Muaiad Odeh (Zweiter von links, stehend) mit seinen Azubi-Kollegen: angehende Fahrzeuglackierer im ersten Lehrjahr an der Schule für Farbe und Gestaltung – mit Lehrer Oliver Groß und Ausbildungsmanagerin Hannah Fink (hintere Reihe) Foto: /Felix Winkler

1071 Flüchtlinge besuchen als Azubis Berufsschulen in Stuttgart. Doch nur ein Viertel von ihnen kann dafür ausreichend Deutsch. Drei von der Stadt bezahlte Ausbildungsmanager sollen die Lehrlinge jetzt auf Kurs bringen. Doch das gestaltet sich gar nicht so einfach.

Stuttgart - Muaiad Odeh ist seit vier Jahren in Deutschland und hat im Sommer seine Ausbildung zum Lackierer angefangen. „Wir lackieren Lkws und große und kleine Teile“, erzählt der Syrer über seinen Ausbildungsbetrieb in Auenwald bei Backnang. In Stuttgart-Feuerbach besucht er die Schule für Farbe und Gestaltung. Dort ist er einer von 70 Flüchtlingen, und zwar einer der 50 mit besonderem Förderbedarf.

Wie die meisten von ihnen arbeitet Odeh gern im Betrieb, hat aber im Unterricht Probleme: „Wenn jemand schnell spricht, verstehe ich das nicht so gut“, erzählt er. Ganz schwierig sei es mit dem Schreiben und Lesen, räumt er auf Nachfrage ein. Und das, obwohl er vier Jahre lang Deutschkurse besucht hat. Damit sei er keine Ausnahme, erklärt Schulleiter Felix Winkler, der auch geschäftsführender Schulleiter der gewerblichen Schulen in Stuttgart ist.

Den Betrieben falle das gar nicht so stark auf, sagt Hannah Fink. „Im Betrieb sind viele Flüchtlinge ausgezeichnet, motiviert, praktisch begabt – aber hier an der Schule sieht die Situation ganz anders aus“, berichtet sie. Sie ist eine von drei neuen Ausbildungsmanagern, die die Stadt Stuttgart im Nachgang zu einem Ausbildungsgipfel im Februar kurzerhand eingestellt hat. Seit diesem Schuljahr arbeitet die Sonderpädagogin, die auch Erfahrung in der Erwachsenenbildung hat, an der Schule für Farbe und Gestaltung. Ihre Aufgabe: Brücken bauen zwischen Betrieb, Schule, Flüchtlingsazubis und externen Deutschkursanbietern.

72 Prozent der Flüchtlings-Azubis sind bei Ausbildung „akut gefährdet“

Erst im vergangenen Jahr war das erschreckende Ausmaß der Sprachdefizite neu zugewanderter Azubis bekannt geworden, weil Schulleiter Alarm geschlagen hatten. Gleich zu Beginn dieses Schuljahrs haben die Stuttgarter Berufsschulen daraufhin erstmals in allen Ausbildungsjahrgängen Sprachtests mit Migranten durchgeführt. Das Ergebnis: nur 307 der 1071 Flüchtlingsazubis, also 28 Prozent, können ausreichend Deutsch (mindestens B-2-Niveau), um eine gute Chance auf einen Abschluss zu haben. Das sind zwar deutlich mehr als vor einem Jahr, da waren es nur zwölf Prozent. Und auch der Anteil der Schüler mit ganz rudimentären Deutschkenntnissen (A 1/A 2) hat sich durch verschiedene Maßnahmen inzwischen von 38 auf 26 Prozent verkleinert.

Dennoch ist Winkler sehr besorgt: „72 Prozent sind immer noch akut gefährdet“, sagt der Schulleiter mit Blick auf die Prüfungsanforderungen. Der positive Effekt: Jetzt habe man alle identifiziert, die eine zusätzliche Sprachförderung brauchen.

Hannah Fink berichtet: „Die Flüchtlinge sitzen zum Teil mit Gymnasiasten in einer Klasse – das ist für einen Lehrer nicht zu meistern. Es ist, als ob ein Erstklässler in der zehnten Klasse sitzt – das passt einfach nicht zusammen.“ Sie ergänzt: „Die Betriebe sagen, warum kriegt die Schule das nicht hin? Und die Lehrer drehen am Rad.“ Allein die Zeit, um etwas von der Tafel abzuschreiben, sei unterschiedlich. „Die Betriebe unterschätzen die schulischen Anforderungen“, so Fink.

Berufsschule organisiert Zusatz-Deutschkurse – ohne Zusatzlehrer

Von den 60 Fahrzeuglackierern im ersten Lehrjahr hat Winkler deshalb die 15 Flüchtlingsazubis in einigen Fächern als eigene Kleinklasse eingeteilt, um passgenauer mit ihnen arbeiten zu können. Das heiße auch: auf niedrigerem Lernniveau. Und die Schule hat insgesamt die Deutschförderung erhöht. 40 der 70 Flüchtlinge nutzen die Gelegenheit: freitags vier Stunden lang zusätzlich. In drei Kursen organisiert das die Schule. Zwölf Stunden, das entspreche einer halben Lehrerstelle. Doch die gibt’s nicht. „Das schwitzen wir raus“, sagt Winkler.

Für 15 ihrer 50 Lackierer-Schützlinge hat Hannah Fink inzwischen zusätzlich Deutschkurse vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) organisiert. „Ich geh in die Klassenzimmer, hol sie einzeln raus, schaue nach dem Sprachstand und wo sie wohnen und welche Angebote es da gibt“, berichtet sie. Da die Kurse abends oder am Samstag stattfinden, sind sie nicht für alle attraktiv. Auch Muaiad Odeh ist der Meinung: „Freitag reicht.“ Nicht durchsetzen konnte sich die Idee, Wiederholerklassen für die Azubis einzurichten. Nur zwei Maler-Azubis wiederholen das erste Lehrjahr, berichtet Winkler. Die anderen seien alle ins zweite Lehrjahr gewechselt, trotz Fünfern im Zeugnis. Fink ergänzt: „Wir haben im dritten Lehrjahr immer noch Schüler auf A-2-Niveau. Das muss früher aufgefangen werden.“

Handwerkskammer empfiehlt Betrieben, auf Sprachvermögen der Bewerber zu achten

Das Thema beschäftigt auch die Handwerkskammer. Diese empfiehlt jetzt allen Ausbildungsbetrieben, sich vor dem Abschluss eines Ausbildungsvertrags mit einem Flüchtling über dessen Sprachniveau zu informieren. Es sollte mindestens B 1 sein. Liegt es darunter, empfiehlt die Kammer zunächst ein Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf oder eine sechs- bis zwölfmonatige Einstiegsqualifizierung.

Unterdessen hat Bildungsbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) für den nächsten Doppelhaushalt beantragt, die 2,5 Stellen der Ausbildungsmanager über den 20. August 2020 hinaus auf zwei weitere Schuljahre zu verlängern und dieses Modellprojekt zum nächsten Schuljahr aufzustocken und auf acht Schulen auszuweiten. Offenbar gibt es bereits positive Signale von den Fraktionen.