Der Doppeljahrgang hat die Abiturprüfungen bereits hinter sich. Laut der Schulen schnitten die G-8-Schüler nicht schlechter ab als die G-9-Schüler. Foto: dapd

Jede Schule soll auch G-9-Züge anbieten dürfen – Grün-Rot hält aber an begrenzter Zahl von Modellschulen fest.

Stuttgart - Vier von fünf Gymnasiasten an den 22 Modellschulen, die eine Wahl zulassen, haben sich für den neunjährigen Weg zum Abitur (G 9) entschieden. G 8 sei jedoch nicht gescheitert, sagen Schulleiter und Eltern. Sie fordern, dass Schulen künftig beide Formen anbieten.

Katharina Hellriegel ist verärgert. Ihr Sohn ist ein kluger Kopf, interessiert sich für Sport, Musik, ist aufgeschlossen und trifft sich gern mit Freunden. „Nur kann er das alles neben der Schule kaum noch“, sagt sie. 37 Stunden verbringt der Zehntklässler pro Woche im Gymnasium Königin-Olga-Stift im Stuttgarter Westen. Im Jahr zuvor waren es 36, davor 35 Stunden. Dreimal pro Woche hat er Mittagsschule.

G 8 habe die Interessen ihres Sohns ausgebremst, sagt sie. Zuerst blieb das Fagott auf der Strecke, dann das Handballtraining, Arbeitsgruppen besucht er auch keine mehr. Nach der Grundschule gab es für die Hellriegels keine Wahl: Entweder in acht Jahren zum Abitur (G 8) oder gar nicht. Heute setzt sich die Mutter im Gesamtelternbeirat der Stuttgarter Gymnasien (GEB) für genau diese Wahlfreiheit ein.

„Das Schulsystem sollte auch innerhalb des Gymnasiums flexibel sein“

Ein Schulversuch der Landesregierung räumt die Wahlfreiheit an 22 Schulen im Land ein. In der Region nehmen das Zeppelin-Gymnasium im Stuttgarter Osten und das Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach am Neckar teil. Jetzt hat das Kultusministerium die Anmeldezahlen der Fünftklässler für den Modellversuch bekannt gegeben, und die sind eindeutig: Vier von fünf angehenden Gymnasiasten haben sich landesweit für das Abitur in neun Jahren entschieden (G 9). Im Regierungsbezirk Stuttgart wählten 284 Schüler G 9, landesweit waren es 2179. Nur 144 Schüler entschieden sich für G 8 (502). An einer Schule im Regierungsbezirk kam keine G-8-Klasse zustande, in ganz Baden-Württemberg bieten insgesamt sieben Schulen nur noch G 9 an.

Ist G 8 gescheitert? Schulleiter und Eltern sehen das nicht so. „Das Schulsystem sollte auch innerhalb des Gymnasiums flexibel sein“, sagt Holger zur Hausen, Schulleiter des Zeppelin-Gymnasiums. Und auch sein Kollege Günter Offermann, Schulleiter am Friedrich-Schiller-Gymnasium Marbach, schließt sich dieser Forderung an: „Jeder Schüler sollte den für ihn günstigen Weg zum Abitur wählen dürfen.“ G 8 gänzlich abzuschaffen, davon halten sie und auch die Eltern nichts. Schließlich belegten die Zahlen auch, dass sich Eltern durchaus bewusst für G 8 entscheiden, weil ihre Kinder einfach ein bisschen schneller in der Schule sind. „Andere haben mehrere Hobbys, die sie nicht aufgeben wollen, brauchen Nachhilfe oder gehen für ein Schuljahr ins Ausland. Da bietet sich G 9 an“, sagt zur Hausen. Seine Forderungen gehen noch ein Stück weiter: Für das neunjährige Gymnasium solle es mehr Lehrerstellen geben, damit die freie Zeit an den Nachmittagen durch qualifizierte Nachhilfelehrer gedeckt werden könne.

„Es gibt keine Pläne, Wahlfreiheit für alle Schulen zu schaffen“

Dass G-8-Schüler im Schnitt schlechter sind, können die Schulleiter nicht bestätigen. In diesem Jahr machten die ersten ihr Abitur. „Unter den herausragenden Schülern hat die Hälfte in acht Jahren ihr Abi gemacht“, sagt Barbara Graf, geschäftsführende Schulleiterin der Gymnasien in Stuttgart und Schulleiterin des Hegel-Gymnasiums. Sie hält nichts davon, zusätzlich flächendeckend das neunjährige Gymnasium anzubieten. „Was die neue Landesregierung mit den Schulversuchen macht, ist richtig“, sagt Graf. Es solle jedoch generell mehr Geld in die Gymnasien investiert werden. Damit nur die Einführung von G-9-Zügen an allen Schulen zu finanzieren, sei falsch.

Die Landesregierung wird – trotz geringer Turbo-Abi-Nachfrage – an ihrem Kurs festhalten. Insgesamt 44 Schulen werden sich am Schulversuch beteiligen, nicht mehr. „Es gibt keine Pläne, Wahlfreiheit für alle Schulen zu schaffen“, sagt Armin Kübler, Sprecher des Kultusministeriums.

Damit wollen sich Katharina Hellriegel und ihre Mitstreiterinnen aus dem GEB nicht zufrieden geben. „Das hier hat nichts mehr mit der Güte des Gymnasiums zu tun“, sagt Hellriegel. Der GEB hat zusammen mit anderen Eltern eine E-Mail an das Kultusministerium verfasst. Darin machen sie mit einer Geschichte auf die Probleme mit G 8 aufmerksam. Wer will, hängt die eigenen Erfahrungen mit dem Turbo-Abi an. Die gesammelten Beschwerden werden sie in einem Buch zusammenfassen und noch in diesem Monat jeweils ein Exemplar an Ministerpräsident Winfried Kretschmann und an Schulbürgermeisterin Susanne Eisenmann übergeben.