Christopher Nell (rechts) spielt Hamlet, Felix Tittel Laertes. Foto: dpa

Immer locker bleiben: Leander Haußmann inszeniert „Hamlet“ am Berliner Ensemble.

Immer locker bleiben: Leander Haußmann inszeniert „Hamlet“ am Berliner Ensemble .

Berlin - Flapp! Mit saftigem Klatschen landet das rotglänzende Stück Darm auf dem Bühnenboden, und schon schleudert Hamlet über seinem Kopf die nächste Portion Gekröse, die er gerade aus dem aufgebrochenen Bauch des ermordeten Polonius weidet. Dann macht er sich über seinen Schädel her – um schließlich, das Gehirn des Toten in den Händen, die entscheidende Frage zu stellen: „Sein oder Nichtsein?“.

So splatterhaft und kunstblutselig wie in dieser Szene ging es in Leander Haußmanns Hamlet-Inszenierung am Berliner Ensemble, die am Samstag Premiere feierte, dann doch nur selten zu. Zwar ließ er seinen blutüberschwappten Dänenprinzen am Bühnenrand noch schnell in Hannibal-Lector-Manier über das Gehirn schlecken – ansonsten aber gibt Christopher Nell den Hamlet nicht als brausenden Getriebenen, eher als aufrichtig verwirrten wie überforderten jungen Mann.

Wo Harry Potter auf der Stirn einen Blitz trägt, steht bei ihm ein schwarzes Fragezeichen. Kein überlebensgroßer Sonderkopf fürchtet sich da vor dem Schlafen und dem Sterben, sondern ein kleiner Prinz, rein körperlich gesehen: Christopher Nell wird vom restlichen Ensemble überragt – vom kleinwüchsigen Hofnarren einmal abgesehen. Und überhaupt: Wie inszeniert man dieses Stück, derart überbekannt, dass einzelne Theatergänger bei den wohlbekannten Zitierzeilen wie „Etwas ist faul im Staate Dänemark“ hörbar ironisch aufschnauben?

Leander Haußmann verzichtet auf konstruierte Aktualisierungen und extraschlaue Verwirrspiele. Er folgt Nummer eins seiner im Programmheft abgedruckten Grundregeln: „Arbeite mit dem Buch!“ – in diesem Fall der Schlegel-Übersetzung.

Hamlet mit wohldosiertem Wahnsinn und sympathischer Genervtheit

Dass die dreieinhalb Stunden Spielzeit dabei nicht in allzu große Schläfrigkeit wegduseln – selbst Ophelia pennt schließlich auf der Bühne kurz mit entzückenden Schnarchern weg, als Vater Polonius ihr seinen umfänglichen Keuschheitsvortrag vorleiert –, verhindert zuvorderst eine solide Ensembleleistung: Christopher Nell gestaltet seinen Hamlet mit wohldosiertem Wahnsinn und sympathischer Genervtheit, Anna Graenzer verschont ihre Ophelia von der notorischen Vanilleteemädchen-Hysterie und spielt sie wunderbar als keckes Mädchen und trillernde Verdrehte. Das schönste Bild des Abends: Ophelia hascht im Windmaschinenwirbel nach Hamlets fliegenden Liebesbriefen. Auch Polonius (Norbert Stöß) gefällt mit Klapp-Toupet und beeindruckend langer Sterberöchelei. Kleine Slapstickeinlagen muntern zusätzlich auf: Rosenkranz und Güldenstern, leicht tumbe Pomadenbeamte, bekommen eine kleine, hübsch alberne Tanzeinlage, der Geist von Hamlets Vater wird von Joachim Nimtz irgendwo zwischen schlurfendem Yeti und röchelndem Darth Vader angelegt. Wunderbar funktioniert auch das sich drehende Bühnenbild von Johannes Schütz, das eine so reduzierte wie verwirrend-verschachtelte Burgatmosphäre aufwirft, mit Blitzen, Donner, Kunstnebel, reichlich Kabinetten für Verschwörer und schönen Schattenwürfen – verwinkelt und undurchsichtig, wie es bei Hofe eben so ist.

Immer wieder spazierten „Apples in Space“ musizierend durch Bögen und Gänge, das junge Akkordeon-Gitarren-Duo, das die sanfte, sacht hingetupfte Bühnenmusik geschrieben hat (und das aus Julie Mehlum und Regisseurssohn Philipp Haußmann besteht). Zwischendurch, Hamlet hat gerade in einem Anfall von Heißsporn Polonius durch eine Rigipswand hindurch erstochen, hört man auch Nick Cave vom Band, mit seiner Coverversion von Bob Dylans „Death Is Not The End“. Als das am Ende – von wegen, der Rest ist Schweigen! – alle Figuren zusammen singen, möchte man tatsächlich fast ein bisschen dazu schunkeln. Auch wenn Leander Haußmann kein unerhört neuer „Hamlet“ gelungen ist, so doch eine durchaus unterhaltsame Variante. Und die Erfüllung seiner Grundregel Nummer zehn: „Bleibe locker.“

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