Juri Knorr ist der Denker und Lenker bei den Rhein-Neckar Löwen und der deutschen Nationalmannschaft. Foto: mago/Lobeca/Max Krause

Juri Knorr trägt die Sehnsucht einer ganzen Handballnation auf seinen Schultern. Wie geht der Senkrechtstarter von den Rhein-Neckar Löwen mit dem Hype um? Was läuft bei der Ausbildung der Spieler in Deutschland schief? Und wie sieht er mit etwas Abstand die öffentliche Debatte über seinen Impfstatus?

Juri Knorr und die Rhein-Neckar Löwen (Platz zwei/33:7 Punkte) sind als einziges Spitzenteam der Handball-Bundesliga nicht auf der europäischen Bühne vertreten. Auch am Samstag (20.30 Uhr/EWS-Arena) kommen sie ausgeruht zum Spiel bei Frisch Auf Göppingen (Platz 14/12:28 Punkte). Kann das der Trumpf im Kampf um die deutsche Meisterschaft sein?

 

Herr Knorr, an diesem Samstag geht es nach Göppingen in die EWS-Arena. Was erwarten Sie?

Ein ganz heißes Spiel in bekannt aufgeheizter Atmosphäre. Frisch Auf hat deutlich mehr Qualität, als es der Tabellenplatz aussagt – auch ohne einen Topmann wie Sebastian Heymann.

Er wird nach seinem zweiten Kreuzbandriss erst im März zurückerwartet. Wie gut kennen Sie sich?

Er war in der Jugend immer zwei Jahrgänge über mir, bei der A-Nationalmannschaft haben wir dann ein paar Spiele zusammen absolviert. Basti ist eine unfassbare Maschine, physisch macht ihm keiner etwas vor. Ich wünsche ihm von Herzen, dass er stark zurückkommt, und so professionell, wie er arbeitet, packt er das auch.

Heymann galt als kommender Topspieler in Europa, schwere Verletzungen haben ihn gebremst. Jetzt tragen Sie die Sehnsucht einer ganzen Handballnation auf Ihren Schultern. Was macht der Hype mit Ihnen?

Er schürt ja immer auch eine gewisse Erwartungshaltung, damit umzugehen ist nicht immer einfach. Deshalb ging es mir im WM-Turnier nach dem Sieg gegen Serbien besser. Das war der Wendepunkt – auch mental. Ich konnte befreiter aufspielen und das Turnier genießen.

„WM war eine extreme Belastung“

Nicht nur Ihre Leistung, auch der Rummel um Ihre Person ging doch durch die Decke.

Zunächst einmal war die WM eine extreme Belastung – physisch und psychisch. Danach empfand ich eine Leere, ich war sehr müde und fing mir auch noch einen grippalen Infekt ein. Was den Rummel betrifft, ich bin nicht der Typ, der sich von einem Hype tragen lässt, der es cool findet, wenn alle schreiben, wie toll man ist. Das lässt mich eher noch mehr nachdenken.

Kann sich der Kopfmensch Knorr denn noch frei bewegen?

Ich wohne ja in Heidelberg, da ist der Handball keine so große Nummer. Ich bewege mich da weitgehend in der Rhein-Neckar-Löwen-Blase. In meiner Heimat im Norden sieht das dann schon etwas anders aus.

Dort trainierte Sie Ihr Vater Thomas, der selbst 83 Länderspiele absolvierte. Welche Rolle spielte er in Ihrer Karriere?

Er ist sportlich die wichtigste Person in meinem Leben. Mein Vater hat mich als Jugendtrainer immer begleitet, mich immer motiviert und da hingeführt, wo ich jetzt bin – ohne mega Druck auszuüben.

Der Papa als Coach, das soll nicht immer unproblematisch sein.

Da sind schon mal die Fetzen geflogen. Wir sind beides emotionale Typen, und ich habe mich in den Trainingsspielen immer etwas benachteiligt gefühlt.

Schauen Sie seine früheren Spiele an?

Meine Oma hat einen ganzen Schrank voller Videokassetten von Spielen meines Vaters. Die schaue ich mir gerne an. Er war mit einer gewissen Urgewalt unterwegs (lacht).

Sie selbst waren im Alter von zwölf, 13 Jahren im Nachwuchsleistungszentrum des Hamburger SV. Warum blieben Sie nicht beim Fußball?

Vielleicht habe ich gedacht, dass ich es – im Gegensatz zu meinen früheren Mitspielern Jann-Fiete Arp und Josha Vagnoman – nicht zum Profi schaffe (lacht). Nein, der Druck dort war auch schon in so jungen Jahren enorm. Das war nicht so meine Welt. Ich habe dann doch lieber mit meinen Kumpels Handball gespielt.

„Spanien war unglaublich lehrreich“

Und sind dann mit 18 Jahren in die Talentschmiede des FC Barcelona gewechselt.

