Ein Kärcher-Mitarbeiter reinigt das Mount-Rushmore-Denkmal in den USA, zu dem auch das Antlitz von Ex-Präsident George Washington gehört. Foto: Kärcher

Kärcher-Chef Hartmut Jenner ist sich sicher, dass sich die Entwicklung im Bereich der US-Zölle weiter zuspitzen wird. Er befürchtet, sein Unternehmen könnte dadurch Schaden nehmen.

Winnenden - 85 Prozent des Umsatzes macht der Reinigungsgeräte-Spezialist Kärcher aus Winnenden im Ausland – noch mehr als die Wirtschaft der Region insgesamt. Das Iran-Geschäft fiel dem Druck von US-Präsident Trump bereits zum Opfer.

Herr Jenner, wer von einem Reinigungsgerät spricht, nennt es meist Kärcher, selbst wenn es von der Konkurrenz ist. Ist es für Sie Fluch oder Segen, dass Ihr Markenname zum Begriff für eine ganze Produktkategorie wurde?
Heute ist es fast unbezahlbar, eine bekannte Marke zu haben. Auf allen Kanälen werden die Verbraucher mit Informationen zugeschüttet. Da bietet eine Marke Orientierung.
Worin besteht diese Orientierung?
Das lässt sich in einem einzigen Begriff zusammenfassen: Eine Marke ist ein Leistungsversprechen. Sie gehen als Kunde davon aus, dass Ihnen etwas Bestimmtes geboten wird – etwa innovative Produkte, Qualität, ein hoher technischer Anspruch oder die Fähigkeit, auch in 30 Jahren noch Ersatzteile zu liefern.
Andererseits kann mit einem Kärcher auch ein Gerät der Konkurrenz gemeint sein.
Das ist dann die Kehrseite.
85 Prozent Ihrer Umsätze erzielt Ihr Unternehmen außerhalb Deutschlands. Doch die internationalen Märkte schotten sich zunehmend durch Zölle voneinander ab. Wie stark trifft Sie die Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump?
Der freie Handel ist für uns elementar. Bisher sind unsere Märkte zwar nicht von den Strafzöllen betroffen, doch ich rechne damit, dass sich die Entwicklung weiter zuspitzen und irgendwann auch uns indirekt treffen könnte.
Die USA verlangen von anderen Ländern, Geschäfte mit dem Iran einzustellen. Halten Sie sich daran?
Wir liefern in der Tat nicht mehr in den Iran. Das war schon vorher schwierig, weil der Geldtransfer kompliziert war, nun haben wir es eingestellt. Das Iran-Geschäft war für uns zwar nie von großer Bedeutung, aber auch hier zeigt sich eine Auswirkung der US-Handelspolitik.
Die Autoindustrie arbeitet am selbstfahrenden Auto – welche Rolle spielen für Sie selbstfahrende Reinigungsgeräte?
Wir haben jetzt die erste automatische Scheuersaugmaschine auf den Markt gebracht, die Böden in Supermärkten oder Gänge von Flughäfen reinigt.
Was bedeutet es für die Arbeitsplätze bei Ihren Kunden, wenn deren Reinigungsgeräte sich künftig von selbst steuern?
In Deutschland haben wir weitgehend Vollbeschäftigung – der Branche fällt es sehr schwer, Reinigungskräfte zu finden und zu halten. Auch weltweit fehlt es der Branche an Mitarbeitern. Selbstfahrende Geräte füllen somit eine Lücke, die sich bereits aufgetan hat.
Je mehr Dienstleistungen Sie anbieten, desto intensiver nutzen Sie die Daten, die bei der Nutzung Ihrer Geräte anfallen. Was geschieht mit diesen Daten?
Viele dieser Daten sind technischer Natur. Die Fernüberwachung der Geräte hilft zum Beispiel, Reparaturen direkt auf elektronischem Wege vorzunehmen. Selbst wenn der Servicetechniker kommen muss, sorgen die Daten dafür, dass er das passende Ersatzteil mitnehmen kann und sich – und der Umwelt – eine zweite Anreise erspart.
Im Prinzip könnten Sie diese Daten auch nutzen, um die Mitarbeiter zu überwachen und zum Beispiel deren Arbeitsleistung zu vergleichen.
Davon abgesehen, dass wir dazu gar nicht in der Lage wären, da uns die Daten des Mitarbeiters schlicht nicht vorliegen, lehnen wir ein solches Vorgehen kategorisch ab.
