Stahltransport: Der Stahlpreis ist im vergangenen Jahr vor allen in den USA in die Höhe geschnellt. Zeitweise war Stahl in den USA 36 Prozent teurer als in Europa. Foto: Getty

Die US-Schutzzölle auf Stahl haben der Branche beachtliche Sondererträge beschert – zu Lasten von Stahlverbrauchern. Doch die Preise sinken mittlerweile wieder. Der Preisverfall könnte sich sogar beschleunigen.

Stuttgart - Donald Trump hat Stahl zum Thema gemacht. Der US-Präsident präsentiert sich als Schützer der US-Industriearbeitsplätze – und dazu gehört auch die Stahl- und Aluminiumindustrie. Um diesen Wirtschaftszweig zu protegieren, hat er Importe mit Zöllen von 25 Prozent (Stahl) und zehn Prozent (Aluminium) belegt. Seit April 2018 gelten diese Aufschläge für Einfuhren aus fast allen Ländern weltweit. Für türkischen Stahl sind es sogar 50 Prozent. Nur für kurze Zeit blieb die EU verschont. Doch seit Juni 2018 werden die Zölle auch auf europäischen Stahl erhoben. Brüssel hat reagiert und selbst einen Schutzzoll verabschiedet – er beträgt 25 Prozent auf Importe, die wegen der US-Zölle zusätzlich in die EU kommen.

Wie haben sich die Stahlpreise entwickelt ?

Eines vorweg: Die Stahlpreise in den USA, in Europa und in China sind unterschiedlich hoch; doch in der Vergangenheit haben sie sich überwiegend parallel entwickelt. Seit 2016 sind die Preisen deutlich gestiegen. Damals kostete die Tonne Warmwalzbandstahl weltweit unter 400 Dollar (352 Euro) . Auffallend ist dabei die Entwicklung in den USA, wo die Preise erheblich stärker gestiegen sind als in den anderen Regionen. Der bisherige Preishöhepunkt wurde im August 2018 erreicht. Damals kostete die Tonne Stahl in den USA knapp 900 Dollar – und lag damit sagenhafte 36 Prozent höher als das entsprechende Produkt in Europa. Seitdem sind die Preise wieder gefallen. Und auch die Preisschere zwischen den USA und Europa hat sich wieder etwas geschlossen. Anfang 2019 kostete die Tonne Stahl in den USA noch 716 Dollar; das waren „nur“ 22 Prozent mehr als in Europa.

Haben die US-Stahlkonzerne von den Schutzzöllen profitiert?

Ja. Die Ertragslage der US-Konzerne hat sich deutlich verbessert. Am Beispiel des größten US-Stahlkonzerns Nucor wird die Entwicklung deutlich. In den ersten neun Monaten 2018 – Zahlen für das ganze Jahr liegen noch nicht vor – ist der Umsatz des Konzerns um fast 24 Prozent und der Gewinn sogar um knapp 80 Prozent in die Höhe geschnellt. Der Absatz dagegen ist „nur“ um fünf Prozent gestiegen. LBBW-Analyst Jens Münstermann spricht von „Sondererträgen“ für die Stahlindustrie. Auch die deutschen Stahlkonzerne haben Zuwächse verbucht. Etwa Thyssen-Krupp: Das Ergebnis vor Steuern und Zinsen (Ebit) des Bereichs Stahl Europa ist im abgelaufenen Geschäftsjahr (30. September) um 26 Prozent gestiegen. Auch der Salzgitter-Konzern hat beim Ebit in den ersten neun Monaten kräftig um 42 Prozent zugelegt.

Was sagen die Stahlkunden?