Gleich nach dem Abitur zum ersten Mal von zu Hause weg zu sein, das war ein krasser Schritt. Eine harte Zeit, aber unglaublich lehrreich. Ich habe extrem viel mitgenommen.

Was konkret?

Die Spanier sind sehr detailverliebt. Sie machen alles in Perfektion, die Laufwege waren zum Beispiel mit Tape auf den Hallenboden geklebt. Technisch, taktisch habe ich viele Lösungen mit auf den Weg bekommen. Das hat mir extrem geholfen, besser zu werden. Obwohl der Handball dort keine große Sportart ist, können wir uns in Deutschland von den Spaniern einiges abschauen.

Was müsste bei uns besser laufen?

Der Druck auf junge Spieler in der Bundesliga ist riesig. Zudem gibt es bei der individuellen Weiterentwicklung der Spieler sicher Luft nach oben. Man sollte in der Grundausbildung der Talente einen neuen Ansatz schaffen, sie besser fördern. Nicht Medaillen und Titel sollten bei der Jugend und bei den Junioren ganz oben auf der Agenda stehen, das Ziel muss sein, sehr gute Handballer auszubilden.

Kommen wir zu den Rhein-Neckar Löwen. Als einziges Spitzenteam haben Sie mit Ihrem Team nicht die Zusatzbelastung Europapokal. Der entscheidende Trumpf im Kampf um die deutsche Meisterschaft?

Oh, das ist noch sehr weit weg. Klar zehren die Spiele auf der europäischen Bühne enorm an den Kräften, aber die Topteams sind das gewohnt. Sie haben Qualität und Erfahrung – mehr als wir. Deshalb tun wir gut daran, kleine Brötchen zu backen.

Haben Sie eine zündende Idee, was das Dauerthema Überbelastung im Handball betrifft?

Es ist brutal, wie das Programm durchgezogen wird. Die vielen Verletzungen sind kein Zufall, genauso wenig die Tatsache, dass es viele Spieler ins Ausland zieht. Ich finde schon, dass man innovativer denken sollte und mit entsprechenden Entscheidungen das System verändern sollte. Brandneue Lösungsansätze habe ich aber auch nicht. Nicht jedes Jahr eine EM oder WM zu veranstalten wäre natürlich kein Fehler. Eine längere spielfreie Zeit im Sommer, wie in der NBA in den USA üblich, sicher auch hilfreich.

Sie waren als einer der ersten Profisportler von einer Corona-Erkrankung betroffen. Wie sehr hat Sie das belastet?

Damals wusste man noch nicht so viel über das Virus, ich habe den Fehler gemacht, trotz Symptomen zu trainieren.

„Extrem schwierige, beschissene Zeit“

Da Sie sich später nicht impfen ließen, galten Sie als der „Kimmich des Handballs“. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Das war eine extrem schwierige, beschissene Zeit, die mich sehr belastet hat. Ich war schon schwer enttäuscht, wie sich die Gesellschaft verhalten hat. Aber das Thema ist durch.

Vegetarier sind Sie nach wie vor?

Ja, seit dreieinhalb Jahren lasse ich Fleisch weg, seitdem sind meine massiven Problemen an der Patellasehne verschwunden. Mir tut es gesundheitlich gut, zudem ist es für mich auch eine ethische Frage. Ich wäre nicht in der Lage, ein Schwein zu schlachten, also muss ich es auch nicht essen.

Was ist Ihr großes Ziel als Handballer?

Ich möchte ein Champions-League-Final-Four spielen und, klar, natürlich fiebert man der Heim-EM 2024 entgegen, das wird ein cooles Event.

Zur Person

Karriere
Juri Knorr wurde am 9. Mai 2000 in Flensburg geboren. Er ist der Sohn des ehemaligen Handball-Nationalspielers Thomas Knorr, der in 83 Länderspielen 199 Tore für Deutschland erzielte. In seiner Jugendzeit wurde Juri Knorr besonders von seinem Vater als Trainer beim VfL Bad Schwartau und beim MTV Lübeck geprägt. Als 17-Jähriger wechselte er zum Oberligisten HSG Ostsee. Der Verein stieg in die dritte Liga auf, doch der Spielmacher nahm im Sommer 2018 ein Angebot des FC Barcelona an. Beim katalanischen Renommierclub blieb er ein Jahr und wurde meistens in der zweiten Mannschaft eingesetzt. Er spielte und trainierte aber auch bei den Profis. 2019 schloss er sich dem Bundesligisten GWD Minden an. Bundestrainer Alfred Gislason nominierte ihn im November 2020 erstmals für die Nationalmannschaft (bis heute 37 Länderspiele/113 Tore). Im Sommer 2021 zog er weiter zu den Rhein-Neckar Löwen, wo er bis 2026 unter Vertrag steht.

Persönliches
Juri Knorr ist Vegetarier. Er wohnt mit seiner Freundin Friederike (samt Hund) in Heidelberg und hat eine Schwester, die Vibe heißt. (jüf)