Die Symbolik ist wichtiger als das Ergebnis: Erstmals spielt bei einer Handball-WM ein gemeinsames Team aus Nord- und Südkoreanern. Foto: dpa

Das Leistungsgefälle ist groß: Warum es bei der Handball-Weltmeisterschaft für einige Mannschaften nur um die Frage geht, wie hoch die nächste Niederlage ausfällt.

Stuttgart - Eines der Bilder, die von dieser Handball-WM bleiben werden, ist schon geschossen. Nach dem Eröffnungsspiel in Berlin stellten sich die Koreaner in ihrem Tor zum Erinnerungsfoto auf – sie wollten den historischen Moment nach dem ersten Auftritt eines gemeinsamen Teams aus dem Norden und dem Süden des geteilten Landes auf der großen Handball-Bühne festhalten. Was nur zeigt: Die Symbolik spielt bei der WM eine große Rolle, manchmal ist sie sogar wichtiger als das Ergebnis.

Korea war beim 19:30 gegen Deutschland chancenlos, und man muss kein talentierter Prophet sein, um vorherzusagen, dass das vereinte Team auch keines seiner restlichen vier Vorrundenspiele gewinnen wird. Ähnlich mies sind die Aussichten für einige andere Mannschaften. Chile zum Beispiel lag gegen den anderen Gastgeber Dänemark zur Pause 4:22 hinten, am Ende stand es 16:39. „Korea, Chile oder Bahrain würden in der zweiten deutschen Liga gegen den Abstieg spielen“, sagt Rolf Brack, ehemaliger Bundesliga-Coach und Ex-Trainer des Schweizer Nationalteams. „Bei einem Viertel der WM-Teilnehmer geht es nur um die Frage, wie hoch das nächste Spiel verloren wird. In der Breite hat das Niveau im internationalen Handball zuletzt abgenommen. Und das ist ein Problem.“ Das in zwei Jahren noch sichtbarer werden wird.

Für die WM 2021 in Ägypten wird das Feld um acht Nationen auf 32 aufgestockt. Dann sind noch mehr Entwicklungsländer dabei. „Der Sportart Handball tut das nicht gut“, sagt Experte Brack: „So ein Turnier lebt doch davon, dass auch mal eine Überraschung möglich ist. Doch dafür sind im Handball die Leistungsunterschiede oft zu groß.“ Oft – allerdings auch nicht immer.

Bei den Sommerspielen 2016 überraschte Gastgeber Brasilien

Brasilien zum Beispiel hat vor den Olympischen Spielen 2016 im eigenen Land viel investiert, unter anderem in den spanischen Trainer Jordi Ribera. Das zahlte sich aus. In Rio schlug das Team in der Vorrunde Deutschland 33:30, zog ins Viertelfinale ein. Die besten Akteure spielen wie Thiagus Santos (FC Barcelona) oder Torwart Cesar Almeida (BM Granollers) bei namhaften europäischen Clubs, die Härte in der Abwehr hat sich das Team bewahrt. „Wir werden viel auf die Fresse bekommen“, sagt der deutsche Keeper Andreas Wolff vor dem Duell gegen die Brasilianer an diesem Samstag (18.15 Uhr/ZDF). Dennoch wäre der Einzug in die Hauptrunde, wofür Rang drei unter den sechs Teams der Gruppe A nötig ist, ein riesiger Erfolg für die Südamerikaner. „Das wird hammerhart, aber trotzdem bin ich optimistisch“, sagt der TV-Experte und langjährige brasilianische Kapitän Bruno Souza, „wir haben ein Level erreicht, mit dem wir bei der WM unter die besten acht kommen können.“

Diese Meinung hat der frühere Rückraumspieler von Frisch Auf Göppingen und dem HSV Hamburg allerdings exklusiv. Bei den vergangenen fünf Weltmeisterschaften schaffte es kein Handball-Exot mehr in die Top Ten – abgesehen von Katar, das sein eigenes Spiel spielte. Mit viel Geld köderte das Emirat hochkarätige Profis aus der ganzen Welt, und danach lief es wie geschmiert: Katar stand bei der WM 2017 im Viertelfinale und bei der WM 2015 im eigenen Land sogar im Finale. Diesmal ging allerdings gleich das erste Spiel gegen Angola daneben (23:24). „Katar hat zuletzt eine Sonderrolle eingenommen“, sagt Rolf Brack, „für die anderen Exoten gilt: Wenn sie mal was gerissen haben, fehlt es danach meist an Beständigkeit. Bei der laufenden WM sehe ich kein Team, das in der Hauptrunde überraschen könnte. Die Chance, auch nur in die Nähe des Halbfinales zu kommen, existiert für niemanden.“

In einigen Regionen gelingt es dem Handball gar nicht, Fuß zu fassen

Die Europäer werden am Ende also wieder unter sich sein. Weil sie technisch und taktisch besser ausgebildet sind. Weil sie in professionellen Ligen spielen. Und weil Handball zwar schnell, kompliziert und hart ist, aber auch so berechenbar, dass fast immer die Favoriten gewinnen. Experten wie Rolf Brack hätten nichts dagegen, wenn es anders wäre, doch dafür müsste es professionellere Strukturen auch auf anderen Kontinenten geben. „Davon sind wir allerdings weit entfernt“, sagt er, „zuletzt gab es eher Rückschritte, und in Nordamerika, China oder Australien gelingt es dem Handball gar nicht, Fuß zu fassen.“

Weshalb die große WM-Bühne weiter den Europäern gehören wird. Abgesehen von dem einen oder anderen Auftritt, bei dem die Symbolik wichtiger ist als das Ergebnis.