Silvio Heinevetter ist nicht immer so ruhig. Während des Spiels zeigt er oft Emotionen – und steht dazu Foto: dpa

Silvio Heinevetter freut sich auf die Handball-Weltmeisterschaft in Katar. Er glaubt, dass die deutsche Mannschaft unter dem neuen Bundestrainer Dagur Sigurdsson ihre Stärken ausspielen kann. Er kennt den Isländer so gut wie kein anderer im Team.

- Herr Heinevetter, ist die Nationalmannschaft für Sie nach wie vor eine willkommene Abwechslung?
Willkommene Abwechslung – das klingt so, als müsste man mich dazu zwingen, für meinen Verein zu spielen. Die Nationalmannschaft ist etwas anderes, aber bei den Füchsen Berlin macht es mir genauso Spaß, nur eben zum Großteil mit anderen Spielern.
Der Trainer ist ja neuerdings der gleiche.
Dass Dagur Sigurdsson mich jetzt auch in der Nationalmannschaft trainiert, ist absolut kein Problem.
Sie arbeiten seit 2009 mit ihm in Berlin zusammen. Beschreiben Sie ihn bitte.
Das ist immer schwierig für einen Spieler. Es ist so, als müsste ein Angestellter seinen Chef beschreiben.
Sie sind bekannt dafür, dass Sie zu Ihrer Meinung stehen.
Das macht es nicht leichter. Aber gut. Dagur kann Handball. Er weiß einfach, wie die Sportart funktioniert. Er hat ein klares Konzept, einen klaren Plan. Er ist innovativ, und ihn zeichnet eine hohe taktische Variabilität aus. Da er selbst ein guter Spieler war und noch nicht so alt ist, ist er auch nah dran an den Spielern.
Redet er viel?
Kein Wort zu viel, aber was er sagt, tut er mit sehr viel Nachdruck. Er ist eigentlich ein ruhiger Typ, der aber im Spiel sehr aufbrausend, fast cholerisch werden kann.
Wie Sie.
Ich brauche die Emotionen, egal, ob es gut oder schlecht läuft. Um aus einem Leistungsloch herauszukommen. Oder um die anderen mitzureißen, anzustacheln.
Der Trainer packt als teambildende Maßnahme schon mal die Gitarre aus?
Das ist bei den Füchsen schon vorkommen, stimmt. Wir haben einen sehr musikalischen Bundestrainer.
Sigurdsson war auch schon als Geschäftsführer und Hotelier tätig. Ist es ein Vorteil, dass er über den Tellerrand hinausblickt?
Ich glaube, alle Trainer sind Fachidioten. Sie brauchen einen halben Tag, um sich per Videoanalyse auf den Gegner vorzubereiten. Sie unterscheiden sich wenig. Was Dagur allerdings glänzend beherrscht ist, dass er speziell auf junge Spieler sehr gut eingehen kann. Deshalb ist der Trainer genau der Richtige für diese neue Epoche, die jetzt beginnt.
Und bei den Füchsen lösen Sie ihn am Saisonende als Spielertrainer ab?
Das war ein Jux. Ich habe zu unserem Manager Bob Hanning gesagt, wenn er noch niemand hat, dann machen das unser Kapitän Iker Romero und ich gemeinsam. Seitdem redet mich Bob Hanning mit „Hallo Trainer“ an.
Sind Sie sich eigentlich Ihrer Rolle als emotionaler Leitwolf in der Nationalmannschaft bewusst?
Als Spieler sollte man sich nicht zu wichtig nehmen. Ich stehe nicht auf solche Leute.
Aber in der Ära nach Stefan Kretzschmar und Pascal „Pommes“ Hens sind Sie das Gesicht der Sportart.
Ich bin mir meiner Rolle schon bewusst. Ich glaube nicht, dass die Leute diese Schwiegermutter-Lieblinge mögen, die brav nur sagen, was sie sagen sollen. Eine Sportart braucht Typen, um sich speziell bei jüngeren Fans gut zu verkaufen. Davon gibt es im Sport immer weniger. Robert Harting ist so ein Typ, Oliver Kahn war auch so einer. Ich verstelle mich auch nicht – und sage, was ich denke.
Ex-DHB-Präsident Chef Uli Strombach hatten Sie einst scharf kritisiert, weil er der Mannschaft nicht einmal „Hallo“ sagte. Was hat sich durch den Chefwechsel geändert?
Die neue Führungsmannschaft ist bei den Lehrgängen dabei und einfach näher an der Mannschaft dran. Der Teamspirit wird vorgelebt. Wer unseren Präsidenten Bernhard Bauer reden hört, der weiß, mit wie viel Herzblut er dabei ist. Das gilt genauso für Vize Bob Hanning. Man hat das Gefühl, vom 16. Spieler bis zum Präsidenten sitzen alle im gleichen Boot.
Jetzt steuert es auf die WM 2015 in Katar zu. Wie haben Sie die Teilnahme durch die umstrittene Wildcard wahrgenommen?
Als ich davon hörte, saß ich mit einem Freund in einem Café in Berlin und konnte es gar nicht glauben. Jetzt bin ich froh, dass wir die Chance bekommen, zu zeigen, dass wir doch dort hingehören – obwohl wir es sportlich verbockt hatten.
Kein schlechtes Gewissen?
Der HBW Balingen-Weilstetten hat auch im Nachhinein die Lizenz bekommen – und mischt jetzt die Bundesliga auf. Da fragt inzwischen keiner mehr danach.
Kann Deutschland im kommenden Jahr die WM aufmischen?
Das wäre zu viel verlangt. Wir spielen unter anderem gegen Polen, Dänemark, Russland und haben damit eine ganz schwierige Gruppe erwischt. Und nicht zu vergessen: Wir haben eine extrem junge Mannschaft, die sich erst noch finden muss.
Dazu dienen die beiden Testspiele an diesem Wochenende gegen die Schweiz. Was erwarten Sie?
In Göppingen erwarte ich, dass die Hütte genauso brennt, wie bei unserer Niederlage mit den Füchsen im ersten Saisonspiel bei Frisch Auf. Dazu natürlich zwei Erfolgserlebnisse. Wir werden voll auf Sieg spielen. Der Trainer wird mit der bestmöglichen Mannschaft spielen und keine Gnadenminuten vergeben.
Sie haben Ihren Vertrag in Berlin bis 2018 verlängert. Welche Ziele haben Sie noch?
Ich möchte gar nicht so weit in die Zukunft blicken. Es kann eine Verletzung kommen – und schon ist alles Makulatur. Ich denke eher kurzfristig.
Wie sehr würde Sie die Teilnahme an der WM 2019 in Dänemark und Deutschland reizen?
Eine WM im eigenen Land ist immer schön und interessant. Aber ich lebe in der Realität Und zunächst will ich in Katar etwas erreichen und zeigen, dass es mit dem deutschen Handball aufwärts geht.