Der Abbau eines Fahrkartenautomaten an der Haltestelle Pragfriedhof im Stuttgarter Norden sorgt für Empörung.
S-Nord - Die beiden Frauen aus der Schweiz wundern sich, machen noch einmal die Runde um den orangefarbenen Kasten: „Sind das jetzt nicht mehr Fahrkartenautomaten?“, fragen sie in singendem Bärndütsch, dem alemannischen Dialekt aus der Berner Gegend. Im Prinzip ja, in diesem Fall allerdings nicht mehr, denn die Fahrkarten-Maschine wurde aus dem Gehäuse entfernt, lassen sie sich erklären – wundern sich weiter und begeben sich ans andere Ende des Bahnsteiges der erst kürzlich auf „Pragfriedhof“ umbenannten Stadtbahn-Haltestelle. Dort ziehen sie aus dem verbliebenen Automaten ihre Tickets.
Kopfschüttelnde Fahrgäste
Noch mehr wundert sich die 84-Jährige, die am Freitagmittag nach Weihnachten eben die barrierefreie Schräge am nun automatenfreien Nordende des Bahnsteiges hochkommt: „Das ist sehr enttäuschend; das war eine gute Stelle für einen Automaten. Aber ich habe Glück, ich habe ein Abo.“ Was sie tun würde, wenn sie direkt betroffen wäre? „Dann würde ich Herrn Kuhn, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der SSB persönlich einen Brief schreiben. Es wäre nicht mein erster.“ – „Hier wurde am falschen Eck gespart“, pflichtet ihr Waltraut Scheible bei. „Das ist wie bei den Bankautomaten, wo einer nach dem anderen verschwindet. Hier war es doch geschickt“, findet die Seniorin und schüttelt den Kopf: „Ich verstehe das nicht.“
Einer 48-Jährigen aus Leinfelden platzt der Kragen: „Das ist Schwachsinn, der reine Schwachsinn! Genau hier gehört ein Fahrkartenautomat hin. Hier kommen auch die Leute aus den Hotels gegenüber. Und woher soll man wissen, dass am anderen Ende eine solche Kiste steht? Wenn es pressiert, steigt man ein, und wenn man Pech hat, kriegt man einen Strafzettel.“ Sie kann sich kaum noch bremsen im Zorn über die SSB, wird auch anderen Ärger in Sachen öffentlicher Nahverkehr los und schließt: „Statt solchen Schwachsinn zu fabrizieren, sollte sich die SSB lieber darum kümmern, dass die Züge pünktlich kommen!“
Ganz ähnlich war die Stimmung auch in der letzten Sitzung des Bezirksbeirates Stuttgart-Nord, wo das Thema infolge eines Antrages auf der Tagesordnung stand. In einem von allen sechs Fraktionen gemeinsam eingebrachter Beschlussantrag wird die „Wiederaufstellung des SSB-Fahrkartenautomaten am barrierefreien Zugang auf der Nordseite der Straßenbahnhaltestelle Pragfriedhof“ gefordert. Und dies solle „umgehend“ geschehen. Zudem wendet sich der Antrag auch direkt an die Stadtverwaltung. Diese „wird ersucht, diese dringende Maßnahme bei der für den ÖPNV zuständigen SSB einzufordern“. Die politische Position, die dahinter steht, formulierte Axel Alt (SPD): „Die Stadt soll sagen, wie wir den ÖPNV haben wollen. Nicht die SSB, wie sie ihn will.“
Kritik an schlechterem Service
In der Begründung des Antrages werden „erhebliche Erschwernisse für Fahrgäste aus den umliegenden Wohngebieten“ ins Feld geführt. Betroffen seien „insbesondere ältere Menschen, Gehbehinderte sowie Mütter und Väter mit Kinderwagen“. Hintergrund ist, dass sich der verbliebene Automat am nicht barrierefreien Zugang befindet, an der Stirnseite des Treppenschachtes zur Unterführung unter der Heilbronner Straße. Im übrigen reihe sich die Maßnahme „zu Lasten der Fahrgäste nahtlos ein in Service-Verschlechterungen der vergangenen Jahre im Stadtbezirk. Diesen Trend gilt es zu stoppen“.
Für Empörung sorgt zudem der Umgang eines SSB-Mitarbeiters mit der Sache. Er hatte zur Beschwerde eines Anwohners in einer Mail geschrieben: „Bei derartigen Abwägungen gibt es immer Gewinner und Verlierer.“ In der schriftlichen Begründung des Antrages heißt es dazu: „Der Bezirksbeirat Nord missbilligt diese Wortwahl“, denn damit würden „behinderte Menschen als Verlierer herabgewürdigt“.
Wegen dieses Punktes war Simon Fischer, die sich zuvor dem Gremium als die erste hauptamtliche Behindertenbeauftragte der Stadt vorgestellt hatte, eigens noch länger geblieben. Danach sagte sie auf Nachfrage unserer Zeitung: „Ich will mir nach Silvester vor Ort selbst ein Bild machen. Dann werde ich mich zur Sache äußern.“