Die Schauspielerin Hanna Plaß Foto: Zalewski

Hanna Plaß ist so etwas wie die musikalische Allzweckwaffe des Stuttgarter Schauspiels. Sie singt als Kommissarin, sie singt als Räuberin, sie singt als Missy in „5 morgen“. Jetzt übernimmt sie den Part der Polly in „Die Dreigroschenoper“. Natürlich darf sie auch hier wieder singen.

Hanna Plaß ist so etwas wie die musikalische Allzweckwaffe des Stuttgarter Schauspiels. Sie singt als Kommissarin, sie singt als Räuberin, sie singt als Missy in „5 morgen“. Jetzt übernimmt sie den Part der Polly in „Die Dreigroschenoper“. Natürlich darf sie auch hier wieder singen.

Stuttgart - Missy ist fertig mit der Welt. Sie umarmt die Apokalypse, die draußen auf der Straße ein Fest feiert, kotzt sich vor dem Spiegel mit einer Wut aus, die sehr laut und doch sehr ohnmächtig, sehr hilflos ist. Mit krächzender Stimme begräbt sie ihr Leben, das sie für kaputt und sinnlos hält, und freut sich auf den Untergang.

Es hätte auch ganz anders kommen können. Die junge Frau, die als Missy diesen Hassmonolog aus sich herauspresst, hat eine so tolle Stimme, so hübsche Kulleraugen, kann so betörend süß aussehen, dass sie für immer Romeos kindliche Julia oder eine zarte Luise Millerin hätte spielen können. Sie wäre auch eine großartige Belle in „Die Schöne und das Biest“ gewesen.

Doch zum Glück weiß Hanna Plaß, was sie nicht will, und ist auf einen Regisseur wie Armin Petras getroffen. Der hat ihr als Intendant am Stuttgarter Schauspiel nicht nur ihr erstes festes Engagement gegeben, sondern ihr gleich mit der Missy in „5 morgen“ eine Rolle anvertraut, die so gar nicht niedlich und süß ist.

"Meine erste große Rolle als ausgebildete Schauspielerin"

„Das war meine bisher anspruchsvollste Rolle, meine erste große Rolle als ausgebildete Schauspielerin. Das war ein ganz toller Start“, sagt Hanna Plaß. Sie sitzt im Foyer des Schauspielhauses, kommt gerade von den Proben zu Sebastian Baumgartens „Die Dreigroschenoper“ , ist ein bisschen aufgedreht und heiser. Doch zum Glück hat sie erfahrene Kollegen, die wissen, was man in so einem Fall tun muss: „Das ist ein Riesen-Voodoozauber. Alle schwören auf etwas anderes. Man bekommt von allen so Empfehlungen für Wundermittel. Mit den Tipps geht man dann in die Apotheke. Wenn man da dann sagt: Das will ich haben, sagen die so Sachen wie: Ja, das ist jetzt aber eher fürs Zahnfleisch.“

Vor ein paar Tagen bei der Aufführung von „5 morgen“ war die Stimme auch schon angeschlagen, doch dadurch wurde ihre Interpretation der Missy nur noch beeindruckender, wirkte die Figur noch destruktiver. Wenn sie nicht gerade auf der Bühne den emotionalen Berserker spielt, gefällt sich Hanna Plaß aber ganz gut in der Rolle des Ensemble-Kükens. Sie holt sich von den erfahrenen Kollegen nicht nur Apotheken-Tipps, sondern schaut sich auch einiges ab: „In jeder Inszenierung lerne ich. Und ich hoffe, dass das nie aufhört.“

Und dann sind da ja noch Regisseure wie Armin Petras und Sebastian Baumgarten: „Sie haben beide sehr viel Wissen, das sie in ihre Arbeit hineintragen. Natürlich kann ich da nicht ‚mithalten‘. Ich bin 25. Ich kann das alles gar nicht gelesen und gesehen haben. Ich sitze dann dabei und denke: Okay, warte mal, den Film muss ich sehen, das Buch lesen und so weiter. Dafür wissen sie aber nicht, was Yolo heißt.“

