Die deutsche Mannschaft spielt bei der Handball-EM zum Auftakt gegen die Niederlande. Was macht den Sport aus? Weshalb ist es der geilste Sport der Welt? Unser Sportredakteur hat sich seine – nicht immer ganz ernst gemeinten – Gedanken darüber gemacht.
Stuttgart - Es ist soweit: Die Handball Europameisterschaft 2020 hat begonnen. Und manch einer fühlt sich berufen, mit uns Handballern über Handball fachzusimpeln.
Nun sei das ja jedem gegönnt. Ob er etwas von Handball versteht oder nicht. Schließlich darf auch jeder seine Meinung über seinen Lieblings-Fußballverein zum Besten geben. Aber: Wenn Sie wirklich über Handball mitsprechen möchten, sollten Sie erst einmal wissen, was unseren Sport ausmacht. Weshalb wir 30 Jahre die Knochen hinhalten in einem Sport, der Schmerzen verursacht, in dem selbst Profis nach ihrer Karriere kaum ausgesorgt haben, und der in der öffentlichen Wahrnehmung irgendwo zwischen den Pay-TV-Kanälen von Sky und Internet-Streamingportalen angesiedelt ist.
1. Wir können alles, auch Fußball
Wer einmal im Handball-Training war, weiß: Wir kicken, um uns warm zu machen. Das hat seine Vorteile: Handballer können im Sportunterricht auch im Fußball in aller Regel eine eins absahnen (während der durchschnittliche Fußballer sich beim Handball, Basketball oder Volleyball eher mit einer 3 begnügen muss). Zudem sind wir in der Lage, als Handball-Landesliga-Mannschaft in der Vorbereitung einen Fußball-Kreisligisten auf deren Sportplatz mit 5:2 zu besiegen. Wer es nicht glaubt, frage bei den Sportfreunden einer Teilgemeinde meiner Herrenberger Heimat nach.
2. Geografie-Kenntnisse
Vor Jahren habe ich gelesen, der Handball müsse aus Vermarktungsgründen in die Großstädte. Nun gut, der TV Bittenfeld tat genau das, wurde zum TVB Stuttgart, spielt in der Scharrena und doch sind die Jungs von Jürgen Schweikardt für mich weiterhin einfach: Bittenfeld. Und die Rhein Neckar Löwen sind weiterhin Kronau-Östringen. Und das ist auch gut so! Während sich Fußball- und Eishockeyfans über Städte wie München, Nürnberg, Berlin oder Köln unterhalten, wissen Handballer, dass Bad Schwartau mehr zu bieten hat(te) als eine Marmeladen-Marke, es die Hansestadt Lemgo überhaupt gibt und Coburg eine wunderschöne Stadt in Oberfranken ist.
3. Dampfplauderer
Stefan Effenberg, Mario Basler und Lothar Matthäus spiel(t)en alle kein Handball. Weitere Erklärungen überflüssig. Zugegeben, mit Thorsten Legat hätte ich gerne einmal zusammen gespielt...
4. Tore sind geil (Teil 1)
Handballer schießen auch einem schlechten Tag mal 5 Tore. Vermutlich klingt das ein bisschen nach Ego-Zocker – aber während Mario Gomez Woche für Woche seine torlosen Minuten vorgezählt bekommt, macht bei uns der Torschütze vom Dienst auch an einem miesen Tag seine Buden. Und sind wir doch ehrlich: Wenn ich schon irgendwo auf der Schwäbischen Alb mit 17:29 verlieren muss, ist es doch geiler, dabei wenigstens 5 Tore geschossen zu haben...
5. Tore sind geil (Teil 2)
Ein 0:0 gibt es im Handball nicht. Wenn im Handball zwei schwache Teams aufeinandertreffen, das Spiel zudem noch unentschieden ausgeht und der Underdog den Favoriten am Rande der Niederlage hat, dann ist ein solches Spiel im Handball nur eines: spektakulär! Warum? Es endet in der Regel 24:24, nachdem eine Mannschaft einen zwischenzeitlichen 5-Tore-Rückstand wettgemacht hat und hat dramatische Schlusssekunden, in denen eine Mannschaft den Sieg verschenkt.
6. Tore sind geil (Teil 3)
Wie im Fußball auch, tingeln viele Handball-Bundesligisten vor der Saison durch die Provinz (wohlgemerkt in einer anderen Provinz als die, aus der sie selber kommen), um Werbung für den Handballsport zu machen und auch ein paar Euro einzunehmen. Aber während der VfB Stuttgart den TSV Kuppingen auch mal mit einem 14:0 nach Hause schickt, schießt im Handball der Oberliga-Außenspieler gegen den Nationalmannschaftstorhüter auch einmal sechs Tore. Was daran besser ist? Wenn Sie Jogi Bitter mal einen Dreher ins lange Eck gelegt haben, wissen Sie wovon ich rede...
