Alles muss raus – Alice Dicks löst den Korb-Mix auf. Es ist die „schwerste Zeit ihres Lebens“, sagt sie. Foto: factum/Bach

Sessel, Körbe, Lampenschirme: In dem Freiberger Familienbetrieb gab es vieles für den Haushalt – nur: Gebraucht wurde es nicht mehr. Abschied von einem alten Handwerk.

Freiberg/Neckar - Viel verändert hat sich nicht in den vergangenen 72 Jahren. Der Tisch, an dem der Chef saß – steht da wie immer. Die Wanne, in der die Weiden im Wasser ruhten – an Ort und Stelle wie eh und je. Das Flechtrohr hängt noch immer rum, als könnte es jederzeit zu einem Stuhlsitz werden. Daneben das Peddigrohr, als warte es darauf, sich für einen Sessel zu verbiegen. Und überall Körbe und Werkzeug. Gut, den Flachbildschirm an der Wand hat es vor 72 Jahren noch nicht gegeben, dafür das pralle reale Leben.

Die jüngste Tochter leidet

Zwei Lehrlinge waren immer beim Korb-Mix und ein Geselle. Und die Mix-Kinder, dazu der Chef natürlich und seine Frau. Jetzt ist nur noch Alice in der Werkstatt, das jüngste der fünf Mix-Kinder. Und bald verabschiedet auch sie sich. Bis zum Samstag hält die 53-Jährige einen „großen Räumungsverkauf“ ab, Ende des Jahres schließt sie das Geschäft. „Das ist gerade die schwerste Zeit meines Lebens“, sagt Alice, die mit Nachnamen schon lange Dicks heißt, mit einer Stimme, der die Schwere anzuhören ist.

Der Korb-Mix in Freiberg war das, was man eine Institution nennt. Von weit und breit kamen die Kunden, kauften Wäschekörbe, Katzenkörbe, Blumenkörbe und gaben Dinge in Auftrag, von denen viele gar nicht mehr wissen, dass es sie mal gab. Eine Verkleidung für die komplette Zimmerdecke aus Weiden zum Beispiel. Gerhard Mix war Mitte 20 und ausgebildeter Korbmacher, als er aus dem damaligen Bessarabien vertrieben wurde und in Freiberg eine neue Heimat fand. 1946 kaufte er das Haus Am Pflaster, gründete darin seine Familie und sein Geschäft, von dem man damals annahm, dass die Arbeit nie ausgehen würde. Was ein Korbmacher produzierte, wurde immer gebraucht. Erst recht, als Korbmacher auch Möbelmacher wurden. Stubenwagen, Liegestühle, Spiegelrahmen, Blumenübertöpfe, Rückentragen für Winzer – gab es alles beim Korb-Mix.

Der Garten wird zur Werkstatt

„Schaffen, schaffen, schaffen“, so hat Alice Dicks den Betrieb des Vaters als Kind wahrgenommen. Nach der Schule, in den Ferien, immer schaffen, schaffen, schaffen. Offenbar war es ein schönes Schaffen, sonst hätten sie und drei ihrer vier Brüder ja kaum Korbmacher gelernt.

Auf den Fotos, die die Familie gesammelt hat, ist unter anderem Gerhard Mix zu sehen, wie er mit einem Pferdefuhrwerk zum Schäferlauf fährt. Auf dem Anhänger türmen sich Körbe, Körbe und nochmals Körbe. Es gibt Bilder, die vollendete Aufträge dokumentieren: einen Stuhl mit Halbsonnengeflecht (sehr anspruchsvoll) etwa oder einen Bauchladen, in den der Verkäufer hineinsteigen konnte (sehr komplex). Und es gibt Fotos, auf denen der Garten hinter dem Haus mit Weiden belagert ist, die von rastlosen Schaffern geschält und gespalten werden. Die Weiden, das nebenbei, pflanzten und ernteten die Mix’ lange selbst. „Es war eine schöne Zeit“, sagt Alice Dicks, die das Geschäft 2011 übernommen hat. Alles andere hätte dem Vater das Herz gebrochen. „Das war sein Lebenswerk.“

Der Gehweg wird zum Schaufenster

Früher, der Anblick ist nicht nur älteren Freibergern bekannt, warben Sessel, Besen, Raumteiler, Einkaufswagen auf Rädern auf dem Gehweg vor dem Schaufenster für den Gang zum Korb-Mix. Heute ziehen nicht mal die „bis zu 70 Prozent Rabatt“ allzu viele Kunden in den Laden. Man kauft halt keine Hängeschaukel aus Rattan mehr oder Schirmständer aus Peddigband oder Regale aus Binsen. Und wenn schon einen Einkaufskorb aus Weiden, dann eher den aus Polen für 29 Euro, statt den vom Korbmacher für 80. Seit zwei Jahren arbeitet Alice Dicks, die zwei Söhne hat, Teilzeit beim Bäcker. Irgendwo muss das Geld zum Leben ja herkommen.

Als ihr Vater letztes Jahr starb, mit 96 an einem Schlaganfall, war klar, dass nun auch das Ende vom Korb-Mix in Freiberg nahen würde. Inzwischen ist das Haus verkauft, Ende Juni muss es geräumt sein. Ihr Handwerk aber wird Alice Dicks nicht ganz aufgeben: Wenn es gut läuft, wird sie mit ihren Körben auf den einen oder anderen Krämermarkt gehen. Man darf also hoffen, dass die Geschichte vom Korb-Mix noch ein bisschen fortgeschrieben wird. Wenn auch, streng genommen, als Korb-Dicks.