Bei den verbliebenen Metzgern herrscht Andrang. Das Sterben von Metzgereien hält die Handwerkskammer für eine Art Vorboten. Foto: /factum/Simon Granville

Immer mehr Inhaber von Handwerksbetrieben finden keinen Nachfolger. Die Kammer sagt für die nächsten Jahre eine Schließungswelle voraus. Die Probleme der Betriebsübergabe sind nicht zuletzt schlicht menschliche.

Böblingen - Zu den Kernproblemen zählt, dass der Betrieb gleichsam noch mit beim Abendessen sitzt. Was es bedeutet, ein Familienunternehmen zu führen, „sehen die Jüngeren bei den Eltern, dann beginnen sie zu überlegen“. So sagt es Thomas Wagner, der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Böblingen. Bei einer steigenden Zahl von Handwerkerkindern endet die Überlegung damit, dass ein Angestelltenberuf sich mit dem Wunsch nach der sogenannten Work-Life-Balance besser vereinbaren lässt als die Selbstständigkeit.

Weshalb die Zeiten enden werden, in denen Handwerksunternehmer stolz mit einer Tradition über mehrere Generationen hinweg für sich werben können. In den Karteien der Handwerkskammer für die Region Stuttgart sind aktuell fast 30 000 Betriebe aufgelistet, die zusammen rund 50 000 Mitarbeiter beschäftigen. Ein Ruhestandsalter von 65 Jahren vorausgesetzt, wird bei rund 5000 von ihnen innerhalb der nächsten fünf Jahre der Inhaber wechseln müssen.

Jeder sechste Betriebsinhaber ist auf der Suche nach einem Nachfolger

Auch im Landkreis Böblingen ist derzeit jeder sechste Handwerksmeister mit eigenem Betrieb auf der Suche nach einem Nachfolger. Rund 300 Inhaber, die keinen Interessenten finden, kommen jährlich zu speziellen Beratungsterminen der Kammer. Die rechnerische Lücke offenbart die Vergleichszahl zu denjenigen, die auf der Suche nach einem Unternehmen sind, das sie übernehmen könnten: Von ihnen suchen rund 170 pro Jahr Rat bei der Handwerkskammer.

„Das ist einfach ein Strukturwandel“, sagt Wagner, die Familienbetriebe werden immer weniger“. Dies sei schlicht Folge gesellschaftlichen Wandels. Genauso wenig wie die Kinder ihre naturgegebene Rolle darin sehen, den Beruf des Vaters zu erlernen, wollen die Ehefrauen von Handwerkern im Sinne einer Selbstverständlichkeit die Büroarbeit und die Buchhaltung übernehmen, sondern suchen eine eigene berufliche Wege. In der Folge sinkt die Zahl der Unternehmen, gleichzeitig „wächst ihre Größe“, sagt Wagner. Betriebe schließen sich zu größeren Einheiten zusammen oder werden übernommen. Immer mehr Selbstständige Handwerker „würden eben auch gern sechs Wochen Elternzeit nehmen oder nicht vier Wochen vor und vier Wochen nach einem Urlaub rödeln müssen“.

Die Handwerkskammer sagt eine zunehmende Zahl von Schließungen voraus

Die Handwerkskammer Stuttgart sagt eine zunehmende Zahl von endgültigen Schließungen voraus und nennt das Sterben von Metzgereien oder Bäckereien als Beispiel. Dies sei allein schon die Folge davon, dass sich nach und nach die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand verabschieden. Politisch wird das Thema durchaus wahrgenommen. Seit Jahresbeginn bekommt jeder, der eine Meisterprüfung ablegt, die Meisterprämie von 1500 Euro ausgezahlt. Eine Gründungs- und eine Übernahmeprämie sollen im Verlauf des Jahres folgen.

Mancher Betriebsinhaber unterschätzt offenbar das Problem. „Die Übergabe ist ein Prozess, der Zeit braucht“, sagt Thomas Schmitt, der für die Handwerkskammer Betroffene berät. Fünf Jahre seien das Minimum, das vom ersten Gespräch bis zum geregelten Betriebsübergang eingeplant werden müsse, selbst dann, wenn ein langjähriger Mitarbeiter der potenzielle Nachfolger sei. Neben der Finanzierung seien rechtliche Fragen zu klären, möglicherweise Fördergelder zu beantragen. Nicht zuletzt „ist eine Nachfolge mit vielen Emotionen verbunden“, sagt Schmitt. An denen scheitert laut Wagner manche Übergabe sogar trotz jahrelanger Vorbereitung gleichsam in letzter Minute – am bisherigen Betriebsinhaber: „Das Problem ist das Loslassenkönnen“.