Ausschreibungen und Abnahmen waren wegen der Corona-Pandemie teilweise nicht möglich (Symbolbild). Foto: dpa/Andrea Warnecke

Öffentliche Verwaltungen konnten Anträge während des Corona-Lockdowns teils nicht einsehen, kritisiert der Handwerkstag. Er fordert „Vollgas bei der Digitalisierung“– und eine gesenkte Mehrwertsteuer bis mindestens Sommer 2021.

Stuttgart - Zu Beginn des Jahres sah „alles rosig“ aus, erinnert sich Rainer Reichhold. „Doch dann kam Corona.“ Die Stimmung in den Handwerksbetrieben sei deutlich abgerutscht, sagt der Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstags (BWHT). Nur 43 Prozent der Betriebe im Land bewerten die Lage demnach als gut, jeder dritte als schlecht. Vor einem Jahr waren es noch drei von vier Betrieben, die die Lage als gut einschätzten, nur vier Prozent befanden sie damals für schlecht.

Trotzdem zeigt sich das Handwerk im Südwesten zuversichtlich. Es ist dankbar für die Hilfen von Bundes- und Landesregierung. Etwa ein Drittel der Betriebe erwartet laut Reichhold nun wieder Steigerungen bei Aufträgen und Umsätzen.

Sachbearbeiter von Baubehörden im Homeoffice

Damit es tatsächlich aufwärts geht, ist es aus BWHT-Sicht jedoch dringend nötig, kommunale Behörden wieder auf Normalbetrieb hochzufahren. Baubehörden beispielsweise seien wochenlang abgetaucht, Dokumente nicht digitalisiert gewesen, sodass keine Abnahmen oder Ausschreibungen stattfinden konnten, wie der BWHT bemängelt. Dieses Geschäft fehle den Betrieben jetzt, wo die Wirtschaft wieder anlaufe. „Wir fordern deshalb Vollgas bei der Digitalisierung der Verwaltung.“

Die gesenkte Mehrwertsteuer begrüßt der BWHT grundsätzlich. Allerdings fordert er, die bis Ende des Jahres geltende Steuersenkung bis ins nächste Jahr hinein zu verlängern, „mindestens bis Sommer 2021“, wie Hauptgeschäftsführer Oskar Vogel sagt. Als Begründung nennt er „merkwürdige Ergebnisse“, die beispielsweise im Bau oder Autohandel drohten. So gilt bei Bauprojekten, die in der zweiten Jahreshälfte 2020 fertiggestellt werden, die 16-prozentige Mehrwertsteuer nachträglich auf bereits geleistete Abschlagszahlungen. „Wenn die Bauherren das Ersparte in neue Möbel investieren, ist alles gut. Wenn sie aber nur Kredite davon tilgen, ist der Konjunktur nicht geholfen“, gibt Vogel zu bedenken.

Kunden dringen auf Fertigstellung bis Ende 2020

Während von gewerblichen Kunden oder Bäckerkunden kaum Nachfragen zur Steuersenkung kommen, drängen Kunden im Bau- und Ausbaugewerbe und in Teilen des Kfz-Gewerbes offenbar darauf, Projekte bis spätestens Dezember fertigzustellen, um noch von der Steuersenkung profitieren zu können. Die Erwartungshaltung auf Kundenseite ist also immens. Dazu kommt der hohe bürokratische Aufwand, der Betrieben mit jeder Änderung der Mehrwertsteuer entsteht.

Bis Ende Juni hat das Handwerk landesweit 8100 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen – ein Minus von 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Als Ursache sieht der Handwerkstag den mangelnden Kontakt zwischen Betrieben und Schülern, der in früheren Jahren in Form von Berufsorientierung auf Messen oder an Schulen bestand. Reichhold: „Wir brauchen mehr digitale Kanäle.“ Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) hat auf diese Forderung bereits reagiert: Sie sprach von einem bereits beschlossenen Maßnahmenkatalog auf Landesebene zur Stärkung der beruflichen Orientierung, der beispielsweise virtuelle Speed-Datings und den Ausbau der Lehrstellenbörsen der Kammern beinhalte.

Handwerk ist systemrelevant

Das Handwerk fordert zudem, den Respekt vor systemrelevanten Berufen in gezielte Förderung umzusetzen – und zwar nicht nur in Bereichen wie der Pflege. „Das Handwerk ist auch systemrelevant“, betont Reichhold und nennt ein Beispiel: „Fällt in Krankenhäusern Gas, Wasser oder Strom aus, so sind diese auf den Notdienst des Handwerks angewiesen.“

Außerdem sei es nötig, Fristen zu überdenken. Was die Tilgung der Stundungen angeht, seien viele Betriebe noch nicht in der Lage, die Forderungen zu erfüllen. Das könnte, befürchtet der BWHT, zu einer zweiten Krisenwelle im Herbst und zu damit verbundenen Insolvenzen führen. Eigenkapitalanforderungen für Kredite an den Mittelstand sollten zudem nach Meinung des BWHT keinesfalls verschärft, sondern eher gelockert werden.