Diego Simonet und Montpellier gewannen im vergangenen Jahr die Handball Champions League. In diesem Jahr droht das dritte Final Four ohne deutsche Beteiligung in Folge. Foto: Getty

Der deutsche Meister, die SG Flensburg-Handewitt, dominiert die Handball-Bundesliga fast nach Belieben. Auf europäischer Ebene tun sich die norddeutschen dagegen schwer. Hausgemachte Fehler? Oder hat die Bundesliga ein grundlegendes Problem?

Flensburg - SG-Kapitän Tobias Karlsson starrt fassungslos auf die Anzeigetafel, um ihn herum gibt es stehende Ovationen – 6300 Fans in der ausverkauften Flens-Arena feiern ihre Mannschaft, als stünde sie mit einem Bein im Champions-League-Final-Four (1./2. Juni, in Köln). Dabei hatten Karlsson und Co. soeben eine empfindliche 22:28-Niederlage gegen den ungarischen Rekordmeister KC Veszprem kassiert. Zum vierten Mal in Folge droht dem amtierenden Deutschen Meister damit das Aus im Viertelfinale der Champions League. Die Zuschauer aber beweisen ein feines Gespür: ihre Mannschaft hatte nicht etwa maßlos enttäuscht, sondern schlichtweg ihre Grenzen aufgezeigt bekommen.

Veszprem in allen Belangen besser

„Veszprem hatte mehr Ideen in der Offensive, eine stärkere Abwehr und eine bessere Leistung im Tor“, fasst Karlsson zusammen. Man könnte auch sagen: Veszprem war in allen Belangen besser als die Dominatoren aus der Bundesliga. Nun benötigt die Mannschaft von Trainer Maik Machulla an diesem Samstag (17.30 Uhr/Sky) ein kleines Handball-Wunder, um in einer der lautesten Hallen der Welt doch noch den Einzug ins Final Four perfekt zu machen.

Sollte der SG das nicht gelingen, fände die Entscheidung im wichtigsten Vereinswettbewerb des Handballs in Köln zum dritten Mal in Folge ohne deutsche Beteiligung statt. Ebenfalls bitter: Seit dem Flensburger Triumph über Kiel in einem deutschen Champions-League-Finale 2014 gelang keinem deutsches Team mehr der Sprung ins Endspiel.

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Kann das der Anspruch einer Liga sein, die mit dem Slogan „Beste Liga der Welt“ für sich wirbt? Ist die Bundesliga im internationalen Vergleich gar abgehängt? „Abgehängt würde ich es nicht nennen“, sagt Bundesliga-Geschäftsführer Frank Bohmann, „aber es gibt im europäischen Vergleich eine Handvoll Vereine, die wesentlich finanzstärker sind als die deutschen Spitzenclubs.“ Aber, und das ist das entscheidende in den Augen des HBL-Chefs, „diese Vereine müssen ihr Geld nicht über den Handball erwirtschaften“.

Die Finanzierungsmodelle der Konkurrenz

Mäzenatentum, Öl-Millionen aus Katar, staatliche Finanzspritzen – mit den Finanzierungsmodellen aus Veszprem, Paris oder Kielce (Polen) könne und wolle sich die HBL nicht messen. „Wir wären gerne beim Final Four dabei“, sagt Bohmann „aber eben nicht um jeden Preis“. Flensburg-Gegner Veszprem hat mit geschätzten 14 Millionen Euro in etwa den doppelten Etat der Norddeutschen. Der Noch-Gensheimer-Club Paris St. Germain hantiert dank der Scheich-Millionen aus Katar mit knapp 20 Millionen Euro pro Jahr. „Und wenn die noch mehr Geld bräuchten, würde man es ihnen wohl zur Verfügung stellen“, konstatiert Bohmann.

In Deutschland setze man auf „nachhaltiges und gesundes Wachstum“, um mittelfristig auch wieder die europäische Spitze angreifen zu können. Schließlich brummt das Produkt Handball-Bundesliga. Seit dem vierten Platz bei der WM strömen rund zehn Prozent mehr Zuschauer in die Hallen, die Breite in der Liga ist einzigartig und auch die Anziehungskraft für jüngere Stars aus dem Ausland ist ungebrochen. „Wir sind mit Abstand die finanzstärkste Liga der Welt“, sagt Bohmann nicht ohne Stolz. Mit 125 Millionen Euro steuert die HBL auf einen neuen Umsatzrekord zu. Zum Vergleich: International liegt Frankreichs Liga mit 75 Millionen Euro Umsatz auf Rang zwei.

Was kann die Bundesliga tun?

Was also kann die Bundesliga tun, um künftig auch wieder ein Wörtchen beim Champions-League-Titel mitreden zu können? Kiel, die Rhein-Neckar Löwen und Flensburg wissen: ohne weitere internationale Stars werden sie auch künftig nicht mit den Spitzenteams aus Ungarn, Polen, Spanien oder Frankreich mithalten können. So spielt ab 2020 der norwegische Jungstar Sander Sagosen (23) in Kiel und Frankreich-Star Romain Lagarde (22) kommt im selben Sommer nach Mannheim. „Es war immer mein Traum, einmal in der Bundesliga zu spielen“, sagt Lagarde. In Uwe Gensheimer (32/Löwen) und Michal Jurecki (34/Flensburg) kehren zur kommenden Saison gar altbekannte Gesichter in die Bundesliga zurück.

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Läuten diese Transfers eine Trendwende ein? „Das sehe ich nicht“, sagt Bohmann. Der Import von gestandenen Spielern, die schon alles gesehen und gewonnen haben, bleibt die absolute Ausnahme. Normalerweise kommen die Stars der Szene in jungen Jahren, spielen einige Jahre Bundesliga und wechseln im fortgeschrittenen Alter wieder ins Ausland, wo sie bei einer deutlich geringeren Alltagsbelastung wesentlich mehr verdienen können als selbst in Kiel oder Mannheim.

Ein Modell, dem nun auch Nationalmannschaftstorhüter Andreas Wolff mit seinem bevorstehenden Wechsel nach Kielce folgt. Auch die Wechsel von Gudjon Valur Sigurdsson (39/von Mannheim nach Paris) oder Rasmus Lauge (27/von Flensburg nach Veszprem) folgen dem selben Muster. Einen Vorwurf will Bohmann den Spielern aber nicht machen: „Das sind Profis. Und eine Handballkarriere ist endlich.“

Terminkollisionen werden ab 2020/21 vermieden

Einen Fortschritt sieht er in den erstmals abgestimmten Terminplänen, die ab der Saison 2020/21 Kollisionen zwischen nationalen und europäischen Terminen verhindern werden. Das Problem, dass sich Spitzenclubs im Ausland hauptsächlich auf die Champions League fokussieren können, lässt sich von Deutschland aus hingegen nicht lösen. Dass aber das deutsche Modell nachhaltiger ist, als das anderswo praktizierte Mäzenatentum, zeigt der Fall RK Vardar Skopje. Die Mazedonier, 2017 noch Champions-League-Sieger, stehen ab der kommenden Saison ohne ihren russischen Mäzen da und werden ihre Stars verkaufen müssen.

In Deutschland gab es das auch einmal, bis der HSV Hamburg die Bundesliga mangels Geld verlassen musste. Auch deshalb will Bohmann die Liga lieber gesund und nachhaltig, als kurzfristig erfolgreich sehen. Die Fans in Flensburg verstehen das Vorgehen jedenfalls.