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Den Worten folgen Taten: Der neue Handball-Bundestrainer Dagur Sigurdsson setzt auf junge Spieler. Im Kader für seine beiden ersten Länderspiele gegen die Schweiz in Göppingen und Ulm fehlen einige etablierte Kräfte. Zum Beispiel Michael Kraus.

Stuttgart - Neben dem Podium stehen zwei mannshohe Bilder. Links ist Steffen Weinhold zu sehen, rechts Patrick Groetzki. Zwei Gesichter des deutschen Handballs. Mittendrin sitzt Dagur Sigurdsson, der neue Bundestrainer. In der Stuttgarter AOK-Zentrale gibt er den Kader für seinen ersten einwöchigen Lehrgang in Heilbronn und seine beiden ersten Länderspiele am 20. und 21. September in Göppingen und Ulm bekannt. Weinhold und Groetzki sind dabei. Aber auch viele Talente. „Das ist eine ganz neue Mischung“, sagt Sigurdsson, „aber für mich ist das ein logisches Nationalteam.“

Als er dies sagt, nickt Bernhard Bauer, der neben ihm sitzt, zustimmend mit dem Kopf. Der Präsident des Deutschen Handballbundes (DHB) hat Sigurdsson vor allem aus einem Grund verpflichtet – weil er in ihm den Mann sieht, der etwas aufbauen kann. „Er steht dafür, junge Spieler zu entwickeln“, sagt Bauer, „und er kann aus ihnen ein Team formen, das zur Weltspitze gehört. Das zeigen seine Erfolge.“

Markige Worte, die Sigurdsson (41) – in dieser Saison in Doppelfunktion auch Trainer des Bundesligisten Füchse Berlin – fast schon zu weit gehen. Er mahnt, kleine Schritte zu machen, entsprechend hat er seinen Kader zusammengestellt. Nominiert hat er neben dem Göppinger Spielmacher Tim Kneule (28) zum Beispiel die U-20-Europa- meister Fabian Wiede (20) und Paul Drux (19/beide Berlin), Torwart Andreas Wolff (23/HSG Wetzlar), Rückraumspieler Finn Lemke (22/TBV Lemgo) und Kreisläufer Erik Schmidt (21/TSG Friesenheim). Bei der Auswahl achtete Sigurdsson aber nicht nur aufs Alter. „Es gibt im Kader keinen, der nicht Abwehr spielen kann“, erklärte der Bundestrainer, „ich werde zunächst großen Wert auf die Defensivarbeit legen. Der Weg in die Weltspitze ist nicht weit, Voraussetzung aber ist, konstanter zu spielen. Und das geht nur mit einer stabilen Deckung.“

Im Kader fehlen einige bekannte Namen, darunter fünf Akteure, die zu dem Team gehörten, das im Juni die WM-Qualifikationsspiele gegen Polen vergeigt hat. Torwart Johannes Bitter und Holger Glandorf wollen nicht mehr für Deutschland spielen, auf die Dienste des Göppingers Michael Kraus legt Sigurdsson („Wenn ich ihn will, steht er zur Verfügung“) aktuell keinen Wert – womit erstmals kein Weltmeister von 2007 mehr im Aufgebot steht. Auch auf Michael Haaß und Stefan Kneer verzichtet Sigurdsson. Zusammen weist dieses Quintett eine Erfahrung von 599 Länderspielen auf. „Es gibt viele Spieler, die für das Nationalteam gespielt haben und noch aktiv sind“, sagte Sigurdsson, „für keinen von ihnen ist die Tür zu. Aber ich sehe die Leute, die ich jetzt auf dem Zettel habe, im Vorteil.“

Das sagte der Bundestrainer in der Gewissheit, Zeit zu bekommen. Zeit, um der Mannschaft ein neues Gesicht zu geben. Bei der WM 2015, für die das DHB-Team eine Wildcard erhalten hat, erwartet jedenfalls niemand große Taten von ihm und seinen Jungs. Oder wie Bernhard Bauer es ausdrückt: „Wir sind in Katar für eine Überraschung gut.“ Mehr nicht. Denn die Probleme des deutschen Handballs wird auch Sigurdsson nicht auf die Schnelle lösen können.

Nach wie vor gibt es außer Linkshänder Steffen Weinhold, der wohl für die Duelle gegen die Schweiz wegen einer Fingerverletzung ausfallen wird, keinen Rückraumspieler mit internationalem Format. Alle vier nominierten Kreisläufer sind körperlich bärenstark und gute Abwehrspieler, müssen sich vorne aber noch entwickeln. Und hinter Torwart Silvio Heinevetter, der auch nicht immer allerhöchstes Niveau zeigt, klafft eine Lücke. Keine Frage: Es gibt viel zu tun für Sigurdsson, soll die Vision des DHB vom Olympia-Sieg 2020 Realität werden.

Dabei kann der neue Bundestrainer auf die Unterstützung der Liga bauen. Den Vereinen wird gefallen, dass er nicht wie die meisten seiner Vorgänger darüber klagt, Talente würde in der Bundesliga zu wenig Einsatzzeiten erhalten, sondern stattdessen in Stuttgart meinte: „Viele junge Spieler sind schlecht beraten und machen zu große Schritte. Sie müssen dorthin gehen, wo es vom Trainer und Team her passt.“ Im Gegenzug sagte Uwe Schwenker, der neue Präsident des Liga-Verbandes HBL, Sigurdsson die Kooperationsbereitschaft der Vereine zu: „Die Bundesligisten sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Wir gehen den Weg des DHB und des Bundestrainers mit.“

Der Neuanfang ist gemacht. Nun müssen auch in Zukunft den Worten Taten folgen.