Spielt längst in seiner eigenen Liga: Rapper Haftbefehl Foto: pr/Tarek Mawad

Mit seinem neuen Album „Mainpark Baby“ setzt Rapper Haftbefehl mit zahlreichen Gästen Maßstäbe – und deutet im letzten Song seinen Abschied an.

Seit einiger Zeit hat der Offenbacher Rapper Haftbefehl seinen Zweitwohnsitz in der Nähe von Stuttgart. Liegt es an dieser neuen Verbundenheit zur Region, dass er auf seinem neuen Album „Mainpark Baby“ mit OG Keemo (Mannheim) und Nimo (Leonberg) gleich zwei Rapper mit Bezug zu Baden-Württemberg zu Gast hat?

Überhaupt zeigt sich Aykut Anhan auf dem Album, das am 2. Dezember erscheint, als großzügiger Gastgeber, der anderen eine prominente Bühne bereitet. Mit den Veteranen Azad und Kool Savas rappt er das Stück „Dann mit der Pumpgun 2.0“ ein. Die Wendung „wenn nicht mit Rap, dann mit der Pumpgun“ ist in der Hip-Hop-Szene zum geflügelten Wort geworden und kokettiert mit den Gesten des Gangsta-Raps.

Savas rettet Sido das Leben

Die Veteranen zeigen, dass sie es noch können. Und glaubt man Rapper Sido, der kommende Woche sein neues Album „Paul“ veröffentlichen wird, dann ist es ohnehin immer gut, Savas an seiner Seite zu haben. Der Rapper, der einige Jahre in Stuttgart gelebt hat, habe ihm kürzlich laut Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ mit einer dreiminütigen Sprachnachricht das Leben gerettet, als Sido sich in der Kokainsucht verloren hatte.

Das weiße Pulver ist auch auf „Mainpark Baby“ dauerpräsent. Im vielleicht besten Intro eines Hip-Hop-Albums seit Jahren säuselt die blutjunge Schauspielerin und Sängerin Paula Hartmann engelsgleich von der Aufputschdroge: „Ich nehme keine Drogen / ich mag nur den Geruch von Koks. Blut tropft auf den Boden / nachts an einem Busbahnhof“, ehe Haftbefehl alias Aykut Anhan die glockenklare Stimme Hartmanns mit seinem schnarrenden, kurz hinter der Kehle produzierten Rap kontert.

Damit ist der Resonanzraum des Albums klar: Düster die Stimmung, als wäre man nachts an einem Busbahnhof gestrandet. Haftbefehl rappt von Töpfen, die ihm einst beim Crackkochen kaputtgegangen sind, während heute in seinen Kochtöpfen in seinen Storys bei Instagram köstlich dampfende Bolognese zu bewundern ist.

Noch immer ist Anhans Storytelling beeindruckend: Die Geschichten seiner bewegten Jugend, als er mit Drogen dealte, unterlegt von den außerweltlichen Beats von Bazzazian, dem aktuell vielleicht wichtigsten Hip-Hop-Produzenten in Deutschland, fesseln wie eine gut erzählte Netflix-Serie. Wie passend, dass das Album flankiert wird von einem fünfteiligen Kurzfilm von Chehad Abdallah, der den Lebensweg eines repräsentativen Mainpark-Babys vom Fünfjährigen bis zum 45-jährigen, ausgebrannten Mann erzählt.

Die laut Grundgesetz des deutschen Straßenraps festgelegten drei frauenfeindlichen Stellen pro Album gibt es auf „Mainpark Baby“ ebenfalls, wenn die Kunstfigur Haftbefehl despektierlich über Sex mit Prostituierten auf der Rücksitzbank seines Luxusschlittens rappt.

Zwischentöne der Verletzlichkeit

Und doch ist auf „Mainpark Baby“ vieles anders. Dieses Album besticht durch Zwischentöne der Verletzlichkeit. Anhan rappt von seiner durstigen Seele und erinnert dabei noch einmal daran, dass er seine jüngste Tour wegen gesundheitlicher Probleme absagen musste, nachdem er in den vergangenen Jahren kurz hintereinander gleich zwei starke Alben veröffentlich hatte.

„Das weiße und das schwarze Album hatten einen roten Faden, sie gehörten untrennbar zusammen. Das weiße stand für das Licht, den Tag, die Party, das schwarze für die Düsternis und die Abgründe danach. Auf ‚Mainpark Baby‘ wollte ich die Mitte zwischen diesen beiden Extremen ausloten“, sagt Haftbefehl über sein jüngstes Werk. Seine Art zu rappen, sein Flow, unterscheidet sich dabei von Song zu Song, als wolle er noch mal zeigen, welche Bandbreite er draufhat.

Im letzten Stück des Albums, das passenderweise „Letzter Track“ heißt, deutet er dann tatsächlich seinen Abschied an. Sollte es das jetzt wirklich gewesen sein? Konzentriert sich Haftbefehl künftig ganz auf seine Familie und seine anderen Geschäftsbereiche von Pizza bis Eistee? Hoffentlich nicht! Der zweifache Familienvater befindet sich auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Haftbefehls Geschichte scheint noch lange nicht auserzählt.

► Haftbefehl: Mainpark Baby. Universal