Handballstar Estavana Polman mit ihrem Lebensgefährten (einem Fußballer) Foto: dpa

Die Popularität der niederländischen Handballerinnen in ihrer Heimat ist gewaltig – das liegt auch an Superstar Estavana Polman. In ihrer Wahlheimat Dänemark stellt sie sogar ihren Lebensgefährten in den Schatten – den Fußballer Rafael van der Vaart.

Leipzig - Rafael van der Vaart (34) reißt die Arme in die Höhe und ballt die Faust. Gerade hat seine Lebensgefährtin beim 27:27 gegen Serbien ein wichtiges Tor erzielt. Der Fußballprofi sitzt bei der Handball-WM in Leipzig auf der Tribüne. In der Oranje-Trainingsjacke. Als Fan. Die Hauptrolle spielt seine Liebste. Die Rückraumspielerin Estavana Polman ist die schillerndste Figur bei der WM und der Star des niederländischen Nationalteams. Keine sechs Monate nach der Geburt von Tochter Jesslynn ist die 25-Jährige, nach der in ihrer Heimat eine Tulpe benannt ist, schon wieder am Ball. Auch an diesem Freitag (18 Uhr/Sport 1), wenn es im brisanten Showdown gegen Deutschland um den Gruppensieg geht.

Henk Groener, der ehemalige niederländische Bondscoach (2009 bis 2016) und künftige deutsche Bundestrainer (von 2018 an) muss schmunzeln, als er auf das Promi-Paar angesprochen wird – und erzählt warum. Ein niederländischer Redakteur machte sich auf nach Dänemark, um van der Vaart bei seinem Verein FC Midtjylland zu besuchen. Beim Grenzübertritt wurde der Journalist gefragt, was er denn vorhabe. Als er den Grund für das Interview nannte, erwiderte der Kontrolleur: „Ach, sie wollen mit dem Freund von Estavana Polman sprechen.“ Sie setzt für das dänische Team Esbjerg zum Sprungwurf an.

Die Nationalspielerinnen sind Dauergäste in Talkshows.

Wenn Groener diese Geschichte erzählt, gehen seine Mundwinkel nach oben. Denn es zeigt den hohen Stellenwert des Frauenhandballs. In Skandinavien, aber auch in Groeners Heimat. Denn das Team hat in den vergangenen zwei Jahren Historisches geleistet: Vize-Weltmeister 2015, Vize-Europameister 2016 und Vierter bei der ersten Teilnahme an Olympischen Spielen in Rio. Klar, der Boulevard schmückt sich gerne mit bunten Storys über das Glamour-Pärchen. Doch durch die Erfolge des Teams sind auch die anderen Spielerinnen wie etwa Top-Torhüterin Tess Wester vom Meister SG BBM Bietigheim in den Medien präsent.

„Ein wenig glückliche Fügung gehört auch dazu“, sagt Groener mit Blick auf das Fräulein-Wunder in Orange. Drei Wochen vor der Frauen-WM 2015 startete ein neuer Sportsender des Kabelnetzbetreibers Ziggo. Der sicherte sich die Fernsehrechte für die Titelkämpfe. Und landete durch die ungeahnte Erfolgswelle einen Volltreffer – für sich und den niederländischen Frauenhandball. „Die Nation hat die Handball-Mädels adoptiert“, sagt Groener nicht ohne Stolz. Die Nationalspielerinnen, die alle bei ausländischen Clubs spielen, sind Dauergäste in Talkshows. „Sie lassen auf ihre charmante Art schon mal freche Sprüche los“, erzählt Groener, der auch schon den früheren Männer-Zweitligisten HBR Ludwigsburg trainierte. Die mediale Präsenz bleibt nicht ohne positive Folgen auf die Resonanz in den Hallen: Ein Testspiel gegen Handball-Zwerg Italien in Eindhoven war mit knapp 5000 Zuschauern ausverkauft.

Die Ursache für den Aufschwung im deutschen Nachbarland liegt 20 Jahre zurück. Bert Brouwers, der damalige Trainer der Auswahl, war eng befreundet mit einem Millionär. Mit dessen Hilfe gelang es, Strukturen zu schaffen, um 16 ausgewählte Spielerinnen für zwei Jahre aus ihren Vereinen herauszuholen und sie unter Profi-Bedingungen zu trainieren. Das System wurde nach WM-Platz zehn 1999 nicht weiterverfolgt, doch der Anstoß zur Professionalisierung war gegeben.

Die „Dutch Handball Version“

Groener schrieb auf knapp 70 Seiten nieder, was die holländische Handball-Philosophie bedeutet. Es ging nicht nur um Technik und Taktik. Es wurde auch analysiert, welchen Einfluss Schule, Kultur und Gesellschaft auf den Leistungssport Handball haben. Die „Dutch Handball Version“ war geboren. Schnell, dynamisch, überraschend und effektiv waren die Schlagworte. „Uns war klar, dass es mindestens zehn Jahre dauern wird, um eine neue Spielergeneration an die internationale Spitze zu führen“, sagt Groener. Eine Schlüsselrolle nimmt dabei heute noch die Handballakademie in Papendaal ein. Junge Spielerinnen werden von Sonntagabend bis Freitagmittag schulisch wie sportlich rundum betreut, an den Wochenenden spielen sie daheim für ihre jeweiligen Clubs. 80 Prozent der niederländischen Nationalspielerinnen sind dort ausgebildet worden.

Von Januar an will Groener dann den Frauenhandball in Deutschland aus der Nische führen. „Medienwirksamkeit geht nur mit Siegen. Deshalb ist eine starke Heim-WM für den DHB auch so wichtig. In Holland hat es mit der Popularität auch erst geklappt, als der Erfolg da war“, betont Groener. Das Duell seines alten gegen sein neues Team an diesem Freitag wird er vor dem Fernseher verfolgen. Sein Tipp? „Es wird ein enges Ding, und ich hoffe, dass sich beide Teams in der Finalrunde in Hamburg wiedersehen.“

Rafael van der Vaart würde dann garantiert auch wieder dabei sein. Als „Spielerinnen-Mann“ und Fan des Frauenhandballs.