Leere Theke: Jürgen Hess öffnete seine Bäckerei zum letzten Mal am 24. Dezember. Foto: Kathrin Haasis

Wieder haben zwei Bäckereien in Stuttgart aufgegeben: In Möhringen und in Obertürkheim bleiben weitere Öfen aus. Andere Betriebe vergrößern sich hingegen.

Am Ende schaffte Jürgen Hess alleine in seiner Bäckerei in Stuttgart-Möhringen. Die zwei großen Brezeln, die im Schaufenster hängen, lackierte er schwarz. „So, wie die Lage ist“, sagt der 52-Jährige. Am 24. Dezember verkaufte er nach 37 Jahren zum letzten Mal Brot, Kuchen und seine Spezialität, die Brezel. Auch in Obertürkheim geht am gleichen Tag eine Firmengeschichte zu Ende: Daniela Blum gibt die von ihren Großeltern im Jahr 1932 gegründete Bäckerei Bubeck auf. Mit Verwunderung blickt sie auf die neuen Branchentrends wie Zeit für Brot, wo die Schneckennudel mit 3,60 Euro doppelt so viel kostet wie bei ihr. „Da stehen sie jetzt Schlange“, sagt sie, „wer weiß, wann es abebbt.“ Ines Grau nähert sich dagegen mit einer neuen Filiale ihrer Brotfreunde Grau an den Edelbäcker an. Und die Kette Happy Baker expandiert mit einem anderen Erfolgsmodell.

Die Mutter starb „an der Schuldenlast“

Für Jürgen Hess gibt es „zig Gründe“, sein Geschäft aufzugeben. Seine Gas- und Stromrechnung hat sich fast vervierfacht. Ein Mitarbeiter lief ihm mitten in der Arbeitszeit davon. Für die Brezel verlangte er einen Euro, höher traute er sich nicht zu gehen, obwohl die Zutaten immer teurer wurden. Und während er früher an einem Samstag 3000 Stück davon verkaufte, waren es zuletzt weniger als die Hälfte.

„Von Anfang an ging eigentlich alles schief“, sagt er über den Betrieb. Einen Tag nach seiner Konfirmation übernahmen seine Eltern die Bäckerei. Die Erweiterung der Backstube „entwickelte sich finanziell zu unserem S 21“. Die Mutter starb „an der Schuldenlast“, der Vater ging im Streit. Mit seiner Schwester, die Konditorin ist, erlebte Jürgen Hess einige gute Geschäftsjahre, doch sie wanderte nach Mexiko aus. „Die Branche war schon immer ein hartes Brot“, sagt er.

Pausenlos in der Backstube

Daniela Blum war seit zehn Jahren nicht im Urlaub. „Wir machen vom Putzen bis zur Buchhaltung alles im Betrieb“, sagt sie. Pausenlos standen die Konditorin und ihr Partner Claus-Jürgen Blank in der Backstube, weil sie kein Personal finden konnten. Als die Rohstoff- und die Energiepreise explodierten, suchte sie einen Nachfolger, ebenfalls vergeblich. In das Stammgeschäft zieht ein Essenslieferdienst ein.

Nur die Filiale in Luginsland wird Claus-Jürgen Blank weiter betreiben, aber mit Brötchen von einem anderen Bäcker. „Ich verabschiede mich mit einem lachendem und einem weinenden Auge“, sagt Daniela Blum. Sie geht davon aus, dass  langfristig  nur die  großen Bäckereiketten überleben werden.

Der Westen steht auf Qualität

Ines Grau zieht es in den Stuttgarter Westen, weil dessen Bewohner „Qualität schätzen“. Am Rotebühlplatz in Mitte/West eröffnet sie eine weitere Filiale, denn ihr Eckladen zwischen Schwab- und Bebelstraße kommt „an seine Grenzen“. Die Inhaberin des seit 1939 bestehenden Fellbacher Betriebs ist allerdings nicht auf Expansionskurs: Sie reduzierte die Zahl ihrer Verkaufsstellen von 13 auf sechs. „Der Unterschied zur Tankstelle muss klar sein“, erklärt sie ihre Philosophie. Filialen in Supermärkten, unrentable oder unter Personalmangel leidende Standorte gab sie auf.

In Fellbach und Cannstatt betreibt sie Cafés, in denen Frühstück wie das In-Gericht Eggs Benedict und frisch gekochter, vegetarischer Mittagstisch serviert werden. Am Stuttgarter Schillerplatz übernahm sie eine Weinbar. Ihre Bäcker backen Bio-Vollkornbrot und Süßkartoffeltaschen, auf die Stulle kommt Rote Bete-Hummus.

Der Job zehrt an „den Kräften“

In die Einrichtung ihrer Läden steckt Ines Grau „viel Herzblut, damit die Kunden sich wohl fühlen“ – helles Holz, schwarzen Stein und gemusterte Fliesen. Als Edelbäckerei würde sie ihren Betrieb allerdings nicht bezeichnen. Eine Brezel ist bei den Brotfreunden Grau ebenfalls noch für einen Euro zu haben.

Exklusive Konzepte wie die gehypte Brotique im Heusteigviertel mit nur sieben Broten im Angebot sind für sie kein langfristig und überall umsetzbares Geschäftsmodell. Die Kunden wünschten sich viel Auswahl und frühe Öffnungszeiten. Der Job zehrt aber auch „an den Kräften“, räumt die Unternehmerin ein. Der Umbau ihrer neuen Filialen zieht sich mangels Handwerker über Wochen hin. Und kürzlich wurde ihr wieder per Headhunting ein Lehrling ausgespannt.

Aus Rumänien mit Happy Baker nach Heslach

Weil ihre Bäcker reihenweise nach Deutschland abgeworben wurden, hatte die Familie von Arben Jahdauti eine Idee: Happy Baker heißt ihre Kette, die sie im Juni 2021 in Pforzheim starteten und schon acht Filialen, darunter eine in Heslach, umfasst. „Unsere Mitarbeiter haben jetzt die Möglichkeit, mit dem gleichen Arbeitgeber das Land zu wechseln“, erklärt der Arzt, der zur Zeit nur mit dem Aufbau des Betriebs beschäftigt ist. Sein großer Bruder betreibt in Rumänien die Patiseria Elvin und musste von den 50 Konditoreien 30 wegen der Kündigungen schließen.

Backwaren vom Balkan bietet der Happy Baker, Burek mit Fleisch oder Spinat gefüllt ist das beliebteste Produkt und in Südosteuropa bekannter als Döner. „Hier gibt es viele Landsleute“, sagt Arben Jahdauti. Und dieser Kundenkreis hätte „große Sehnsucht“ nach den Cremeschnitten oder Fladenbroten aus der Heimat. Was die Familie nicht importieren kann, sind die günstigen Produktionsbedingungen. Der 30-Jährige rechnet deshalb mit „einem viel geringeren Gewinn“.