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Als Frankreich von den Deutschen besetzt war, wurden mehr als 200.000 "Kriegskinder" geboren. Jean-Jacques Delorme ist eines von ihnen - und erlebt jetzt ein Happy End.

Paris - Sie sind das letzte Tabu in der Erfolgsgeschichte der Aussöhnung: Als Frankreich im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen besetzt war, wurden mehr als 200.000 "Kriegskinder" geboren. Jean-Jacques Delorme ist eines von ihnen - und erlebt jetzt ein Happy End.

Sie wurden gedemütigt und geschlagen, man schimpfte sie "enfants maudits" - die verfluchten Kinder. Oder verunglimpfte sie als "Bastarde", verhöhnte sie als "Quadratköpfe". Sie kamen in Frankreich während der deutschen Besatzung zur Welt: die Mutter Französin, der Vater Wehrmachtssoldat - Früchte einer heimlichen Liebe. Erst jetzt, nach über sechzig Jahren voller Verachtung und Kummer, erfahren die "enfants de guerre", die Kriegskinder, eine kleine Geste der Wiedergutmachung: Deutschland erkennt sie als Deutsche an - selbst wenn sie nie einen Fuß in das Land ihrer Väter gesetzt haben und sich ihr deutscher Wortschatz vielleicht auf "Danke schön" begrenzt.

Die Augen von Jean-Jacques Delorme sind voller Freudentränen. Er strahlt übers ganze Gesicht und schüttelt dabei den Kopf, weil er sein Glück nicht fassen kann. "Das deutsche Konsulat in Marseille hat mich gerade angerufen, bald habe ich den deutschen Pass." Die weinrote Pappe mit dem Goldadler, für die meisten Deutschen ungefähr so sexy wie eine Dauerkarte fürs Freibad, bedeutet für die französischen Kriegskinder ungleich mehr - meistens das glückliche Ende einer langen, schmerzhaften Reise zu sich selbst. Sie ist der krönende Abschluss einer fieberhaften Suche nach der Wahrheit, die im Falle Jean-Jacques Delormes fast sechs Jahrzehnte dauern sollte. Er ist eines der ersten Kriegskinder, die nun auch Deutsche sind.

Vor einigen Jahren, kurz vor dem 60. Jahrestag des D-Days, hatte bereits das Buch des französischen Journalisten Jean-Paul Picaper über Frankreichs "verfluchte Kinder" für Furore gesorgt. Er hat nach Begegnungen mit Betroffenen und jahrelangen Recherchen Einzelschicksale aufgearbeitet und damit nicht nur vielen der "Kriegskinder" Mut gemacht, sondern in Frankreich eine breite öffentliche Diskussion ausgelöst. "Sie lebten mit dem Makel, über ihre Herkunft lügen zu müssen", so Picaper.

Schon als Knabe spürte Jean-Jacques Delorme, dass etwas nicht stimmt, dass er anders ist als seine sechs jüngeren Geschwister. "Ich sah ja nicht nur anders aus, ich hatte auch andere Interessen, andere Vorlieben, einen anderen Geschmack", erzählt der 65-Jährige, der bei Lisieux im normannischen Departement Calvados aufwuchs und heute in Nizza lebt. Wenn Jean-Jacques Delorme erzählt, reiht er detailversessen Anekdote an Anekdote und breitet sein ganzes Leben aus. Eines, das viel Tragödie und Krimi ist und erst jetzt ein Happy End erfährt. Als er mit zwölf zufällig ins Familienstammbuch schaute und entdeckte, dass er ein "angenommenes" Kind ist, stellte er seine Mutter zur Rede. "Wer ist mein Vater?" Doch sie rannte verzweifelt aus dem Zimmer und schlug die Tür zu. Offenbar schien das ganze Dorf über ihn Bescheid zu wissen, nur er nicht. Mitschüler und Lehrer in der Grundschule hänselten ihn, selbst die Onkel schauten ihn scheel an. Oder zischten "fils de boche" - "Sohn eines Scheißdeutschen", wenn sie glaubten, dass er nicht zuhört.