Unnötigerweise gibt's da einen Riesen-Minderwertigkeitskomplex

Auf ihrem Stuhl herumzappelnd, führt sie diese Sorte jugendlicher Unverkrampftheit immer wieder vor. Wenn sie von ihren ersten Fernseh- und Filmrollen schwärmt, etwa vom Liebesdrama „Hirngespinster“, das im Oktober ins Kino kommt und bei dem sie an der Seite von Tobias Moretti zu sehen sein wird. Wenn sie sich darüber wundert, dass alle fragen, wie es ihr denn in Stuttgart gefalle („Die Frage scheint in Stuttgart ein Riesenthema zu sein. Egal, mit wem ich spreche. Da scheint es unnötigerweise einen Riesen-Minderwertigkeitskomplex zu geben“).

Und wenn sie von Bert Brechts und Kurt Weills „Dreigroschenoper“ erzählt: „Natürlich kennt man die Lieder, ich hatte das Stück auch gelesen und einmal in einer ganz klassischen Inszenierung gesehen. Aber außer den tollen Liedern war da nicht viel hängen geblieben.“ Und neben der „Moritat von Mackie Messer“, die ja so was wie Brechts Schlager und damit ein Vorläufer von „Schnappi, das Krokodil“ ist, gibt es in dem Stück ja auch das wunderbare Lied „Seeräuber-Jenny“, das schon von Sängerinnen wie Lotte Lenya, Marianne Faithfull, Nina Simone oder Hildegard Knef interpretiert wurde. Jetzt also singt Hanna Plaß in der Rolle der Polly Peachum.

„Es gibt ganz spannende und ganz schreckliche Versionen. Ich finde zum Beispiel toll, wie die Knef das macht“, sagt Plaß, „ihre Version ist aber auch deswegen toll, weil sie nicht ans Stück gebunden ist. Es geht bei ihr nur um das Lied. Wenn ich dagegen als Polly ‚Seeräuber-Jenny‘ auf der Bühne singe, befinde ich mich gerade mitten in einer Hochzeit, bei der keiner so recht zusammenkommt. Da prallen Welten aufeinander. Wenn Polly innerhalb des Stücks plötzlich aus ihrer Welt heraussteigen würde, um zur Rächerin aller ungerecht behandelten Frauen zu werden, wäre das der Situation überhaupt nicht dienlich. Auf einer Gala kann man das Lied vielleicht so singen, aber im Kontext des Stücks geht das nicht.“

MIt "Ginger Redcliff" hat Plaß ihr eigenes Indiepop-Projek

Eigentlich macht Hanna Plaß, die an der Münchner Schauspielschule studiert hat, gerne auch abseits der Bühne Musik. Sie betreibt unter dem Namen Ginger Redcliff ihr eigenes kleines, feines Indiepopprojekt. Zuletzt erschien das sanft-atmosphärische Album „Note“. Seit sie das feste Engagement in Stuttgart hat, bleibt aber nicht mehr so viel Zeit für Ginger Redcliff. Dafür ging bei den Rollen, die sie bisher in Stuttgart übernommen hat, stets auch um Musik. „Ich glaube schon, dass es ein Plus ist, als junge Schauspielerin musizieren zu können. Gerade an einem Haus, in dem es ein Interesse an der Verbindung von bildender Kunst, Musik und Schauspiel gibt“, sagt sie und freut sich, dass sie in Stuttgart endlich mal nicht dazu gezwungen wird, sich zwischen Musik und Theater zu entscheiden.

Allerdings will sie sich nicht für immer hinter der Rolle der singenden Schauspielerin verstecken: „Musik kann Emotionen freisetzen, die über das Schauspiel in dem Moment schwieriger herzustellen wären. Man tendiert deshalb oft dazu, Musik als emotionales Schmiermittel zu verwenden. Das ist gefährlich. Was nicht passieren darf, ist, dass ich als Schauspielerin immer anfange zu singen, wenn es emotional wird, wenn schauspielerischer Mut gefragt wäre.“

„Die Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht und Kurt Weil hat an diesem Donnerstag in der Regie von Sebastian Baumgarten im Schauspielhaus Stuttgart Premiere. Beginn ist um 19.30 Uhr. Es gibt noch wenige Restkarten. Die nächsten Aufführungen sind am 16., 23. und 30. Juni.