7. Dirk Nowitzki
Der größte deutsche Sportler sagt: „Handball ist einfach geil“. Amen, danke Dirk!
8. Mallorca
Wenn sich Ende Mai die Handball-Teams der Republik auf der Baleareninsel zum Saisonabschluss treffen, ist das nicht nur plump und prollig wie bei anderen fußlastigeren Sportarten – sondern auch ein bisschen sexy. Nähere Begründungen dazu unter den Punkten 9 und 12.
9. Alle schieben Optik
Gut aussehen gehört für uns zum Sport dazu: Schweißbänder, Kniestrümpfe, Slim-Fit-Trikots. Selbst der durchschnittliche Handballer weiß sich zu kleiden. Zudem neigen wir nicht zu O-Beinen (Fußballer), sind nicht so breit wie hoch (Schwimmer) und haben trainierte Oberarme wie manch ein Fußballer Waden. Und was bekommt die Kollegin im Büro eher zu sehen? Hübsche Waden in der kurzen Hose oder durchtrainierte Arme, die sich unter dem Hemd abzeichnen? Eben...
10. Treue
In unserem Sport darf auch ein Bundestrainer im Amt bleiben, der eher durch fragwürdige Personalentscheidungen, mangelnde Selbstkritik und Erfolglosigkeit auffiel. Sie sagen, das durfte Jogi Löw nach dem Russland-Debakel auch? Stimmt – aber immerhin ist Löw zumindest vorher mal Weltmeister gewesen.
11. Frauen- und Männersport
Wenn Sie in Ihrer Jugend mit Ihrer Fußball-Mannschaft auf ein Turnier gefahren sind, sind Sie mit großer Wahrscheinlichkeit männlich und waren bei dieser Veranstaltung hauptsächlich unter Ihresgleichen. Wenn Handballer auf ein Turnier fahren, sind die Mädchen- und Frauenteams mindestens so stark vertreten. Das ist nicht nur spannender, es soll auch bei der Entwicklung helfen, wenn man mit 15 von einem hübschen Mädchen gesagt bekommt, dass man sich (auf oder neben dem Feld) total daneben benommen hat...
12. Kommunikation
Handballer lernen früh, dem Schiedsrichter mit einem Lächeln im Gesicht mitzuteilen, dass man mit einer Entscheidung nicht einverstanden ist – andernfalls müssten wir erstmal zwei Minuten zuschauen. Das heißt, wir lernen früh, Subtext im Gespräch anzuwenden. Handball bildet also auch für das spätere Berufsleben. Oder haben Sie Ihrem Chef schon einmal wild gestikulierend mitgeteilt, dass ist doch eine „riesen Sch... die hier abläuft!“?
13. Vlado Stenzel (der Magier)
Seit ich 17 oder 18 bin, trage ich in Handballer- und Familienkreisen den Spitznamen „Stenzel“. Ob es an meiner rückläufigen Haarpracht, dem damaligen Schnauzer oder meiner taktischen Finesse auf der Bank lag, weiß ich heute nicht mehr. Fest steht aber, „Stenzel“ ist der deutlich coolere Spitzname als beispielsweise „Franz“ oder „Jogi“.
14. Hallensport
Es ist nicht so, dass wir Handballer nicht gerne Skifahren, joggen oder im Sommer draußen kicken. Aber fragen Sie doch mal Ihre Partnerin oder Ihren Partner, ob er/sie lieber bei Minusgraden in die Mercedes-Benz-Arena mitkommt oder am Sonntagnachmittag in der Scharrena Mimi Kraus und Jogi Bitter zuschauen möchte, wie sie mit 30:31 gegen den Bergischen HC (ja, auch das ist ein Bundesligist) verlieren.
15. Schmerzen
Wenn sich ein Handballer am Sonntagmorgen die Treppe runter schleppt und sein Vater ihn mit den Worten begrüßt „Du kannst auch nur hoffen, dass Du so alt wirst, wie Du Dich fühlst“, ist das ein Lebensgefühl. Erst wenn wir mit Schmerzen aufwachen, wissen wir, wir waren gestern am Limit. Außerdem sind es jene dann nicht mehr vorhandenen Schmerzen, die es einem leichter machen, den Sport eines Tages hinter sich zu lassen und den Abschiedsschmerz vom geilsten Sport der Welt zu ertragen.
Gründe für den Handballsport gibt es mit Sicherheit noch weitere. Aber wenn Sie zufällig zuhause oder in der Kneipe mit einem Handballer fachsimpeln möchten, denken Sie an diese 15 Hinweise. Der Handballer wird Sie mögen und glauben Sie mir: Sie wollen den Handballer gerne kennenlernen. Nicht nur, weil wir den geilsten Sport der Welt spielen.