Leonie Schell und David Leute werden in der Schreinerei Zwinz ausgebildet. Foto: LG/Max Kovalenko

Die Handwerkskammer Region Stuttgart sieht sich in der Darstellung in den Schulen benachteiligt, deutlich weniger Abiturienten machen eine Ausbildung. Chancen bieten derzeit vor allem zahlreiche „Klimaberufe“.

Tobi Naumanns Geschichte ist eine, wie sie die Handwerkskammern wohl lieben. Vor einigen Jahren stieg der 39-Jährige bei einer renommierten Stuttgarter Werbeagentur aus, um nicht mehr „Bedürfnisse zu wecken für Dinge, die man nicht braucht“, wie er sagt. Seit einigen Jahren fertigt er für die Schreinerei Zwinz im Stuttgarter Bohnenviertel Unikate, etwa Waschtische aus Altholz oder Esstische aus Massivholz. Einfache, wesentliche Alltagsdinge, die er noch mit der Hand fertigen könne. „Hier kann ich einen Prozess von Anfang bis Ende entfalten.“

 

Das Handwerk etwas cooler machen – daran arbeitet auch die Handwerkskammer Region Stuttgart seit vielen Jahren, die am Donnerstag zu ihrer Jahreskonferenz an die Zwinzer Werkbank lud. Denn nach wie vor zählt der Fachkräftemangel zu den größten Problemen. Die Zahl der neuen Azubis ging in Stuttgart und den Nachbarkreisen 2022 im Vorjahresvergleich um 5,3 Prozent auf rund 4000 zurück. Litten Bäcker, Metzger und Klempner besonders darunter, freuten sich Dachdecker, Schornsteinfeger, Anlagenmechaniker und Elektroniker über mehr Nachwuchs – alles Berufe, die für energetische Sanierungen eine Rolle spielen. Mit 452 Azubis begannen noch nie so viele Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik die Lehre.

Die Zahl der Handwerksbetriebe in der Region steigt auf 31 400

Auch die Zahl der Neuanmeldungen klimarelevanter Betriebe, zu denen auch Installateure und Heizungsbauer zählen, wuchs merklich – und sorgte maßgeblich dafür, dass 2022 die Zahl der Handwerksbetriebe in der Region um 425 auf 31 403 stieg. Insgesamt steht das Handwerk trotz Krisenszenarien gut da, wie Handwerkskammer-Präsident Rainer Reichhold betont. Nach dem Wegfall der Corona-Beschränkungen holten viele wieder Handwerker ins Haus, die Auftragslage ist auch aktuell stabil. Sorgen macht allerdings das Bauhauptgewerbe, da sich immer weniger Bauherren die höheren Bauzinsen und gestiegenen Materialpreise leisten können. Dazu leiden energieintensive Bereiche wie Bäckereien und Restaurants trotz Strom- und Gaspreisdeckel unter den hohen Energiekosten.

Nach guten Fachkräften suchen aber auch sie – vor allem nach Azubis. Noch immer fühlt sich die Kammer vor allem in den Schulen vergleichsweise schlecht verkauft. Die Zahl der Azubis mit Abitur ging im vergangenen Jahr deutlich zurück, sagt Hauptgeschäftsführer Peter Friedrich. Die Schulen müssten „die Vielfalt und Attraktivität einer beruflichen Ausbildung“ besser vor Augen führen. Die Kammer fordert deshalb einen Tag des Handwerks. „Wenn es einen Tag der Studienorientierung gibt, dann muss es auch einen Tag des Handwerks an den Schulen geben“, so Friedrich. „Die heutige Schüler-Generation stellt vor allem die Frage nach Wirksamkeit und Sinnstiftung an ihren späteren Beruf. Da hat gerade das Handwerk am meisten zu bieten.“

Doch nicht immer wird das auch deutlich, wie Friedrich und Reichhold einräumen. Dass etwa die Zahl ausländischer Fachkräfte zurückgehe, liege manchmal auch an der fehlenden Willkommenskultur, etwa der Vergabe von Visa oder Hilfen bei der Wohnungssuche. Zudem fehlten den Betrieben teils das Gespür, dass „aus Bewerbern Beworbene“ geworden seien, so Friedrich. „Betriebe, die eine Betriebskultur entwickeln, erhalten auch genügend Bewerbungen.“

Das betreffe auch den Umgang mit Frauen, wie Rudolf Zwinz von der gleichnamigen Schreinerei betont. „Wenn ein Betrieb keine Frauen hat, ist es auch um die Kultur nicht so gut bestellt.“ Mit rund 20 Prozent gewerkeübergreifend sind sie noch immer unterrepräsentiert. In seiner Schreinerei sind zumindest vier der 12 Beschäftigten weiblich. Auch er könne noch ein, zwei Leute mehr gebrauchen, vor allem jene mit hoher Sozialkompetenz, meint Zwinz. Denn es gehe auch im Handwerk um Teamfähigkeit, Kundenansprache und selbstbestimmtes Arbeiten. „Es geht nicht nur darum, dass es gemacht wird, sondern wie es gemacht wird“, betont Zwinz. „Da liegt im Handwerk noch viel im Argen.“

Wichtiger Arbeitgeber

Geschäfte
In der Region Stuttgart gab es Ende des vergangenen Jahres 31 403 Betriebe mit 198 000 Beschäftigten. Der voraussichtliche Umsatz lag laut Handwerkskammer bei 31,3 Milliarden Euro.

Probleme
Zu den größten Problemen zählen neben dem Fachkräftemangel die unverändert hohen Materialkosten, die hohen Energiepreise und unterbrochene Lieferketten. „Stabstahl ist 2022 im Vorjahresvergleich um 40 Prozent teurer geworden, Flachglas um fast 50 Prozent“, heißt es.

Berufe
Zu den Top-Ten-Handwerksberufen zählten 2022 u.a. die Ausbildungsberufe zum Kraftfahrzeugmechatroniker, Elektroniker, Friseur, Schreiner, Maler, Lackierer und Zimmerer.