Auch auf der Schwäbischen Alb kann man dieses Jahr viele Fliegenpilze entdecken. Foto: Nabu

Warum es dieses Jahr besonders viele Fliegenpilze gibt, und wie Glück und Wahnsinn bei ihnen zusammen hängen.

Stuttgart - Wer gerade ein bisschen Glück nötig hat – und wer hat das bitteschön nicht, derzeit? – der muss nur in den Wald gehen, nach einer Birke oder Fichte suchen und den Blick nach unten richten. Denn in der Nähe dieser Bäume wächst gern Amanita muscaria, der Fliegenpilz, und von dem gibt es dieses Jahr offenbar besonders viele. Von auffälligen „Massenvorkommen“ des Waldbewohners mit dem nicht gerade zurückhaltenden Äußeren spricht sogar die Deutsche Gesellschaft für Mykologie (Pilzkunde).

Ein Mischung aus genug Regen und bislang milden Temperaturen sei wohl verantwortlich, sagt Karl-Heinz Johe, Fachbeauftragter für Pilze beim Naturschutzbund Baden-Württemberg. Nach einem trockenen Frühjahr und Frühsommer, fiel von August bis jetzt regional mehr Regen auf die Wälder. Das tat den Bäumen gut und damit dem Fliegenpilz, der in einer Symbiose mit der Birke und im Bergland mit der Fichte lebt. Die so genannten Mykorhizzapilze verbinden ihr Geflecht mit den Wurzeln eines Baumes und führen eine Art Tauschhandel mit ihm. Sie helfen bei der Versorgung mit Wasser und Mineralstoffen, was besonders in Trockenzeiten für den Baum wichtig ist, und erhalten im Gegenzug vom Baum Stoffwechselprodukte und löslichen Zucker, den sie nicht selbst herstellen können. Je artenreicher der Wald, umso mehr Pilze gibt es also.

Ein gutes Jahr auch für andere Pilze

Und deshalb war das Jahr nicht nur für den Fliegenpilz ein gutes. Fichtensteinpilze, die ebenfalls zu den Mykorhizzapilzen von Birken und Fichten zählen, gab es auch zuhauf, erzählt Karl-Heinz Johe. Aber auch Trompetenpfifferlinge, Reizger, essbare Röhrlinge oder Stockschwämmchen traf er bei seinen Touren durch die Wälder häufiger als in anderen Jahren.

Für einen Pilzfreund wie Karl-Heinz Johe sind das beglückende Funde. Denn der Wald hat sich verändert und mit ihm die Pilz-Landschaft. Weil der so genannte saure Regen in den 70er und 80er Jahren für viele Baumarten und Waldböden schädlich war, wuchsen auch weniger Mykorhizza-Pilzarten. Heute führen Gülle und Abgase, die durch Wind und Regen in den Wald getragen werden, zu weniger Exemplaren, etwa der Pfifferlinge und anderer Stickstoff meidender Pilzarten, sagt Johe. Außerdem würden die Wälder lichter, was unter anderem Brombeeren, Brennnesseln oder Springkraut üppig wachsen lässt, die den Pilzen Raum wegnehmen oder ihre Fruchtkörper überdecken.

Die Germanen berauschten sich an ihm

Einen Fliegenpilz mit seinem bis zu 20 Zentimeter breiten roten Hut mit den weißen Sprenkeln zu übersehen, ist allerdings nicht so einfach. Sein besonderes Äußeres soll auch der Grund dafür sein, warum er als Glücksbringer gilt. Manche vermuten, es könnte eher an seiner berauschenden Wirkung liegen.

Unter anderem die Germanen, die Priester der Maya und Schamanen in Sibirien sollen ihn geraucht, gekaut oder einen Sud aus ihm getrunken haben, weil er Hochgefühle und Halluzinationen erzeugt. Sogar sein Name soll mit seiner fatalen Wirkung zusammenhängen. Die Fliege galt im Mittelalter als Symboltier des Wahnsinns. Eine andere Überlieferung sagt, dass die Menschen früher diesen Pilz in gezuckerte Milch eingeweicht und damit Fliegen angelockt und zumindest betäubt hätten.

Das Glück nicht herausfordern

Um den Pilz ranken sich eben jede Menge Geschichten: Angeblich stand er noch im 20. Jahrhundert in Norddeutschland auf dem Speisezettel. Die hochgiftige rote Haut des Hutes wurde dazu einfach entfernt, der Rest gebraten. Weil solche Mittagessen aber immer wieder mit schweren Vergiftungen endeten wurde er schließlich aus der Küche verbannt. Man sollte sein Glück mit dem Pilz halt nicht zu sehr herausfordern.

Wer ihm aber zumindest optisch nah kommen will, sollte sich beeilen. Sobald die Zeiten zu frostig werden, verschwindet der Fliegenpilz vom Fuße der Birken und Fichten. Dann bleibt dem Waldgänger aber zumindest noch der Baum selbst. Ihn zu umarmen, soll ja auch glücklich machen.