Ein Jahr nach der Freilassung des Journalisten haben sich die deutsch-türkischen Beziehungen nicht verbessert. Deniz Yücel arbeitet inzwischen an einem Buch, doch der türkischen Regierung hat er noch immer nicht verziehen.
Istanbul - Als Deniz Yücel an einem kalten Februartag vor das Tor des Hochsicherheitsgefängnisses in Silivri bei Istanbul trat und seine Frau Dilek umarmte, kam Hoffnung auf eine Normalisierung der deutsch-türkischen Beziehungen auf. Kanzlerin Angela Merkel selbst hatte sich für die Freilassung des „Welt“-Journalisten eingesetzt, der zwölf Monate in Haft saß und dann plötzlich entlassen wurde.
Yücel sieht sich als Geisel
Doch ein Jahr nach Yücels Freilassung am 16. Februar 2018 ist die Hoffnung auf normale Beziehungen zerstoben: Der Druck Ankaras auf vermeintliche Staatsfeinde hält unvermindert an. In einem ARD-Interview bekräftigte Yücel jetzt seine Kritik an den türkischen Behörden, die er als kriminelle Vereinigung bezeichnete. Er sei als Geisel festgehalten worden und habe gegen mutmaßliche Beteiligte am Staatsstreich von 2016, die nach Deutschland geflohen sind, ausgetauscht werden sollen. „Wie das Geiselnehmer halt so machen.“ Derzeit schreibt er ein Buch über seine Haftzeit. Nirgendwo auf der Welt werden so viele Journalisten verhaftet wie in der Türkei, sagt das US-Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ). Nach einer Zählung der türkischen Journalistenvereinigung TGC saßen zu Beginn des Jahres 142 Medienvertreter hinter Gittern.
Staatsstreich als Vorwand Journalisten zu verhaften
Ankara betont, es gebe keinen einzigen Reporter, der wegen seiner Arbeit in Haft sitze. In allen Fällen handele es sich um Straftaten wie die Mitwirkung am versuchten Staatsstreich. Allerdings werden auch kritische Meinungsäußerungen als Angriff auf den Staat gewertet. Zugleich rollen immer neue Festnahmewellen über das Land, mit denen die Justiz gegen angebliche Staatsfeinde wie die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen vorgeht. Der gilt der Regierung als Drahtzieher des Putschversuches von 2016. Erst diese Woche wurden wieder mehr als 700 Verdächtige festgenommen. Insgesamt sind seit dem Staatsstreich nach Regierungsangaben mehr als 100 000 Beamte entlassen und mehr als 30 000 Menschen wegen Mitgliedschaft in Gülens Bewegung inhaftiert worden – teilweise reicht ein Konto bei einer Gülen-nahen Bank als Haftgrund aus. 200 neue Gefängnisse sollen gebaut werden.
Auch Deutsch sitzen in Haft
Ausländer sind ebenfalls im Visier der Behörden. „In den letzten beiden Jahren wurden vermehrt auch deutsche Staatsangehörige willkürlich inhaftiert“, heißt es in den Reisehinweisen des Auswärtigen Amtes – mehrfach „in Zusammenhang mit regierungskritischen Stellungnahmen in den sozialen Medien“. Insbesondere Bundesbürger mit türkischen Wurzeln seien betroffen. Insgesamt sind rund ein halbes Dutzend Bundesbürger wegen politischer Vorwürfe in der Türkei in Haft.
Die Debatte über den Umgang mit der Türkei geht weiter. Berlin hatte nach der Inhaftierung Yücels und des Menschenrechtlers Peter Steudtner die staatlichen Hermes-Bürgschaften für Türkei-Geschäfte begrenzt, die offiziellen Reisehinweise für das Land verschärft und Gespräche über eine Ausweitung der Zollunion zwischen EU und Türkei blockiert. Yücel selbst sagte, die Türkei sei extrem abhängig vom Ausland. Das Regime hoffe, dass es in den außenpolitischen Beziehungen Politik und Geschäft trennen könne. „Ich glaube, es wäre falsch, dieses Spiel mitzuspielen.“
Verfahren gegen Yücel läuft weiter
Völlig ausgestanden ist der Fall Yücel bis heute nicht. Das Verfahren wegen Terrorpropaganda läuft in seiner Abwesenheit weiter und soll im April fortgesetzt werden. Das Gericht will Yücel in Deutschland zu den Vorwürfen befragen lassen. Die Genehmigung aus Berlin dafür steht noch aus.