Formkurve steigend: Auf den einfachen Toren von Julius Kühn aus dem Rückraum ruhen die deutschen Hoffnungen Foto: dpa/Robert Michael

Die Sorgen und Zweifel sind groß, doch die deutschen Handballer sind auch mit Mutmachern in Wien angekommen. Dort wird die Partie an diesem Donnerstag gegen Weißrussland zum Schlüsselspiel.

Stuttgart - Es gibt im Sport Siege, die eine befreiende Wirkung haben. Erfolgserlebnisse, die Blockaden lösen können. Das 28:27 (16:11) der deutschen Handball-Nationalmannschaft gegen Lettland gehörte mit Sicherheit nicht dazu. Nach der erschreckend schwachen Schlussviertelstunde war die Stimmung zunächst am Boden. Doch spätestens bei der Ankunft am Dienstag in Wien rückten, bei allen Sorgen und Zweifeln, die positiven Aspekte in den Vordergrund. Das erste Hauptrundenspiel an diesem Donnerstag (Uhrzeit und Sender noch offen) gegen Weißrussland soll zum Neuanfang werden.

Mutmacher (I) Julius Kühn. Der Rückraumhüne bekam erstmals viele Spielanteile und ist endlich im Turnier angekommen. Gegen Lettland warf der 26-Jährige die lang ersehnten einfachen Tore, acht an der Zahl, bei nur neun Versuchen. Der Mann von der MT Melsungen ist aber nicht nur ein wuchtiger Haudrauf, er bewies auch, dass er stark im Eins-gegen-Eins ist und ein gutes Auge für den Kreis mitbringt. Die deutsche Mannschaft braucht seine Durchschlagskraft und seine Treffer aus der zweiten Reihe, die maßgeblich zum EM-Titel und Olympia-Bronze (jeweils 2016 ) beitrugen. Bei der Heim-WM 2019 fehlte der 1,98 Meter große Rechtshänder wegen eines Kreuzbandrisses. Gegen Lettland meldete er sich sozusagen bei einem Großturnier zurück.

Mutmacher (II) Paul Drux. Mit einem starken Kühn an der Seite zeigte auch der Aushilfs-Spielmacher aufsteigende Form. Wobei es gegen die offensivere Deckung des weißrussischen Teams von Trainerfuchs Juri Schewtsow deutlich schwerer werden dürfte, als gegen die defensive 6:0-Abwehr der Letten. Dennoch spricht viel dafür, dieser Rückaum-Stammbesetzung (gemeinsam mit Kai Häfner) vermehrt das Vertrauen zu schenken und nicht zu viel zu wechseln.

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Mutmacher (III): Timo Kastening präsentierte sich rotzfrech, pfeilschnell, nervenstark, mit viel Spielwitz – und vor allem treffsicher. Der unbekümmerte Rechtsaußen vom Bundesliga-Überraschungsteam TSV Hannover-Burgdorf erzielte vier Treffer bei fünf Versuchen. Der 24-Jährige war für Patrick Groetzki in den EM-Kader gerutscht und bekam zuletzt auch den Vorzug vor Routinier Tobias Reichmann. Pikant: In der kommenden Saison sind die beiden Vereinskollegen bei der MT Melsungen.

Mutmacher (IV): Uwe Gensheimer. Der Kapitän machte einen ersten Schritt aus der Krise und tankte Selbstvertrauen. Er hatte auf der linken Seite exakt die gleiche Torquote wie Kastening. Mit einer mutigen Einzelaktion und seinem Treffer zum 28:25 entschied er die Partie. Der Mann von den Rhein-Neckar Löwen, der den EM-Titel 2016 wegen einer Verletzung verpasste, ist für seinen Ehrgeiz bekannt. Damit diese EM vielleicht doch noch zu einer Erfolgsgeschichte wird, schraubte er die Erwartungen nach der ernüchternden Vorrunde aber herunter: „Für das Team ist es gar nicht schlecht, jetzt mit ein bisschen niedrigeren Ansprüchen in Wien zu sein und vielleicht mit einer anderen Rolle und einem anderen Denken ins Spiel zu gehen.“

Die Sorgenkinder: Trotz dieser positiven Aspekte überwiegen nach wie vor die Sorgen und Zweifel. Das ursprüngliche Prunkstück, die Abwehr, ist zu einer Problemzone geworden. Der Kieler Stabilitätspakt um Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler schwächelt weiterhin. Die beiden zentralen Deckungsspezialisten wirken überspielt, sie verteidigen zu statisch, die Beinarbeit lässt zu wünschen übrig. Vor allem die offensive 3:2:1-Formation funktioniert nicht. Hilfreich könnte es sein, stärker auf auf die defensive Variante zu setzen. Deutschland lebt traditionell von einer 6:0-Abwehr, diese Kompaktheit machte die Nationalteams immer stark.

„Alles wirkte irgendwie verkrampft“, fand Johannes Bitter. Womit wir bei den Torhütern wären. Seit dem starken Auftakt gegen die Niederlande fehlt es an Konstanz. Bitter blieb gegen die Letten mit einer Fangquote von 19 Prozent unter seinen Möglichkeiten. Wolff bekam im Spiel gegen den EM-Debütanten nicht einen Ball an die Finger. Schon gegen Spanien (26:33) hatte der Keeper aus Kielce nur den ersten der 16 Würfe auf sein Tor pariert.

„Unsere Chance liegt im Steigerungspotenzial“, sieht Prokop die Sache positiv. „Wenn wir unsere Abwehr- und Torhüterleistung wieder auf ein gutes Niveau bringen, wird es schwer uns zu schlagen.“

Eine gute Möglichkeit dies zu zeigen, wäre am Donnerstag gegen Weißrussland. Beim Neustart in Wien.

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