Christian Prokop ist sympathisch, kommunikativ und fachlich top – jetzt muss er dem Druck als Bundestrainer standhalten. Foto: dpa-Zentralbild

Für den deutschen Handball beginnt mit Christian Prokop (38) eine neue Ära. Fachlich ist der Bundestrainer top, doch nicht nur wegen seiner fehlenden internationalen Erfahrung stellt sich die Frage: Wie kommt er unter hohem Druck im Fokus der Nation zurecht?

Stuttgart - Von Minute zu Minute wird Christian Prokop unruhiger. Er blickt auf die Uhr. Fast eine Dreiviertelstunde dauert inzwischen das Gespräch im Restaurant Mückenschlösschen unweit der Arena Leipzig. Die steigende Anspannung ist bei dem Handball-Trainer förmlich zu greifen. Er braucht es gar nicht auszusprechen, man spürt es: Der Mann muss los. „Sorry, aber wir können gerne nochmal telefonieren“, sagt er in seiner sympathisch-freundlichen Art. An jenem 1. März steht am Abend das Bundesligaspiel seines Clubs SC DHfK Leipzig gegen Frisch Auf Göppingen auf dem Programm. Nach zuvor nur 1:7 Punkten muss Prokop mit seinem Team die Wende schaffen. Sonst werden die Stimmen lauter, die sagen: Seit feststeht, dass er Bundestrainer wird, läuft’s nicht mehr. „Das wird ein unglaublich wichtiges Spiel für uns“, sagt er bei der Verabschiedung mit etwas Unsicherheit in der Stimme. Solange der Klassenverbleib rechnerisch nicht gesichert ist gilt seine ganze Konzentration dem Club. Die Nationalmannschaft muss warten. So lautete die Vereinbarung zwischen dem Deutschen Handballbund (DHB) und seinem Verein. Am Abend schlägt Leipzig Frisch Auf mit 29:23. Bei Prokop fällt die Anspannung ab. Ein Lächeln blitzt auf: „Das war eine Top-Leistung“, lobt er voller Stolz. Es folgen zwei weitere Siege – und der Weg für die Nationalmannschaft war frei. Früher als geplant. Bei den Freundschaftsspielen gegen Schweden (an diesem Samstag um 14 Uhr in Göteborg, Sonntag um 17.30 Uhr in Hamburg/Sky) sitzt er erstmals auf der Bank. Danach kehrt er nach Leipzig zurück und macht in Doppelfunktion die Runde zu Ende – mit dem Saisonhöhepunkt DHB-Pokal-Final-Four (8./9. Mai). Ab 1. Juli ist er dann offiziell der wichtigste Mann im Deutschen Handballbund (DHB).

Handball-Bundestrainer: Nicht irgendein Job

Handball-Bundestrainer – das ist nicht irgendein Posten hierzulande. Die Handball-Nationalmannschaft weckt nach Jogi Löws Fußballern die zweitmeiste Begeisterung in der Bevölkerung, wenn es um EM- oder WM-Titel geht. Solch ein Zugpferd für die gesamte Sportart überlässt man nicht irgendjemanden. Wer ist dieser Christian Prokop, der bisher nur Experten ein Begriff war? Und der in die großen Fußstapfen von Dagur Sigurdsson treten soll, der den deutschen Handball 2016 mit dem EM-Titel und Olympia-Bronze wieder wachgeküsst hat und nun sein Glück in Japan sucht. Zu allererst ein handballverrückter Mensch.

Als Spieler kam er über sechs Einsätze in der B-Nationalmannschaft nicht hinaus. Dabei hatte er mit glühendem Ehrgeiz alles versucht: Wegen einer Knieverletzung am linken Sprungbein schulte er vom Rechts- zum Linkshänder um. Dazu ließ er sich unter Vollnarkose sogar den linken Oberschenkel brechen, um die Belastungsachse zu verändern. „Ich setzte mit dieser OP alles auf eine Karte“, verrät Prokop. Als müsste er seine Worte etwas wirken lassen, nippt er an seinem Kaffee. Dann gesteht er frei von der Leber weg: „Gereicht hat es trotzdem nicht.“ Das lädierte Knie hielt der Belastung nicht stand. Jetzt wollte Prokop Trainer werden. Mit 25 Jahren. Daneben sicherte er sich beruflich ab. Er legte das Referendariat ab und könnte als Grund-, Haupt- oder Realschullehrer arbeiten.

