Foto: Visit Reykjavík

Roman aus Island: „Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen“.

Stuttgart - Der kroatische Mafia-Auftragskiller Tomislav Boksic, genannt Toxic, muss nach einer Panne New York verlassen und strandet auf einer Insel, die ihm sehr seltsam vorkommt: Island. Eine schräge Story erzählt Autor Hallgrâmur Helgason in seinem neuen Buch - eine Art "Pulp Fiction" des Heimatromans.

Herr Helgason, der Regisseur Fridrik Thor Fridriksson hat in "Devil's Island" kein gutes Haar an Island gelassen, und auch Sie scheinen Ihre Heimat nicht sehr zu mögen . . .

Wir Isländer reden immer schlecht über unser Land, aber das führt nur dazu, dass wir es umso mehr lieben. Es ist eine Hassliebe. Ein schwieriges Land. Eine kleine Nation. Reykjavâk ist eine kosmopolitische Stadt, aber man kennt jeden, den man sieht. Das gibt es sonst nirgends. Es hat mir gefallen, so zu tun, als wäre ich noch nie in Island gewesen. Einige von Toxics Beobachtungen sind meine persönlichen Frustrationen, Ausdruck der Irritation über die Leere dieses Landes, in dem es keine Bäume gibt und in dem nichts passiert.

Was ist stärker: der Hass oder die Liebe?

Ganz klar: die Liebe.

Das Wetter scheint eine wichtige Rolle zu spielen. Ihr Kroate im Buch friert durchweg.

Manche sagen, wir hätten keinen Frühling. Vor ein paar Jahren gab es einen Schneesturm Anfang Juni, und es war tragisch zu sehen, wie von den brütenden Vogelmüttern nur noch die Köpfe aus dem Schnee schauten. Mitte Juni kommt dann der Sommer. Er dauert sechs Wochen, und die Leute verändern sich völlig, denn sie versuchen, alles an Leben nachzuholen, was sie sonst verpassen.

Ihr Roman spielt 2006, Toxic wundert sich über die Autos und wie Leute sich das leisten können - eine Vorahnung des Bankrotts?

Alle haben Geld geliehen, denn es war sehr einfach, einen Kredit zu bekommen. Die Leute wollten alles sofort. Jetzt werden sie ihre Geländewagen nicht mehr los und zahlen viel mehr ab, weil die isländische Krone stark an Wert verloren hat. Manche versuchen, ihr Auto zu verschenken und legen noch 100.000 Kronen drauf, um den Kredit loszuwerden. Keiner hat geglaubt, dass es so brutal kommen würde. Wir dachten, die Banken hätten in irgendeinem Safe Rücklagen für so einen Fall. Das war ein Irrtum.

Sie haben erstmals auf Englisch geschrieben - wie kamen Sie darauf?

Das war aufregend, ich liebe diese Sprache. Natürlich habe ich nicht denselben Wortschatz wie auf Isländisch. Der Trick war, aus der Perspektive eines Kroaten zu erzählen, der ja auch nicht perfekt Englisch kann. Als Ausgleich brauchte ich einen wirklich starken Plot. Sonst beschreibe ich oft Dinge ausführlich über zehn Seiten, was manchen Leuten nicht gefällt. Nun bekommen sie von mir ein Buch, das leicht zu lesen ist.

Die verrückte Idee stand schon in der Bibel

Wieso ein Kroate?

Ich wollte weder die italienische Mafia noch die russische, denn das sind Klischees. Ich war eine Woche in Kroatien bei einem Festival und habe alle Leute befragt, die ich getroffen habe - wo sie herkommen, wie es war, in den 70er und 80er Jahren dort aufzuwachsen, wer der größte Popstar war. Beim Thema Krieg war ich vorsichtig, denn das sind ja schmerzhafte Erfahrungen. Manche Leute haben darüber geredet. Ohne das Internet hätte ich das Buch aber nicht schreiben können. Dort habe ich Schnipsel über die kroatische Mafia gefunden, eine Schießerei in Zagreb 2004, den Skandal um die Manipulation deutscher Fußballwetten. Den Rest habe ich dazuerfunden.

Der Kroate gerät in die Fänge handfester Kleriker - gibt es die, und haben Sie dafür die Bibel studiert?

Ja, der Kirchensender existiert tatsächlich. Die Bibel hatte ich schon für einen Comic im Jahr 2003 intensiv gelesen. Und irgendwann habe ich gemerkt, dass meine Idee, die ich für total irre und verrückt hielt, drinsteht: Paulus hat sich vom römischen Henker zum Verkünder gewandelt. Also habe ich versucht, eine Parallele zu konstruieren - und Toxic verdonnert, die Bibel zu lesen.

Gehen Sie zur Kirche?

Manchmal, wenn's ein Konzert gibt, eine Taufe oder eine Hochzeit. Ich fühle mich da nicht zu Hause. Ich glaube schon, dass es einen Gott gibt, brauche bloß keinen Priester, der mir vorgibt, wann ich beten soll und wann still sein. Aber ich bin nicht total dagegen. Es kann für jeden eine Zeit kommen, in der er die Kirche braucht.

Wie haben Sie sich ins Gehirn eines Berufsmörders hineinversetzt?

Ich habe nach Büchern gesucht, aber nur Dostojewskis "Schuld und Sühne" gefunden. Also habe ich versucht, mir vorzustellen, wie es sich anfühlen könnte, Menschen zu töten. Wie sieht das Gewissen eines Mörders aus? Wie sein Leben? Es muss hart sein, all diese Leute umgebracht zu haben. Toxic ist ja keine Maschine, auch wenn er abgebrüht daherredet. Und wenn man dann erfährt, was ihm im Krieg passiert ist, ergibt alles plötzlich einen Sinn. Es gibt auch eine biografische Parallele, die mir erst aufgefallen ist, als ich mit dem Buch fertig war: Ich habe früher viel für Zeitungen geschrieben und Leute kritisiert, mit Artikeln attackiert. Dann hat sich mein Blick aufs Leben völlig verändert, als ich eine Familie gegründet habe. Kinder sind aus meiner Sicht die Erfüllung. Das ist ins Buch eingeflossen.