Der Held hebt ab: Das Finale von Händels „Hercules“ am Nationaltheater Mannheim Foto: Hans Jörg Michel

Am Nationaltheater Mannheim hat Nigel Lowery Händels „Hercules“ inszeniert – eine Heldenoper ohne Helden, die musikalisch mit intensiven Farben und spannenden Momenten aufwartet.

Mannheim - Kunst ist Wagnis. Wäre Georg Friedrich Händel kein Künstler gewesen, so hätte er seine Erfolgsserie der Oratorien in London 1744 nicht unterbrochen, hätte nicht dieses zwitterhafte „musical drama“ geschaffen, das weder Oper ist noch Oratorium, bei dem anstelle des antiken Titelhelden dessen Frau im Mittelpunkt steht und das ganz unfroh mit Tod und Wahnsinn endet. Klar, dass „Hercules“, Anfang 1745 im eigens angemieteten Londoner Haymarket Theatre uraufgeführt, ein riesiger Flop wurde, und man könnte die interessante These wagen, dass gerade die Gründe für den damaligen Misserfolg das Werk in unseren Tagen besonders interessant erscheinen lassen.

Zu hören ist eine Musik, die zwischen repräsentativen Außen- und intimen Innenwelten vagiert, die klangsatte Arien und Chöre enthält, aber auch ausdrucksstarke begleitete Rezitative und extrem offene, große Formen. Zu erleben sind Charaktere, die allesamt seltsam bindungs- und orientierungslos durch den Bühnenraum irren: weil ihnen in einer Heldenoper ohne Helden, in einer mythologischen Geschichte ohne Mythos gleichsam das Rückgrat fehlt, das Ziel, der geistige Fluchtpunkt.

Die Streicher kommen an ihre Grenzen

Am Mannheimer Nationaltheater hat Bernhard Forck, Konzertmeister der Akademie für Alte Musik Berlin, Musikern des Orchesters die Leichtfüßigkeit, Durchsichtigkeit, atmende Phrasierung und lebendig sprechende Artikulation historisch informierter Ensembles antrainiert und zusätzlich alte (Blas-)Instrumente in den Graben geholt. So ist das heute in Opernhäusern bei Musik vor Mozart allgemein üblich. Das Ergebnis ist ein sicherlich hybrider, aber doch auch sehr vitaler Klang mit vielen schönen, intensiven Farben und spannenden Momenten. Allerdings bringt die Geschwindigkeit, die Forck am Pult einfordert, zumal die Streicher bei vielen schnellen Noten an ihre Grenzen, und die Konzentration im Orchester reicht bei der besuchten B-Premiere nicht aus, um alle Einsätze präzise auf den Punkt zu bringen. Zu hören sind außerdem immer wieder Passagen der Überforderung im Mannheimer Opernchor, dem es oft an Fokussierung und Farbe mangelt, vor allem aber an Flexibilität in der dynamischen Gewichtung der Einzelstimmen.

Aber Forck macht Dampf, der dem Stück guttut – schließlich ist der „Hercules“ dramaturgisch nicht immer stringent und schiebt seinem theatralischen Fortgang immer wieder mittels Botenberichten gleichsam epische Bremsklötze unter die Räder. Auch die Sänger bringen sich allesamt mit viel Ausdruckswillen ein – wobei neben Thomas Berau als Hercules und David Lee als dessen Sohn Hyllus vor allem Mary-Ellen Nesi als hochexpressive, nur in der Höhe zuweilen leicht schwächelnde Dejanira und Eunjo Kwon glänzen – besonders letztere bezaubert durch präzise gesetzte Koloraturen und einen fast knabenhaft fokussierten, geraden Sopran.

Ironische Bilder machen viel Vergnügen

Inszeniert hat Nigel Lowery, den man in Stuttgart durch seine sehr witzige Inszenierung von Mozarts „Figaro“ kennt, und der Brite hat, weil das bei ihm üblich ist, auch die Kostüme und das Bühnenbild entworfen, mit deren Hilfe er Händels Stück im Mittelalter verortet. Gotische Säulen und Bögen einer Kathedrale bilden zu Beginn die äußere Hülle einer gottentleerten Welt, in der Hercules seine Keule schwingt (und die eindeutige Assoziation zur Manneskraft des Helden ebenfalls nicht ausgespart wird). Man findet sich dort aber auch ganz Da-Vinci-mäßig zum (letzten Abend-)Mahl, und überhaupt steht so manches passend in ironischen Anführungszeichen. Das (echte!) Pferd, auf dem der siegreiche Recke („Vom Krieg gehe ich zur Liebe über“) einreitet wie weiland Don Quixote auf seiner Rosinante; das Spanferkel, in das Hercules just in dem Moment hineinsticht, in dem die gefangene Iole den Tod ihres Vaters in der Schlacht besingt; das Himmelbett, in das er seine eifersüchtige Gattin partout nicht hineinbekommt; schließlich die Rakete, die im letzten Bild den (aus Lowerys Sicht von Dejanira ganz bewusst) getöteten Helden ins All befördert: All dies anzuschauen, macht viel Vergnügen.

Mit der Personenführung hat es Lowery allerdings nicht immer und unbedingt, und neben raffinierten ironischen Bildern gibt es viel Frontaltheater sowie (im Chor) hilfloses Hin-und-Hergelaufe. Da sind dem Regisseur zwischendurch offenbar die Ideen ausgegangen. Oder der Mut zum Wagnis, und so liegt auch die Inszenierung des Zwitterstückes „Hercules“ irgendwo zwischen Kunst und -gewerbe. Da geht es ihm und dem Mannheimer Publikum allerdings ziemlich gut.

Nochmals am 28. 12. sowie am 7., 20. und 26. Januar