Doch Prokop ist Handballer. Handballer durch und durch. Geboren und aufgewachsen in Köthen (Sachsen-Anhalt), geprägt von seinem Vater und wichtigsten Ratgeber Heinz Prokop, holte ihn Leipzigs Aufsichtsratsmitglied Stefan Kretzschmar 2013 als Trainer zum SC DHfK, nachdem er zuvor einige Regional- und Zweitligisten wie zum Beispiel TuSEM Essen trainiert hatte. Leipzig führte er in die Bundesliga. 2015/16 bekam er die Auszeichnung „Trainer der Saison“. Die Geschäftsstellenmitarbeiter schenkten ihm daraufhin einen Kapuzenpulli mit der Aufschrift CCCP, kyrillisch für UdSSR, für die Leipziger stand die Abkürzung für Chef-Coach Christian Prokop. Großes Land, großer Trainer – das passt, dachten sich die Vereinsangestellten.

Prokop hat den Ruf eines Strategen

Mit vergleichsweise bescheidenen Möglichkeiten hat er viel erreicht. Er erwarb sich den Ruf eines Strategen, der nichts dem Zufall überlässt. „Wenn es gegen ihn geht, muss man immer um zwei Ecken herumdenken“, erinnert sich Jürgen Schweikardt vom TVB Stuttgart. Und auch Trainerausbilder Rolf Brack ist voll des Lobes: „Christians außergewöhnliches Trainertalent war früh zu erkennen, er war gemeinsam mit Frank Carstens Lehrgangsbester.“

Prokop freut sich, als er das hört. „Doch Frank war ein Zehntel besser als ich“, korrigiert er und strapaziert die Lachfältchen in seinem Gesicht. Wie so oft, wenn er spricht und und die Anspannung noch nicht da ist. Bei einem anderen Thema gehen seine Mundwinkel dagegen nach unten. Wenn es darum geht, wie seine Gefühle Achterbahn fuhren, als es um die Entscheidung ging: Leipzig oder Nationalmannschaft? Früh hatte der Wunschkandidat von DHB-Vize Bob Hanning signalisiert, dass er das Bundestraineramt gerne annehmen würde – trotz Vertrags bis 2022 in Leipzig. Mannschaft, Management und Fans ließen aber nichts unversucht, ihn zu halten. „Dann habe ich den Fehler gemacht, mich aufgrund der Emotionalität tatsächlich umstimmen zu lassen“, räumt Prokop ein. Es folgte ein rauschendes Kabinenfest in Leipzig. Doch dann bohrte Hanning noch einmal nach. Und Prokop sagte am 30. November dem SC DHfK ab und dem DHB zu. Endgültig. Die Ablösesumme beträgt 500 000 Euro, gestaffelt in fünf Jahresraten.

„Dagur Sigurdsson hat die Eisenbahn auf die Gleise gesetzt. Der DHB hat die Häuser drumherum gebaut, die Liga die Bahnhöfe. Jetzt geht es darum, die einzelnen Dinge zu verbinden“, sagt Hanning. „Christian ist genau der Trainer, dem wir das zutrauen.“ Trotz der fehlenden internationalen Erfahrung. Wobei nicht nur die ihn von seinem Vorgänger unterscheidet. Sigurdsson mag Musik, Angeln, Reiten, Motorradfahren, er besitzt ein Hotel. Der coole Isländer redet auch nur das Nötigste mit seinen Spielern. Für den kommunikativen Familienmenschen Prokop gibt es neben seiner Frau Sabrina, seinen Kindern Anna (3) und Luca (halbes Jahr) nur eines: Handball. Bleibt zu hoffen, dass der akribische, detailverliebte Taktik-Tüftler mit den ausgefeilten Matchplänen auch die nötige Unaufgeregtheit und Lockerheit mitbringt. Unter höchstem Druck. Wenn Handball-Deutschland beim Coaching an der Linie zuschaut. Prokop selbst sagt dazu nur so viel: „Ich will die Zukunft sprechen lassen.“