Der Filialist Zara auf der Königstraße ließ bereits vor der behördlichen Anordnung die Jalousien runter Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Nach jüngsten Umfragen klagten Stuttgarter Händler zuletzt über Umsatzeinbrüche von bis zu 80 Prozent. Nun, durch die angeordnete Schließung der Läden, dürfte vielen die Insolvenz drohen.

Stuttgart - Das Unvorstellbare wird nun greifbar. Die Landesregierung setzt die Maßnahmen des Bundes eins zu eins um. Bedeutet: Der Einzelhändler muss seinen Laden schließen. Nur wann? Auf eine Presseanfrage antwortet ein Sprecher des Sozialministeriums: „Die Anordnung gilt dann, wenn es bei uns auf der Homepage steht.“ Später konkretisiert er: „Die Verordnung soll ab Mittwoch gelten. Für die Umsetzung muss das Ordnungsamt der Stadt Stuttgart sorgen.“

Anm. d. Red.: Der Inhalt dieses Textes ist teilweise überholt. Das Sozialministerium hat die Regierungsverordnung überarbeitet. Für alle betroffenen Bereiche gilt bis auf Weiteres, dass die Regel bis zum 19. April greift. Mehr dazu lesen Sie hier.

Der Zustand soll zunächst bis zum 15. Juni, also knapp drei Monate, weiter bestehen. Dass der Betrieb des öffentlichen Lebens in Stuttgart und Baden-Württemberg damit tatsächlich weitestgehend eingestellt ist, ist allerdings nicht in Stein gemeißelt. „Das ist ein vorsorgliches Datum und wurde im Schnellverfahren festgelegt“, sagt Claudia Krüger, eine Sprecherin des Sozialministeriums.

„Es herrscht totale Verunsicherung“, kritisiert hingegen Handelsverbandsgeschäftsführerin Sabine Hagmann die Informationspolitik des Landes. Manche schlossen bereits im vorauseilenden Gehorsam am Montag oder Dienstag, wie etwa Zara an der Königstraße. Manche bemühten sich vergebens um Informationen. Laut Hagmann gibt es immer noch zu viele offene Fragen. So sei zum Beispiel nicht geklärt, welche Geschäfte als „systemrelevant“ gelten und somit geöffnet bleiben dürfen. Hier müsse sich die Landesregierung an den Empfehlungen aus Bayern orientieren, zusätzlich aber Elektrounternehmen, Buchhandlungen, Bürogeschäfte und den Online-Handel mit in die Liste der systemrelevanten Einzelhändler aufnehmen. Nicht zuletzt scheint es den Bürgern ein großes Anliegen zu sein, kommunikationsfähig zu bleiben. Die Läden der Mobilfunkanbieter sind in diesen Tagen gut besucht.

Milaneo steht vor einem Kraftakt

Die große Verunsicherung macht freilich nicht in den Chefetagen halt. Auch die Angestellten hängen in der Luft. Im Kaufhaus Breuninger verbreitete sich das Gerücht von der Schließung ab diesen Mittwoch wie ein Lauffeuer unter der Belegschaft. Doch bestätigen konnte es keiner. Sicher war am Dienstag nur, dass Breuninger sein Haus auf behördliche Anordnung in Nürnberg/Bayern schließen musste.

Auch Milaneo-Centermanagerin Andrea Poul fühlt sich deshalb grundsätzlich in all diesen Dingen schlecht informiert und hofft auf eine gewisse Gnadenfrist beim Thema Schließung. Denn das Einkaufscenter, in dem 1500 Menschen arbeiten, von heute auf morgen für mehrere Wochen stillzulegen, sei kaum möglich. Doch sollte es so kommen, „werde ich mein Bestes geben“.

Etwas einfacher gestaltet sich die Lage im Einkaufscenter Gerber. Dort befindet sich der Textileinzelhandel ohnedies auf dem Rückzug. Soll heißen: Die Nahversorger, die Drogerie, die Apotheke oder der Kiosk dürfen als „systemrelevant“ geöffnet bleiben.

Ganz gleich ob Handelsriese, Einkaufsmall oder kleiner Einzelhändler: Die Sorgen um die Zukunft sind überall die gleichen. Dabei macht es offenbar kaum einen Unterschied, wenn ein Händler sein Ladengeschäft in der eigenen Immobilie betreibt oder Mieter ist. Sabine Hagmann bekommt diese Sorgen täglich in vielen Gesprächen hautnah mit: „Die Menschen sind sehr deprimiert.“

Auch Online geht wenig

So weit ist Horst Wanschura, ein exklusiver Modehändler in der Kronprinzstraße, noch nicht. Aber auch bei ihm geht es nun ans Eingemachte. Der Stuttgarter Traditionshändler schickt seine vier Angestellten jetzt erst einmal nach Hause. „Sie sollen sich ausruhen und gesund bleiben“, sagt er und verweist darauf, dass alle Kosten weiterlaufen. Vom Verdienstausfall gar nicht zu reden. „Daher habe ich im Moment keine Lösung“, sagt er, „die Rechnung muss ich bezahlen. Den Ausfall kann ich nie wieder reinholen.“ Laut Citymanager Sven Hahn lassen sich die Ausfälle derzeit auch nur bedingt über den Online-Handel kompensieren: „Es herrscht gerade aufgrund der großen Verunsicherung eine Kaufzurückhaltung der Konsumenten.“

Hagmann bestätigt diese Einschätzung und ergänzt: „Viele Händler wissen nicht, wie sie allein ihre Fixkosten noch in der nächsten Woche bezahlen sollen.“ Zum Beispiel Miete, GEZ-Gebühren oder Abfallgebühren. Es sei teilweise erschreckend, wie wenig liquide manche seien. Daher ist es für Florian Henneka, Inhaber von Korbmayer, auch keine Hilfe, wenn der Staat nun Steuerstundung oder zinslose Kredite anbiete: „Was soll das bringen? Irgendwann muss ich das Geld doch zurückzahlen.“ Geld, das keiner der Einzelhändler in Zukunft verdienen werde. Nicht zuletzt gestaltet sich laut Sabine Hagmann die Beantragung von Liquiditätshilfen derzeit sehr kompliziert. Manche Händler rennen dabei teilweise bei ihren Banken gegen eine Wand. Der Handelsverband unterstütze daher seine Mitglieder gerade bei der Beantragung von Kurzarbeitergeld. „Wir beraten persönlich, haben aber auch Musterformulare zum Herunterladen auf unserer Internetseite“, erklärt Hagmann. Entscheidend könne man dem Handel, der durch die Corona-Krise von Masseninsolvenzen bedroht ist, jedoch nur durch eine einmalige Finanzspritzen helfen. „Wir brauchen dringend ein Soforthilfeprogramm für entgangene Umsätze. Das ist kein normales Betriebsrisiko, das allein am Händler hängen bleiben darf“, sagt sie.

Nun sei die Politik an Zug. Die Umsatzausfälle, die angesichts der Schließungen drohen, müssten von der Politik ausgeglichen werden: „Dass das Leben in der Innenstadt auch nach der Corona-Krise attraktiv gehalten wird und floriert, ist Aufgabe der öffentlichen Hand. Insofern muss sie auch Sorge tragen, dass der Handel – ein wichtiger Teil der Innenstadtkultur – in Zukunft erhalten bleibt.“ Das gehe aber nur, wenn der Innenstadthandel überlebe. Sonst seien diese Strukturen für immer verloren.

Horst Wanschura macht sich indes wenig Hoffnung auf eine Hilfe seitens der Politik: „Die helfen doch meistens nur den Großen. Wir Kleinen bleiben auf der Strecke.“