Um die Digitalisierung weiter voranzutreiben, haben Sie im vergangenen Jahr die Firma ZOI ins Leben gerufen. Warum brauchen Sie dafür eine eigene Firma?
Wir hatten im Bereich der Digitalisierung immer mehr Wünsche, während es gleichzeitig am erforderlichen Know-how und den Kapazitäten gefehlt hat. Die Digitalisierung stellt ganz andere Anforderungen, als sie unsere IT sonst erfüllen muss. Mit einer eigenen Firma lässt sich das besser abbilden.
Worin bestehen die Unterschiede?
Bei der klassischen Datenverarbeitung, über die Zahlungen gebucht oder Warenströme gesteuert werden, geht es vor allem um Betriebssicherheit und Effizienz. Fällt sie einmal aus, haben wir ein großes Problem. Bei der Digitalisierung gelten ganz andere Regeln: Es geht darum, schnell zu sein, immer wieder Neues auszuprobieren und auch mal mit einer unreifen Lösung auf den Markt zu gehen, denn Verbesserungen lassen sich später jederzeit nachschieben. Unsere Firma ZOI hilft uns, diese Kultur in unser Unternehmen zu bringen. Es fällt ihr außerdem leichter, die dafür benötigten Fachkräfte zu finden.
Wie groß ist diese Firma inzwischen?
Wir haben mit 30 Mitarbeitern angefangen und inzwischen auf 60 aufgestockt. In absehbarer Zeit wollen wir auf 150 Mitarbeiter kommen, die in Stuttgart, Berlin und Lissabon arbeiten.
Wie gut kommen Sie jenseits der IT an die benötigten Fachkräfte?
Wir bekommen im Jahr 27 000 Bewerbungen, damit kann man schon etwas anfangen. Aber auch wir spüren, dass es in manchen Bereichen enger wird. Viele junge Menschen gehen in ein Studium, merken später, dass es nicht passt und brechen ab. Dabei gibt es genügend andere Möglichkeiten, die zu wenig genutzt werden.
Streben zu viele Menschen an die Universität?
Wir brauchen eine breite Mischung von Qualifikationen. Gegenwärtig haben wir eine Überakademisierung. Viele treten sehr spät ins Berufsleben ein und merken dann, dass sie sich für das Falsche entschieden haben.
Welche Chancen bleiben dadurch ungenutzt?
Uns fehlen viele nichtakademische Qualifikationen.
Zum Beispiel?
Früher gab es Techniker mit kaufmännischen Zusatzqualifikationen oder Kaufleute mit technischer Zusatzqualifikation. Beide hatten kein Studium, waren aber exzellent für den Vertrieb technisch anspruchsvoller Produkte geeignet. Heute fehlt ein solches Berufsbild leider völlig.
In Baden-Württembergs Schulsystem werden schon nach der vierten Klasse wichtige Weichen gestellt. Die Entscheidung fürs Gymnasium führt später oft direkt an die Universität.
Das ist oft zum Schaden der Kinder. Sie müssen die Weichen für ihr Leben stellen, noch bevor sie sich die Schuhe richtig binden können. Auf der anderen Seite gibt es ja auch Spätzünder, die später bemerken, dass sie vielleicht doch das Potenzial für ein Fachabitur haben. Entscheidend ist für mich, dass das System sehr durchlässig ist.
Welche Anforderungen stellt die Digitalisierung an das Bildungssystem?
Es muss nicht jeder Informatiker werden, aber es ist gut, wenn man sich unter Anleitung schon im Kindergarten damit befassen würde. Genauso wichtig ist allerdings, dass junge Menschen eine solide Allgemeinbildung erhalten, um die vielen Informationen interpretieren zu können, die über die unterschiedlichen Kanäle und sozialen Netzwerke auf sie einströmen. Unter der heutigen Flut an Informationen leidet unsere Produktivität. Natürlich ist Produktivität nicht alles, aber man muss schon fragen, ob die Zeit sinnvoll genutzt wird, wenn man auf Facebook einen Freund nach dem anderen hinzufügt, den man gar nicht kennt.