Der deutsche Innenblock mit Johannes Golla (li.) und Fabian Böhm bekam Ungarns Spielmacher Mate Lekai nicht in den Griff – gegen Spanien muss eine Steigerung her. Foto: imago/Mathias Bergeld

Der Hauptrundenauftakt gegen Spanien wird für die deutschen Handballer zum Schlüsselspiel im Kampf um die Viertelfinalteilnahme bei dieser WM. Um es erfolgreich zu bestehen, braucht es vor allem eine deutliche Steigerung des neuformierten Innenblocks.

Kairo/Stuttgart - Es war eine kurze Nacht für Alfred Gislason nach dem bitteren 28:29 im letzten WM-Vorrundenspiel gegen Ungarn. An viel Schlaf war nicht zu denken. Am frühen Mittwochmorgen stand für den Bundestrainer schon wieder Videostudium vom ersten Hauptrundengegner Spanien auf dem Programm. Auch die folgende 90-minütige Fahrt ins neue Luxusquartier St. Regis Almasa im Osten Kairos nutzte er zum Tüfteln am Matchplan. Zum digitalen Medientermin beorderte der Deutsche Handballbund (DHB) den Co-Trainer Erik Wudtke. Und der wusste genauso wie sein Chef, auf was es im Hopp-oder-Top-Spiel gegen den Europameister von 2018 und 2020 an diesem Donnerstag (20.30 Uhr/ZDF) ankommt: „Wir müssen in der Defensive besser stehen.“

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Vor allem im Abwehrzentrum hatte das deutsche Team keinen Zugriff bekommen. Die überragende ungarische Achse mit dem schnellen, im Eins-gegen-Eins überragenden Spielmacher Mate Lekai und dem 2,06-m-großen Kreisläufer-Koloss Bence Banhidi (acht Tore) erteilte eine Lehrstunde. Viel zu passiv ging die DHB-Auswahl über weite Strecken des Spiels zur Sache. „Wir müssen im Innenblock aggressiver decken. Nur wenn wir dieses Grundprinzip erfüllen, können wir auch eine herausragende Torwart-Qualität erwarten“, erklärte Wudtke. Was er damit sagen will: Die glücklosen Keeper Andreas Wolff und Johannes Bitter wurden von ihren Vorderleuten im Stich gelassen.

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Mit dieser Baustelle im deutschen Team war durchaus zu rechnen. Denn über Jahre hinweg füllten Patrick Wiencek (29) und Hendrik Pekeler (31) die zentrale Rolle in der Abwehr aus. „Herzstück“, „Kieler Stabilitätspakt“, „menschliche Mauer“, ja sogar „sanfte Killer“ betitelte man diesen Weltklasse-Innenblock. Doch sie sagten beide ihre Teilnahme ab. Genauso wie die erste Alternative, der 2,10-Meter-Abwehr-Hüne Finn Lemke.

Internationale Erfahrung fehlt

Johannes Golla (23) und Sebastian Firnhaber (26) sollten es richten. „Die kämpfen wie die Schweine“, hatte Rechtsaußen Tobias Reichmann auf seine typische und unverblümte Art das deutsche Ersatz-Bollwerk vor der WM gelobt. An der bedingungslosen Hingabe, der totalen Aufopferung, der Lust am Zerstören, der absoluten Bereitschaft, Lücken zu stopfen und die Fehler der Nebenleute auszubügeln, daran mangelt es dem neuen Gespann auch nicht. Was fehlt, ist internationale Erfahrung. Golla hat 15 Länderspiele, Firnhaber gerade mal vier. Und zum Einspielen hatten die beiden vor der WM gerade mal die zwei EM-Qualifikationsspiele gegen Österreich.

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Oder fehlt es einfach auch an Klasse? Gegen Ungarn stieß vor allem Firnhaber an seine Grenzen. Die Abstimmung mit Golla passte nicht, meist kam der Mann vom HC Erlangen einen Schritt zu spät. Er musste Lehrgeld zahlen. Der für ihn früh eingewechselte Fabian Böhm machte seine Sache im Deckungszentrum deutlich besser. Und der 31-jährige Ex-Balinger dürfte auch gegen die Spanier eine wichtige Rolle übernehmen. Zumal er die Spielweise der Iberer aus seinem Verein TSV Hannover-Burgdorf sehr gut kennt: Dort gibt das spanische Trainerduo Carlos Ortega/Iker Romero die Philosophie vor.

Spanische Oldies

Was die DHB-Auswahl im Vergleich zum Ungarn-Spiel erwartet? Eine nicht ganz so starke Achse Mitte-Kreis, weniger individuelle Abschluss-Qualität aus dem Rückraum, dafür eine höhere Abwehrqualität und mehr Tempospiel über die Außen, trotz des hohen Alterschnitts von 31,3 Jahren.

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Wie so oft steht viel auf dem Spiel in diesem Handball-Klassiker. „Wenn wir die Tabelle hochklettern wollen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, dann müssen wir gegen Spanien Punkte holen“, forderte Gislason. „Wir hätten gerne ein Kann-Spiel gehabt. Jetzt haben wir ein Spiel, das wir gewinnen sollten“, ergänzte Bitter. Verliert das DHB-Team sein erstes WM-Hauptrundenspiel, ist das angestrebte Viertelfinale in den dann folgenden Partien gegen Brasilien (Samstag, 20.30 Uhr/ZDF) und Polen (Montag, 20.30 Uhr/ARD) aus eigener Kraft nicht mehr zu schaffen.

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Vor allem die Routiniers sind nun gefordert. „Die Jungen müssen all ihre Energie reinbringen, und die Erfahrenen müssen die Energie lenken“, forderte DHB-Vizepräsident Bob Hanning. Welcher 16-Mann-Kader es richten soll, ist noch offen, der Bundestrainer wollte sich noch nicht festlegen: „Es wird bestimmt ein paar Änderungen geben“, kündigte Gislason personelle Wechsel an, ohne dabei Namen zu nennen. Das Problem: Für die Hauptbaustelle Innenblock gibt es leider keine verfügbaren weiteren Alternativen. Sie muss von den üblichen Verdächtigen besser als gegen Ungarn beackert werden.

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