45 Haltestellen sind Reklamesäulen – zum Beispiel für die WGV. Foto: Kraufmann

Wer zahlt, darf bei der Stuttgarter Straßenbahnen AG seinen Firmennamen zur Stadtbahnhaltestelle erheben – zum Beispiel auch Versicherungen.

S-Mitte Zumindest Verena Hübsch irritiert noch immer, wenn die Stimme durch die Lautsprecher der Stadtbahn bekannt gibt, dass die nächste Station die Haltestelle Börsenplatz ist. Den Stadtbahn-Stopp recht genau zwischen dem Hauptbahnhof und der Liederhalle kennt Hübsch als Haltestelle Friedrichsbau Varieté. „Aus dem Friedrichsbau ist zwar das Varieté weggezogen“, sagt sie, „aber den Friedrichsbau gibt es schließlich noch.“

Hübsch sitzt für die Fraktion SÖS Linke plus im Bezirksbeirat. Dort wollte sie wissen, nach welchem Ermessen die Straßenbahner ihre Haltestellen be- und umbenennen und bekam die Auskunft: „Wer zahlt, der kriegt, wahrscheinlich hat die Börse gezahlt.“ So sagte es die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle mit Missmut, denn „der Friedrichsbau ist ein historisches Gebäude“. Das 1898 erbaute Jugendstil-Haus war einst bekannt für seinen Theatersaal mit 800 Plätzen. Im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs wurde es zerstört, die Ruine später abgerissen. Erst 1993 ließ die L-Bank den neuen Friedrichsbau an historischer Stätte errichten.

45 Haltestellen stadtweit dienen als Reklamesäulen

Die SSB vergibt tatsächlich Haltestellennamen gegen Geld – allerdings nicht in diesem Fall, die Börse hat nicht gezahlt. Aber die L-Bank: Sie wird von morgen an als in Klammern gestellter Zusatz auf den Haltestellenhinweisen und im Fahrplatz zu lesen sein. Damit dienen insgesamt 45 Haltestellen stadtweit als Reklamesäulen. Der Gerling-Konzern wirbt nahe des Pragfriedhofs, die Merz-Akademie auf der Waldebene Ost, die WGV am Österreichischen Platz. Vorwiegend Unternehmen, gelegentlich Institutionen, wünschen sich ihren Namen als Zusatz zum eigentlichen Namen von Haltestellen und bekommen ihn. Die Einnahmen aus den Verträgen sind dem darbenden Verkehrsunternehmen eine wohltuende Geldquelle.

Diese Art der Kommerzialisierung missfällt allerdings manchem. „Das ist immer mal wieder Thema im Aufsichtsrat“, sagt der Grünen-Stadtrat Jochen Stopper. Auch die Umbenennung von Friedrichsbau in Börsenplatz war Anlass für Unmut, zumal Ehemalige der Uni Stuttgart sich erinnern, dass dieselbe Haltestelle einst Keplerstraße, davor Universität hieß.

Standardmäßig heißen die Haltestellen nach Straßen

Theoretisch könnte die Stadt Firmenwerbung auf Haltestellenhinweisen verhindern: Von 20 Aufsichtsräten der SSB stammen zehn aus dem Gemeinderat oder von der Bürgermeisterbank, und der Vorsitzende ist stets der Oberbürgermeister. Aber bisher sind Umbenennungen beschlossen worden, ohne den Aufsichtsrat zu fragen. „In Zukunft wollen wir darüber diskutieren“, sagt Stopper. So sei es vereinbart. Bei künftigen Werbewünschen „wird es Gegenwind geben“, sagt der Stadtrat voraus.

Der wäre im Fall des Börsenplatzes wohl alsbald zur Brise geworden. Der Platz an der Börsenstraße „heißt einfach im Stadtplan so“, sagt die SSB-Sprecherin Birte Schaper. Die Entscheidung gilt damit als Idealfall. Standardmäßig benennen die Straßenbahner ihre Haltestellen nach Straßen oder Gemarkungen, schlicht, weil diese Bezeichnungen dauerhaft Bestand haben.

Selbst ein Krankenhaus kann wegziehen, wie ein Beispiel in Feuerbach belegt, wo die einstige Haltestelle Krankenhaus jetzt Föhrich heißt, nach dem Gewann. Früher wurden auch kostenlos Unternehmensnamen gewählt, wie Kodak oder der Schlachthof. Der Filmkonzern hat Wangen verlassen und wurde aus dem Haltestellennetz getilgt. Der Schlachthof ist ebenfalls Geschichte, hat aber gleichsam aus nostalgischen Gründen überdauert.

Ganze Haltestellen nach Wunsch benennen zu lassen, ist inzwischen nicht mehr möglich. Firmennamen als Zusatz sind hingegen jederzeit bestellbar. Voraussetzung ist, „dass bei dem Unternehmen Publikumsverkehr herrscht und der Fahrgast einen Nutzen hat“, sagt Schaper. Wer beispielsweise im Gerber einkaufen möchte, wird auf das Einkaufszentrum aufmerksam gemacht. Der Tarif für die Reklame richtet sich nach ihrem Effekt: Je mehr Menschen an einer Haltestelle ein- und aussteigen, desto teurer wird der Namenszusatz. Was für das Varieté übrigens nicht galt. Die SSB hatte das Theater aus freien Stücken im Fahrplan verankert.