlich macht es Thomas K. den Kollegen in der Agentur nicht einfach. „Gegen jeden Bescheid legt er Widerspruch ein“, stöhnt die Sachbearbeiterin. Er sei eben ein Mensch, der, wenn er an der ersten Tür keinen Erfolg habe, es zwei Türen weiter wieder probiere, räumt K. ein. „Geht es dort auch nicht, gehe ich ein Stockwerk höher.“ Der Jobcenter in Göppingen betreut momentan 5470 Bedarfsgemeinschaften mit 10 335 Personen. „Wenn wir das bei allen so hätten, würden wir an unsere Grenzen stoßen“, sagt Juhn, der stolz auf das Arbeitstempo seiner Mitarbeiter ist. „Im Landesvergleich haben wir die kürzesten Bearbeitungszeiten.“ Für Thomas K. ist das kein Wunder: „Anträge abzuweisen geht schneller, als ihnen zuzustimmen.“

So musste er sich Ersatz für eine defekte Toilette vor Gericht erstreiten. „Das ist Sache der Vermieterin“, befand das Jobcenter. Zwei Jahre rann es aus der Schüssel. Dann stellte eine Richterin fest, dass die Agentur für die Reparatur ruhig ein Darlehen zur Verfügung stellen könne. Für Juhn ist das noch heute „ein sehr überraschendes Urteil“. Auch bei der Nebenkostenabrechnung musste die Behörde nach einem Streit vor Gericht einen kleinen Nachschlag zahlen. Das Jobcenter hatte für die Berechnung der Heizkosten die Tabelle des Vorjahres benutzt, obwohl längst eine aktuellere vorlag. Im Nachhinein hätte man das sowieso verrechnet, versichert Juhn. Warum war es dann nötig, vor Gericht zu ziehen?

Man habe nichts gegen Herrn K., versichert Juhn. Der Pfarrer der örtlichen Kirchengemeinde hat daran Zweifel. Anstatt Thomas K. bei der Arbeitssuche zu helfen, lege man ihm immer wieder Steine in den Weg, stellt er in einem bisher unbeantworteten Schreiben an die Behörde fest. Juhn weist das zurück. „Wenn wir ihn gängeln wollten, würden wir ihm jede Woche zehn Arbeitsangebote schicken, und ihm Geld abziehen, wenn er eine Stelle ablehnt.“ In der Vergangenheit sei ihm noch keine einzige Stelle vom Jobcenter vermittelt worden, entgegnet K. „Ich habe mir alles selber gesucht.“ Dass er dann selten länger als eine Woche durchhalte, wie Juhn anmerkt, sei zwar richtig, doch sei das auch Schuld des Jobcenters. „Sofort gibt es Briefe, Nachfragen, Sanktionen. Man lässt mich nicht in Ruhe ins Leben kommen.“ So wie im vergangenen Sommer.

Kaum hatte er eine neue Hilfsarbeit angenommen, hieß es, er habe das Jobcenter nicht vorschriftsgemäß darüber informiert. Die Folgen waren Leistungskürzungen und eine Anzeige wegen Betrugs. Thomas K. war außer sich. Schon war der neue Job wieder weg. Beim Prozess vor dem Göppinger Amtsgericht entpuppte sich alles als Missverständnis des Jobcenters. „Der Angeklagte ist aus tatsächlichen Gründen frei zu sprechen“, heißt es im Urteil. Eine Entschuldigung gab es bisher nicht. Inzwischen scheint das Klima noch weiter abgekühlt zu sein. Weil K. ankündigte, sämtliche Gespräche im Jobcenter auf Band aufnehmen zu wollen, drohte ihm die Geschäftsführung mit einem Hausverbot. Beim jüngsten Besuch wurde ihm verboten, sich Notizen zu machen. Das war allerdings ebenfalls ein Versehen, wie Juhn versichert. Es passierten schon mal Fehler. „Wir sind ja eine lernende Behörde.“