Die Hamburger packen mit an – vor allem im von Chaoten verwüsteten Schanzenviertel: Tausende Menschen beteiligten sich an der Aktion „Hamburg räumt auf“ Foto:  

Nach den Gewalttaten rund um den G20-Gipfel in Hamburg ist nicht nur Bürgermeister Olaf Scholz bemüht, den Opfern Hilfe anzubieten. Hat er das Gefahrenpotenzial der aus Europa angereisten Chaoten unterschätzt?

Hamburg - Als die Wagenkolonnen der Mächtigen weg sind, beginnt nach dem G-20-Gipfel in Hamburg die Jagd. Das Schanzenviertel, Zentrum der Randale, bleibt am Wochenende von Einheiten der Polizei umzingelt. Einsatzkräfte im Laufschritt, Wasserwerfer, der Spuk will nicht enden. Man will sie finden, die Täter, durchsucht Wohnungen, Szenetreffs, will nicht zulassen, dass sie sich ins Ausland absetzen. Denn in einem Punkt ist man sich inzwischen bei der Polizei ziemlich sicher: Die übelsten Chaoten sind offenbar aus Europa angereist, Italien wird oft genannt.

Groteske Argumentation der Autonomen

Sie wollen in Hamburg etwas geboten kriegen für ihr Geld. Autos aller Preisklassen brennen aus. Von wegen, Kampf den Bonzen, da werden Familienkarossen abgefackelt. Vor der Zerstörungswut dieser Chaoten sind alle gleich. Sie verwüsten Geschäfte, auch solche mit Protestaufklebern und linker Prosa an den Fenstern. Die Krawalltouristen treiben es dermaßen wild, dass sogar die hartgesottenen Linksextremen rund um die Rote Flora, einem besetzten ehemaligen Theater, erschrecken und sich in groteske Argumentationen flüchteten. „Wir als Autonome und ich als Sprecher der Autonomen haben gewisse Sympathien für solche Aktionen, aber bitte doch nicht im eigenen Viertel, wo wir wohnen, also warum nicht irgendwie in Pöseldorf oder Blankenese?“, sagt der Anwalt der Roten Flora, Andreas Beuth, im Fernsehen.

Chaoten nächtigten in Zeltcamps

Die schlimmsten Gewalttäter haben, so die Ermittler, vor allem aus jenen Zeltcamps auf zwei Parkflächen agiert, die der Senat eigentlich hatte verbieten wollen. Das Oberverwaltungsgericht spielte nicht mit, die Stadt musste in zwei Camps jeweils 300 Zelte für insgesamt 2400 Menschen genehmigen.

Unter anderem die brennenden Autos an der Elbchaussee und die Verwüstung in Altona gingen auf das Konto von Chaoten, die in diesen Camps nächtigten, heißt es aus Ermittlerkreisen. Am Samstagabend beginnt in Hamburg die dritte Nacht der Gewalt. Nicht so schlimm wie die Nächte zuvor, aber schlimm genug. Die Exzesse werden zum Ritual. Die Stadt kommt nicht zur Ruhe.

Hier geht’s zu unserem News-Blog

Bürgermeister Scholz in der Kritik

Je länger die Ausschreitungen andauern, desto dünner wird das Eis, auf dem sich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bewegt. Der Schutt mag bald weg sein, die Bilder aber bleiben. Sie werden kratzen am Bild des Machers, dessen Reinigungstrupps alles unternehmen, die Stadt immer wieder aufs Neue besenrein in den Tag zu entlassen. Es wird nicht leicht, für Scholz seine Haut zu retten, denn die Hamburger beklagen in einigen Stadtvierteln den totalen Kontrollverlust der Staatsgewalt. Scholz war vor seiner Zeit als Bürgermeister mal Innensenator. Er gilt als kompromisslos im Kampf gegen Kriminalität. Dieses Bild ist in den brennenden Barrikaden verglüht.

Opposition wirft Scholz Versagen vor

Schon knöpft sich die Hamburger CDU den Bürgermeister vor. Oppositionschef André Trepoll sagt, Scholz habe bei der Einschätzung der Sicherheitslage komplett versagt. Der Vorwurf trifft Scholz auch deshalb so hart, weil er den Mund vor dem Gipfel ziemlich voll genommen hatte. Bedenken wischte er mit der Bemerkung beiseite, Hamburg richte „ja auch jährlich den Hafengeburtstag aus“. Es werde Leute geben, die sich „am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist“. Auch Innensenator Andy Grote ist mit breiter Brust in die Katastrophe gelaufen. Der Gipfel, so Grote, werde „ein Schaufenster moderner Polizeiarbeit sein.“ Ein Schaufenster, das jetzt in tausend Scherben zersprungen ist.

Finanzielle Hilfe für die Opfer

Aber auch die CDU muss aufpassen. Es war Kanzlerin Angela Merkel, die um den G-20-Gipfel im Wahljahr buhlte, und sie war es auch, die Scholz gefragt hatte, ob Hamburg dafür bereit sei. Merkel und Scholz erkennen bereits zum Beginn des Gipfels den Ernst der Lage. Gemeinsam beschließen sie, den Opfern finanziell zu helfen. Konkrete Gespräche haben laut Finanzministerium am Sonntag begonnen. Art und Umfang der Hilfe sind noch unklar. Zunächst geht es um eine Bestandsaufnahme. Am selben Tag fährt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in die Hansestadt, um Beistand zu leisten, er spricht mit Einsatzkräften.

