Mehl bleibt weiter knapp. Die Produktion läuft, doch das Verpacken in die kleinen Tüten für die Verbraucher in den deutschen Haushalten ist aufwendig. Die Getreidelager sind aber noch voll.
Stuttgart - Die Krise hat sich nicht im Klopapierregal angekündigt. Noch bevor die Menschen anfingen, sich auf einen monatelangen Sanitärpapiermangel einzustellen, fegten sie bereits Ende Februar die ersten Mehlregale in den Supermärkten leer. Seither sind die Fächer für Mehl in vielen Supermärkten ausgeräumt, und auch etliche Mühlen mit Onlineversand haben mittlerweile ihren Verkauf unterbrochen – so wie beispielsweise die Adler-Mühle in Bahlingen am Kaiserstuhl. „Liebe Kunden, leider können wir keine weiteren Bestellungen annehmen“, steht auf der Internetseite zu lesen. „Aufgrund der zu hohen Nachfrage bleibt unser gesamtes Bestellsystem vorerst geschlossen.“ In Hobbybäckerkreisen herrscht deshalb seit Wochen Aufruhr. „Es wird kaum Engpässe geben“, schreibt der Besitzer der Adler-Mühle. Sein Online-Shop bleibt dennoch vorerst geschlossen: „Wir brauchen Zeit, die in den letzten Wochen ,aufgelaufenen‘ Bestellungen zu bearbeiten.“
Einen Onlineshop hat auch die Rahmer Mühle in Heilbronn, deren Geschäftsführer Timo Rahmer ist. Täglich würden dort rund 5000 Besucher des Online-Shops Mehl bestellen, die Wartezeiten für eine Lieferung betragen derzeit rund fünf bis sieben Tage. Der Andrang im Mühlenladen hat sich indes gelegt: „Die Leute gehen nicht mehr aus dem Haus, selbst wer nur vier Kilometer entfernt wohnt, möchte online einkaufen“, sagt Rahmer.
Bestellungen ohne Ende
Dabei ist seine Mühle nicht in erster Linie eine Mahlstätte für Mehl. Rund zwei Drittel seines Umsatzes macht er mit Futter für Wildvögel, die in der freien Natur teilweise das ganze Jahr über gefüttert werden. Aus diesem Bereich, in dem er zu den größten Herstellern in Deutschland zählt, hat der Geschäftsführer Mitarbeiter abgezogen. Jetzt mahlen sie Mehl – für Spätzle, Bauernbrot oder Pizza. Auch die Heilbronner Mühle hatte ihren Onlineshop teilweise geschlossen. Anfragen kamen aus Nord- und Ostdeutschland, aber auch aus Belgien oder England. Viele Supermarktketten, Discounter oder Pizzabäckereien, die bisher nichts bei ihm kauften, melden sich jetzt. Und Rahmer hofft, dass einige der neuen Kunden, die jetzt bei den „Bestellungen ohne Ende“ mit von der Partie sind, ihm treu bleiben.
Wie die kleinere Rahmer-Mühle arbeitet auch Goodmills Deutschland „24 Stunden an sieben Tagen in der Woche“, wie ein Sprecher sagt. Das Unternehmen mit Sitz in Hamburg ist Deutschlands größter Getreidemühlenkonzern und brachte es im Geschäftsjahr 2017/2018 mit rund 600 Mitarbeitern auf einen Umsatz von 433 Millionen Euro. Im Mehlgeschäft liegt der Marktanteil in Deutschland bei 15 Prozent, Marken sind etwa Aurora oder Goldpuder. Die Muttergesellschaft Goodmills Group in Wien setzte zuletzt mit 1600 Beschäftigten 830 Millionen Euro um, bezeichnet sich als Marktführer in Europa und Nummer Vier weltweit.
Etwa 90 Prozent des deutschen Mehls werden überhaupt nicht dort verkauft, wo Verbraucher oft in leere Regale starren. Der Löwenanteil geht an Großbetriebe und die Lebensmittelindustrie. „Bei diesen 90 Prozent ist die Nachfrage um 20 Prozent gestiegen“, berichtet der Goodmills-Sprecher. Bei den zehn Prozent, die an den Lebensmitteleinzelhandel gehen, sieht dies anders aus: „Da gab es Steigerungen um das Vier- bis Fünffache.“
Die Bäcker bekommen genug Mehl
Backen aus Angst, beim Bäcker nichts mehr zu bekommen, müssen die Verbraucher nach Meinung von Frank Sautter nicht. „Die Bäcker werden ganz normal mit Mehl beliefert, die Lager sind voll mit der Ernte von 2019“, sagt der Geschäftsführer des Baden-Württembergischen Müllerbunds. Michael Scheiber, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Bäckereieinkaufsgesellschaft Bäko in Stuttgart, spricht vom „üblichen Turnus“ einer Lieferung in vier bis fünf Tagen nach der Bestellung.
Das Einkaufsverhalten der Kunden habe sich in den letzten Tagen etwas geändert, meint ein Sprecher der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland): Diese kämen jetzt nicht mehr schlagartig zu bestimmten Stoßzeiten, sondern eher über den gesamten Tag verteilt: Dennoch könne es vorkommen, „dass bestimmte Produkte wie Mehl wegen der hohen Nachfrage nur eingeschränkt verfügbar sind“. In den Regalen könne es „vereinzelt“ zu Lücken kommen, heißt es aber auch bei Edeka Südwest. Aldi Süd beobachtet „eine leichte Entspannung in den Filialen“.
Der Weg zur Mühle lohnt sich wieder
Die letzte noch aktive Mühle im Lautertal auf der Schwäbischen Alb, die Getreidemühle Luz in Münsingen-Buttenhausen, gehört mit ihren sieben fest angestellten Mitarbeitern zu den noch 120 aktiven Mahlbetrieben im Südwesten: „Wir arbeiten an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden lang“, sagt eine Sprecherin. Beliefert werden etwa Rewe, Baywa oder Hofläden. Die Versorgung mit Mehl sei nicht das Problem, eher das Verpacken. Ein großer Sack für Bäcker ist fast so schnell verpackt wie die Tüten für die Haushalte: „Das ist praktisch Handarbeit.“
Ingolf Schäfer ist Geschäftsführer der Getreidemühle in Oberjesingen, einem Ortsteil von Herrenberg. „Die Nachfrage ist groß, aber wir arbeiten nicht die ganze Woche rund um die Uhr“, sagt der Müllermeister. Mit seinen fünf Mitarbeitern stellt er Biomehl, aber auch normales Mehl her, das im eigenen Mühlenladen verkauft wird. Wegen des knappen Angebots in den Supermärkten kommen auch zu ihm jetzt mehr Kunden: „Der Weg zur Mühle lohnt sich wieder“, meint Schäfer. Auch wenn sie nur noch äußerst selten „am rauschenden Bach“ klappert.