Die Autoindustrie gehört zu den besten Kunden der Stahlindustrie. Stahl ist ein wichtiger Bestandteil für Autos. Ein Beispiel: Knapp die Hälfte des Fahrzeuggewichts des neuen Daimler E 220 d sind Stahl- und Eisenwerkstoffe. Doch beim Autobauer Daimler äußert man sich nur zurückhaltend zur Entwicklung – und spricht etwa von grundsätzlichen Schwankungen bei Stahlpreisen. Dass die Autoindustrie belastet ist, zeigt etwa Ford. Der US-Konzern hat auch wegen der Schutzzölle seine Gewinnerwartungen reduziert. Der Technologiekonzern Bosch und der Autozulieferer ZF halten sich ebenfalls zurück. Der Schraubenhändler Würth hingegen wird deutlicher. Ob für Möbelbeschläge oder für Werkzeugschränke – auch das Künzelsauer Familienunternehmen benötigt Stahl. Würth ist nicht nur Händler, sondern auch Produzent. Stihl benötigt für Sägeketten, Führungsschienen oder für Schneidwerkezeuge für Heckenscheren Stahl. „Wir können die gestiegenen Stahlpreise nur bedingt an unsere Kunden weitergeben“, sagt eine Sprecherin. Der gestiegene Stahlpreis belastet das Ergebnis. Die Entwicklung der Stahlpreise führt zu „Mehrkosten im einstelligen Millionenbereich“ pro Jahr, teilt das Unternehmen mit. Belastet sei vor allem das Werk in den USA. Auch für den Pressenhersteller Schuler ist der Anstieg der Stahlpreise seit 2016 ein „wichtiger Faktor“. „Der harte Wettbewerb in der Umformtechnik, der fast alle regionalen Märkte und Technologiesegmente bestimmt, verhindert in der Regel, dass die Hersteller die gestiegenen Kosten an ihre Kunden weitergeben können“, sagt ein Sprecher.

Wie hat sich der Stahlhandel durch die US-Politik verändert? Ist es zu den befürchteten Umlenkungen gekommen?

Die Antwort der Wirtschaftsvereinigung Stahl in Düsseldorf, eines Zusammenschlusses der hiesigen Stahlunternehmen, ist eindeutig – die EU-Stahlindustrie sei massiv von Handelsumlenkungen betroffen. Der Importdruck habe sich massiv erhöht. Im Oktober seien die von Zöllen betroffenen Stahlimporte der EU um 26 Prozent in die Höhe geschnellt. Kumuliert bis Ende Oktober 2018 habe der Zuwachs bei zehn Prozent gelegen. Die Importe in die USA seien im gleichen Zeitraum um 13 Prozent gesunken.

Welche Länder liefern mehr Stahl nach Europa?

Es ist nicht Stahl aus China, der jetzt verstärkt auf den Markt drängt; Stahl aus der Volksrepublik ist schon länger mit EU-Zöllen belegt, die Importe sind in den vergangenen Jahren gesunken. Massiv verschärft hat sich insbesondere der Importdruck aus der Türkei. Die Stahleinfuhren aus diesem Land in die EU sind im Jahresverlauf insgesamt um rund 50 Prozent gestiegen, bei einigen Produktgruppen habe der Zuwachs sogar bei mehr als 100 Prozent gelegen, hat die Wirtschaftsvereinigung Stahl errechnet. Künftig muss die Türkei, die bei Stahl mangels eigener Kunden auf den Export angewiesen ist, zwar Zoll zahlen, aber dieser Aufschlag ist in Europa niedriger als in den USA. Die USA haben im August die Zölle auf türkischen Stahl auf 50 Prozent verdoppelt.

Wie wird sich der Stahlpreis entwickeln?

Seit dem Peak im August 2018 sind die Preise deutlich gesunken. Würth beispielsweise rechnet 2019 mit einer „einigermaßen stabilen Preisbasis“, sagt ein Sprecher. Stihl und Schuler erwarten tendenziell weiter sinkende Stahlpreise. Grund dafür sei die langsamer wachsende Weltwirtschaft und die schwächelnde Nachfrage der Automobilindustrie. Es hat aber auch mit den Besonderheiten der Stahlindustrie zu tun, einem fragmentierten Markt, der weltweit von enormen Überkapazitäten geprägt ist. Die zuletzt gute Marktlage und die gestiegenen Preise haben die Konzerne genutzt, um möglichst viel zu produzieren. Und sie werden wohl weiter produzieren, erläutert LBBW-Analyst Jens Münstermann. Das hat mit den Preisen für Eisenerz zu tun. Vereinfacht ausgedrückt: Die Erzpreise haben den Höhenflug beim Stahl nicht mitgemacht. Die Folge ist, dass sich die Stahl- und Erzpreise, die sich traditionell weitgehend parallel entwickeln, entkoppelt haben. Und relativ niedrige Erz- bei relativ hohen Stahlpreisen führen zu hohen Gewinnmargen, was in den Konzernzahlen abzulesen ist. Diese Schere schließt sich zwar allmählich wieder; derzeit ist die Produktion für Stahlkonzerne aber immer noch lukrativ. Doch bei aktuell vollen Stahllagern, einer schwächelnden Autoindustrie sowie der Unsicherheit durch drohende Autozölle könnte sich der Preisverfall sogar beschleunigen.