Diskussion über den Austragungsort

Scholz wird das recht sein. Er braucht Bilder der Geschlossenheit, vor allem mit der CDU-Chefin, aus deren Reihen gleichwohl schon harte Attacken gefahren werden. Scholz räumt inzwischen ein, dass er sein Sicherheitsversprechen an die Bürger nicht habe einhalten können. Und das, obwohl beim größten Polizeieinsatz der Hamburger Nachkriegsgeschichte 20 000 Polizisten bereit gestanden haben. Dennoch verteidigt Scholz die Wahl des Gipfelortes noch immer, direkt angrenzend an eines der unruhigsten linken Szeneviertel: Es sei gut, dass die Gespräche in einer weltoffenen Stadt wie Hamburg stattfanden.

Polizeigewerkschaft sieht „Verharmlosung“

Auch Merkel steht zu der Entscheidung. Sie wird gefragt, ob sie „für ein paar schöne Bilder im Wahljahr“ die Gesundheit von Polizisten aufs Spiel gesetzt habe. Ein harter Vorwurf, den sie weit von sich weist. Die G20 hätten schließlich auch schon in London getagt, sagt sie, „was auch keine kleine Stadt ist“. Die Wahl des Ortes ist das eine, da haftet auch die Kanzlerin. Das andere aber ist die Einsatzstrategie der Polizei, für die einzig und allein Scholz am Ende gerade stehen muss.

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, legt ihm den Rücktritt nahe. „Wenn er keinen Plan hat, wie er linke Gewalt künftig verhindern will, muss er seinen Hut nehmen“, sagt Wendt. Zu lange habe Rot-Grün die Umtriebe im Schanzenviertel als linke „Folklore“ verharmlost. Die Polizeiführung rund um den als harten Hund verschrienen G-20-Einsatzleiter Hartmut Dudde muss jetzt vor allem schnell erklären, weshalb sie den wütenden Mob Freitagnacht im Schanzenviertel über Stunden gewähren ließ. Und das, obwohl Dudde aus dem Vollen schöpfen konnte. Allein 48 Wasserwerfer standen ihm zur Verfügung. Weshalb also das Zögern?

Perfider Plan potenzieller Killer

Die Sicherheitsbehörden zeichnen zur Erklärung das Bild einer komplizierten Lage. Ein Bild, das keinen anderen Schluss zulässt, als dass da potenzielle Killer am Werk waren. Dem Vernehmen nach hätten „Aufklärer“ die Einsatzleitung am Freitagabend vor einem perfiden Plan gewarnt. Mit den Plünderungen und dem Barrikadenbau an der Sternschanze hätten die Randalierer die Polizisten ins nahe Schulterblatt locken wollen, jener Straße, die zur Roten Flora führt. Dort seien auf Baugerüsten Autonome postiert gewesen, um Gehwegplatten auf die Polizisten zu schleudern und mit Zwillen zu schießen. Dudde musste entscheiden, entweder sofort vorrücken zu lassen und damit Schwerverletzte oder gar Tote zu riskieren, oder aber zu warten, bis Spezialkräfte zur Verfügung standen, die zu diesem Zeitpunkt noch zur Absicherung der Staatsgäste in der Elbphilharmonie gebraucht wurden. Dudde wartete. Bis gegen Mitternacht endlich der Befehl zum Zugriff erteilt werden konnte.

Szenarien der Verwüstung

Spezialeinheiten mit Präzisionsgewehren erklommen die Gerüste, jagten Gewalttäter über die Dächer. Hubschrauber leuchteten die Szenerie mit Scheinwerfern aus. Erst als kein Beschuss von oben mehr befürchtet werden musste, kämpften sich die Polizisten vor. Der beißende Rauch der brennenden Barrikaden lag in diesen Stunden in der Luft und stets war es von Vorteil zu wissen, wie der Wind steht, der die Schwaden des Tränengases verteilte. Dies war nicht mehr Hamburg. Dies war ein Schlachtfeld, wobei der Soundtrack nicht fehlen durfte. In Fenstern standen mächtige Boxen, aus denen bassige Beats wummerten. Eine absurd anmutende Szenerie, eingerahmt von den Gästen der Straßencafés, die mit bester Aussicht die Show bei einer Pulle Bier genossen, manche gelassen, andere bestens gelaunt und voll froher Erwartung auf eine feuerhelle Nacht.

Zeugnisse blinden Hasses

Am Morgen nach dieser furchtbaren Nächte taucht die aufgehende Sonne die Stadt in ein mildes Licht. Im „Transmontana“ sitzen schon die ersten Gäste vor ihrem Kaffee. Alles ist ruhig, nur das schrabbende Geräusch der Kehrmaschine durchbricht die Stille, die vor der Roten Flora ihre Bahnen zieht. In einer Barrikade glimmt noch verkohltes Holz. Man erahnt in der Asche Dinge, die wohl einst Möbel oder Fahrräder waren und nun als graue Gerippe Zeugnisse blinden Hasses sind. Ein paar Meter weiter in der Stresemannstraße haben sie im das Display eines Fahrkartenautomaten zerstört. „Armut ist kein Zufall“, steht auf einem schwarzen Aufkleber daneben. Dummheit auch nicht.