Der Schrecken aller Schützen, nicht nur bei der EM: Der deutsche Handball-Nationaltorhüter Andreas Wolff überzeugt nach einer starken Bundesliga-Hinrunde nun auch beim Turnier in Polen. Foto: Getty

Die Handball-Welt ist um einen tollen Torwart reicher. Andreas Wolff hat das Potenzial, um seinen Sport so zu prägen, wie es vor ihm seine Landsleute Wieland Schmidt, Andreas Thiel oder Henning Fritz getan haben.

Breslau - Bob Hanning stand in den Katakomben der Jahrhunderthalle in Breslau mit seiner Meinung ziemlich alleine, als er nach dem dramatischen 27:26-Sieg gegen Schweden über Andreas Wolff (24) sprach. „Mir reichen zwei gute Spiele noch nicht, um von Weltklasse zu reden“, meinte der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB). Der Mann, der sonst oft und gerne in Superlativen schwelgt, war sichtlich bemüht, den 1,98 m langen Torhüter vor dem nächsten entscheidenden EM-Spiel an diesem Mittwoch (17.15 Uhr/ZDF) gegen Slowenien nicht zu groß zu machen. Das erledigten dafür andere. Kreisläufer Erik Schmidt schwärmte: „Heute war er Weltklasse. Gib ihm zwei Jahre, dann ist er Weltspitze.“ Und auch Kapitän Steffen Weinhold war nicht überrascht von der bärenstarken Leistung des Kollegen Wolff: „Für mich war das nicht außergewöhnlich, ich sehe ihn ja im Training und bin froh, dass er im Sommer in Kiel ist.“

Erst ein Nachweis seiner Spitzenklasse vor der EM

Zuvor hatte der Keeper der HSG Wetzlar zum ersten Mal auf ganz großer Bühne nachgewiesen, warum der THW ihn verpflichtet hat. Dabei waren es nicht die 15 Paraden allein, mit denen Wolff die Wende und den Sieg gegen Schweden sicherte, die einen bleibenden Eindruck hinterließen. Gute Tage haben alle Torhüter, die bei einer EM im Einsatz sind, von Zeit zu Zeit. Wolff (105 kg) aber stellt auf dem Feld immer etwas dar, er signalisiert den gegnerischen Spielern alleine durch seine Anwesenheit, wer der Matchwinner sein wird. Das Duell zwischen Angreifer und Torwart ist Psychologie und Wolff ein Typ, der seine Kontrahenten zum Nachdenken zwingt. Aktuell gibt es in Arpad Sterbik (Spanien) und Thierry Omeyer (Frankreich) zwei Torhüter auf der Welt, die Angst bei Angreifern hervorrufen können – Wolff vereint Eigenschaften von beiden.

Sterbik (Wolff: „Den finde ich geil!“) entwaffnet die Schützen mit seiner Statur, wirkt ruhig wie ein Bär und hält immer dann einen Ball, wenn es für seine Mannschaft besonders wichtig ist – wie beim 32:29-Sieg zum EM-Start gegen Deutschland. Omeyer ist nicht der schnellste und nicht der größte Torhüter, aber ohne Zweifel der ehrgeizigste. Zumindest bislang, denn Wolff eifert ihm nach. „Der hat heute seit dem Frühstück nur von den schwedischen Schützen und ihren Wurfbildern gesprochen“, berichtete Weinhold nach dem Sieg über die Skandinavier. Und auch Henning Fritz, Weltmeister 2007, war begeistert: „Wolff ist der Torhüter mit der größten Perspektive. Wenn wir unsere großen Ziele bei Heim-WM 2019 und Olympia 2020 erreichen wollen, muss er jetzt Erfahrung bei einem großen Turnier sammeln.“

Wolff: „Ich bin nicht Leistungssportler geworden, um Trinkflaschen zu reichen“

Das tut Wolff – anders als vor einem Jahr bei der WM in Katar. Damals saß er im Hotel der deutschen Mannschaft in Doha und war doch nicht mehr als eine Randfigur. Die Routiniers Silvio Heinevetter und Carsten Lichtlein lieferten die bunten Geschichten, während Wolff lediglich als Ersatzmann nominiert war. Er fügte sich in die Rolle, wenngleich sie ihm nicht behagte. „Ich bin nicht Leistungssportler geworden, um Trinkflaschen zu reichen“, sagte er. Er warf sich in einen weichen Ledersessel, aber entspannt war er nicht. Der Ehrgeiz drohe ihn manchmal zu zerfressen, meinte sein Clubtrainer Kai Wandschneider neulich. Aber er macht ihn auch zu einem besonderen Torhüter.

„Es ist mir zu wenig, nur auf einem Spielberichtsbogen eingetragen zu werden. Ich möchte der Matchwinner sein“, sagte Wolff. Und das dauerhaft, auf der großen Bühne. Deshalb wechselt er zum THW Kiel, wo er ein Torhüterduo mit dem Dänen Niklas Landin bilden wird, den Wolff zu den fünf besten Keepern der Welt zählt. Bekannte Trainer glauben – das sagen sie aber nicht offiziell –, dass die Konstellation eher für Landin zum Problem wird, denn der habe zwar herausragende Fähigkeiten, aber nicht die Gier, den Ehrgeiz und den Willen, die Nummer eins sein zu wollen. Wolff will nur das, erst im Tor der Nationalmannschaft, dann beim THW Kiel – und schließlich in der Handball-Welt. Und auch bei der EM hat er noch viel vor. „Unser Maximalziel“, sagte der Mann, der gerne Thriller liest, „ist der Titel.“

Wolff ist noch jung – er wird eine Ära prägen

Wolff wird nach Meinung vieler Experten in Deutschland eine Ära prägen, schließlich ist er mit 24 Jahren für einen Torhüter noch blutjung. „In zehn Jahren habe ich vielleicht die Rolle von Lichtlein, vielleicht aber auch schon in zwei“, erklärte er im Januar 2015 im Teamhotel in Doha. Spätestens seit Montagabend ist diese Aussage überholt. Wolff ist nicht nur ein Mann für die Zukunft. Er prägt bereits die Gegenwart.